Danzig. Vor dem EM-Halbfinale gegen Italien am Donnerstag kommen Erinnerungen an 2006 auf. Noch nie hat Deutschland bei einem großen Turnier die Italiener bezwingen können. Aber es gibt Hoffnung: Die jüngeren DFB-Spieler haben Italien auf dem Weg zum U21-Titel im Halbfinale schlagen können.

Das Bild hat sich eingebrannt ins nationale Fußball-Bewusstsein. Wie Michael Ballack seine Ehrenrunde durch das Dortmunder Stadion macht. Der Kapitän, der Capitano, wie Jürgen Klinsmann damals immer zu sagen pflegte, applaudiert die Ränge hinauf, bedankt sich für die Stimmung. Er hat die Tränen in den Augen. So wie seine Mitspieler, die auf dem Rasen liegen, so wie die Menschen auf den Tribünen, die sich gegenseitig trösten. So wie das ganze Land. Das schöne Sommermärchen von 2006 – erstickt in einem Meer aus Tränen, weil Italien das getan hatte, was es offenbar am besten kann: Fußball-Deutschland in wichtigen Spielen besiegen.

Noch kein Sieg bei großen Turnieren gegen Italien

Nun also wieder. Wieder Italien. Wieder Halbfinale. Am Donnerstag (20.45 Uhr/ARD und live im DerWesten-Ticker) ist es so weit. Das schwarz-rot-goldene Volk schaut gebannt nach Warschau. Es fürchtet das Schlimmste, weil es das ist, was gegen diesen Gegner erwartet werden muss. Noch nie (!) hat Deutschland Italien bei einem großen Turnier bezwingen können. 2006 war das jüngste und gleichzeitig wohl traurigste Kapitel in dieser unendlichen Geschichte. Den letzten Sieg in einem Länderspiel beider Mannschaften fuhren Männer wie Christian Ziege und Jörg Heinrich ein. 1995. Die deutschen Fans zittern, bangen, hyperventilieren.

Mesut Özil hingegen ist ganz ruhig. Der 23-Jährige sitzt im deutschen Mannschaftsquartier in Danzig und sagt: „Wenn wir abrufen, was wir können, werden wir sie schlagen.“ Er wirkt dabei sehr sicher. Und Benedikt Höwedes (24) sagt: „Ich mache mir bei diesem Halbfinale nicht so große Sorgen.

Özil und Höwedes stehen für die neue Generation Nationalspieler. Eine Generation, die 2006 zum Zeitpunkt der WM im eigenen Land nicht einmal volljährig war, die das Turnier beim Public Viewing verfolgte und höchstens vage davon träumte, einmal das Nationaltrikot in einem bedeutenden Spiel tragen zu dürfen. Eine Generation, die dann 2009 schon den ersten internationalen Titel gewann. Özil, Höwedes, Mats Hummels, Jerome Boateng, Manuel Neuer, Marcel Schmelzer und der damalige Kapitän Sami Khedira gehörten der Mannschaft an, die bei der U21-EM in Schweden den Titel holte. Drei Jahre später nun stellen sie den Stamm der A-Mannschaft.

Die jungen DFB-Spieler mit einem unbelastetem Verhältnis zu Italien

Das ist vermutlich kein Zufall. Sie alle sind junge Männer, die früh erwachsen geworden sind, die ihren Sport als Beruf betrachten, ihr Talent als ihr Kapital und ihre Karriere als einen Stufenplan zu den größtmöglichen Erfolgen. Schon jetzt haben sie einiges an Tafelsilber zusammengetragen: mehrere deutsche Pokalsiege, mehrere deutsche Meisterschaften, spanischer Pokal, spanische Meisterschaft.

Mit den Erfolgen und Misserfolgen ihrer sportlichen Ahnen können sie nichts anfangen. Sie wollen und werden ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Unter welchen Umständen Italien 1982 die Deutschen bezwang, wird ihnen furchtbar egal sein. Aus ihrer Sicht betrachtet ist das Lichtjahre her. Möglich, dass sie 2006 mit ihren Kumpels das Halbfinale von Dortmund auf irgendwelchen Leinwänden dieser Republik sahen und auch ein Tränchen verdrückten, so wie alle anderen im Land. Aber auch das ändert nichts. Sie waren nicht dabei, sie standen nicht auf dem Platz, sie konnten es nicht verhindern. Und ihr Selbstbewusstsein ist groß genug zu sagen: Wir hätten es verhindert.

Philipp Lahm, Miroslav Klose, Lukas Podolski, Per Mertesacker und Bastian Schweinsteiger standen damals schon für die Nationalmannschaft auf dem Platz. Sie werden sich nicht gern erinnern an jenen 4. Juli 2006. Alle anderen haben sozusagen ein unbelastetes Verhältnis zu den Italienern. Besser noch: Auf dem Weg zum Titel räumte die deutsche U21 vor drei Jahren sogar Italien im Halbfinale aus dem Weg. Benedikt Höwedes ist zuversichtlich. „Diese Generation weiß, wie man Italien packen kann.“