Warschau. . Generation “Poldi Lahmsteiger“ läuft Italien erneut hinterher und verpasst die Chance auf den langersehnten Titel. Bundestrainer Joachim Löw hat sich von Italiens Prandelli austaktieren lassen. Er selbst sieht die Mannschaft auf einem guten Weg zur WM 2014.
Die Erschütterung über das eigene Versagen war groß, die Ernüchterung über die fußballerische Lektion der Italiener wird noch lange nachwirken. Nach dem 1:2 (0:2) gegen Italien im Halbfinale der Europameisterschaft brachte die deutsche Nationalmannschaft nicht einmal mehr die Kraft zum Heulen und Zähneknirschen auf. "Es herrscht einfach Leere, Stille, eine sehr große Enttäuschung", sagte Teammanager Oliver Bierhoff auf der untersten von sieben Etagen des Warschauer Nationalstadions, wo die Alarmanlage ständig gehörschädigend heulte. Joachim Löw nahm den Hinterausgang, bis auf die Standard-Analyse im Fernsehen hatte er nichts mehr zu sagen. Der 52-Jährige war noch enttäuschter als seine Spieler.
"Man plant alles zwei Jahre, denkt sich tausend Dinge aus, plant bis ins Detail, dann erscheint alles in so einem Moment natürlich nutzlos", sagte Bierhoff, während Löw versuchte, das Verpassen des Endspiels mit der guten Perspektive des Teams für die WM 2014 zu beschönigen. Doch als die Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Freitag Richtung Flughafen strebte, war der Frust noch immer riesig. Statt nach Kiew zum Endspiel ging es nach Frankfurt am Main, Urlaub ist angesagt, statt das "Spiel der Spiele" zu bestreiten. "Wenn du den Titel nicht holst , fragst du dich: Wofür war das?", sagte Bierhoff.
Bayern-Fraktion erneut erfolglos
"Bei einem Turnier gibt es nur einen Sieger. Wir sind nicht der Sieger. Wir haben unser ganz großes Ziel nicht erreicht", sagte Lukas Podolski. "Wir wollten nicht nur ins Finale kommen, wir wollten das Turnier gewinnen. Aber dann kommt ein Gegner, der abgezockter ist und mehr Erfahrung hat", sagte Holger Badstuber, einer aus der großen Fraktion des FC Bayern München, die nach drei zweiten Plätzen die Saison auch ohne den letzten angestrebten Erfolg abschloss.
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Es war das dritte große Spiel, das nach dem EM-Endspiel 2008 (0:1 gegen Spanien) und dem WM-Halbfinale 2010 (0:1 gegen Spanien) daneben ging. Der Mannschaft wurden klar ihre Grenzen aufgesteckt, Löw hat den ersten schwarzen Flecken in seiner Karriere als Bundestrainer fabriziert. Er war für eine krasse taktische Pleite verantwortlich. Vielleicht hatte ihn nach dem vielen Lob, er habe ein goldenes Händchen und besitze fast magische Fähigkeiten, der Übermut verleitet, einfache fußballerische Gesetze zu missachten. Wieder baute er sein Team um, wieder überraschte er - und ignorierte, dass seine Aufstellung einer Unterwerfungsgeste glich.
Löws oft wiederholte Aussage, sich nicht am Gegner zu orientieren, zu agieren statt zu reagieren, galt plötzlich nicht mehr. "Wir haben uns nicht durchsetzen können", sagten einige Spieler zur Taktik, und auf Nachfragen deuteten sie an, dass sie die Abkehr vom bewährten Konzept offenbar auch überrascht hatte. Mit Toni Kroos wollte Löw die Mittelfeldzentrale dicht machen, um Andrea Pirlo einzudämmen.
Strategisch waren die Italiener schon immer besser
Doch im strategischen Fußball-Schach waren die Italiener schon immer besser. Wie Jürgen Klinsmann mit Löw an der Seite in der Verlängerung des Dortmunder Halbfinals 2006 kläglich gegen Marcello Lippi scheiterte, so fand Löw im erfahrenen Cesare Prandelli seinen Meister. Die Italiener umgingen den deutschen Mittelfeldpropf in der Mitte mit ständigen Attacken über außen. Löw ließ die rechte Seite verwaist, über links bereiteten die Azzurri beide Tore vor.
"Das ist Sport, ich bin Realist. Man verliert mal, man gewinnt mal. Natürlich war das eine Riesenenttäuschung für uns", sagte Philipp Lahm, der beim zweiten Tor von Mario Balotelli einen Fehler produzierte wie im Endspiel 2008. Bastian Schweinsteiger setzte die Reihe seiner enttäuschenden Leistungen während des ganzen Turniers fort. Podolski war so schwach, dass Löw ihn zur Halbzeit gegen Marco Reus auswechselte, womit das deutsche Spiel gleich mehr Qualität bekam, die aber nur zum späten Handelfmetertor von Mesut Özil führte und insgesamt nicht ausreichte. Die scherzhaft so genannte Generation "Poldi Lahmsteiger", die schon 2004 einmal in der Vorrunde rausflog, läuft den Titeln hinterher. Sie ist bisher gut genug für die Plätze zwei, drei oder schlechter.
Kein Grund, alles in Frage zu stellen
Wenn die Spieler sagen, der Gegner wäre eben "cleverer" gewesen, ist dies ein Eingeständnis, dass auf der anderen Seite eben die besseren Fußballer standen. Übermut kam hinzu, man meinte, diese Italiener seien diesmal kein richtiger Gegner.
Löw, obwohl deutlich angeschlagen, verteidigte den Turnierverlauf. "Wir hatten zwei hervorragende Jahre, 15 Spiele haben wir gewonnen, nun gegen unglaublich starke Italiener verloren. Das ist kein Grund, alles in Frage zu stellen. Die Mannschaft wird sich weiter entwickeln." Bei der WM 2014 dürfte es noch enger zugehen, die Brasilianer arbeiten besessen daran, im eigenen Land den sechsten Titel zu holen. Und auch der Weg dorthin dürfte gegen Gegner wie Schweden, Irland und Österreich ab September nicht ganz einfach sein. (dapd)