Danzig. In Deutschland wird debattiert, mit welchem Stürmer die Nationalmannschaft auflaufen sollte, in Spanien wird debattiert, ob sie mit einem Stürmer auflaufen sollte. Die EM-Halbfinalisten unterscheiden sich deutlich, was die ausgewählte Taktik angeht.

Offensive gewinnt Spiele, Defensive gewinnt Meisterschaften: Ob die Weisheit aus dem US-Sport auch auf die Fußball-Europameisterschaft zutrifft, wird wohl erst am Sonntag nach dem Finale in Kiew endgültig beantwortet. Fest steht vor den Halbfinals Portugal gegen Spanien und Deutschland gegen Italien nur, dass es Duelle vierer verschiedener Systeme und Philosophien werden. Deutschland und Spanien als zwei dominanten und offensiv ausgerichteten Mannschaften stehen Portugal als ein auf Konter ausgelegtes Team genauso gegenüber wie flexible Defensivspezialisten aus Italien.

4-2-3-1 - diese taktische Variante feierte bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika ihren endgültigen Durchbruch und wurde danach zum Vorbild auch vieler Bundesligamannschaften. Interessant ist, dass zwei Jahre später lediglich Bundestrainer Joachim Löw diese Taktik rein nominell noch anwendet, wenngleich verschieden interpretieren lässt.

Im Viertelfinale gegen Griechenland kam diese Variante durch die Hereinnahme von Marco Reus, Andre Schürrle und Miroslav Klose dem spanischen Vorbild eines sogenannten fluiden Systems am nächsten, in dem alle Offensivspieler variabel ausweichen, die Positionen tauschen und so vor allem gegen tief stehende Gegner schwerer zu greifen sind. Spielt Mario Gomez in vorderster Front, wird das Angriffsspiel statischer, dafür im Strafraum effektiver. Wohl kaum ein zweites Team bei diesem Turnier verfügt über diese tiefe wie breite Qualität im Angriff wie die DFB-Auswahl.

Spanien - kein Villa, kein Stürmer

Titelverteidiger Spanien, beim Titelgewinn 2010 das Paradebeispiel des 4-2-3-1, treibt die Vertiefung auf ein Ballbesitz ausgerichtetes Spiel indes auf die Spitze. Trainer Vicente del Bosque setzte bislang meist auf ein System mit sechs Mittelfeldspielern und ohne klassischen Stürmer, was ihm einige Kritik einbrachte. Denn die Folge dieses Überangebots an spielstarken Mittelfeldspielern sind exorbitante Ballbesitzzeiten, aber auch faktisch weniger Torchancen und wenig Zug zum Tor.

Zu verteidigen ist dieses System dennoch schwierig, da die gegnerischen Innenverteidiger keinen Mittelstürmer haben, an dem sie sich orientieren können. Der Erfolg gibt del Bosque recht, einzig eine Aufstellung von Mittelstürmer Fernando Torres bringt taktische Veränderungen mit sich. Den Ausfall von David Villa, Spaniens Rekordtorschützen, konnte der Titelverteidiger bislang jedoch nicht auffangen.

Wie dem Welt- und Europameister effektiv zugesetzt werden kann, haben die Italiener unter Cesare Prandelli schon im ersten Gruppenspiel bewiesen. Das 1:1 in Danzig war aus taktischer Sicht das wohl interessante Spiel dieses Turniers. Prandelli zog Daniele de Rossi als Libero in einer nominellen Dreierkette zurück, die bei gegnerischem Ballbesitz eine Fünferkette wurde. Das längst vergessen geglaubte 5-3-2 war wiedergeboren, und Spanien biss sich lange Zeit die Zähne daran aus.

Portugal hat endlich ein System für Ronaldo

Dass die Variante von Portugal oder Deutschland kopiert wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Es ist eben die große Stärke Italiens unter Prandelli, sich flexibel auf die jeweiligen Gegner einstellen zu können. Im Viertelfinale gegen England setzte Italien wieder auf ein 4-4-2, de Rossi zog neben dem bislang überragenden Andrea Pirlo die Fäden im Mittelfeld. Zudem sorgen in vorderster Front Mario Balotelli und Antonio Cassano für ständige Unruhe. Italien hat sich zum Geheimfavoriten auf den Titel gemausert.

Und Portugal? Der Erfolg des Iberer ist vor allem eine Folge der Formstärke von Superstar Cristiano Ronaldo im Nationaldress. Der Angreifer von Real Madrid hat gelernt, auch für sein Land seine Qualitäten effektiv einzusetzen, und Trainer Paulo Bento hat in Form eines 4-3-3 die richtige Taktik für ihn und die Mannschaft gefunden. In Ronaldo und Nani (Manchester United) verfügt Portugal über eines der schnellsten und gefährlichsten Außenstürmerpaare Europas.

In der Mitte dienen der inzwischen verletzte Helder Postiga und seitdem Hugo Almeida als Anspielstation für die nachrückenden Raul Meireles oder Joao Moutinho. Viele gefährliche Konterangriffe gehen sogar von Innenverteidiger Bruno Alves aus, der nach Balleroberungen präzise lange Bälle auf die Flügel zu Ronaldo und Nani schlägt.

Deutschlands Offensivkraft, Spaniens Ballbesitz, Italiens Flexibilität oder Portugals Konterstärke - vier Mannschaften, vier Systeme. Aber nur ein EM-Titel für den Sieger. (dapd)

DFB-Team schlägt Griechen

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