Charkow/Den Haag. . Die holländische Nationalmannschaft war als Mitfavorit zur EM gereist und hat sich nach drei Blamagen von dem Turnier verabschiedet. Sicher ist: Damit hat kaum einer gerechnet. Unsicher ist: die Zukunft des Nationaltrainers Trainers Bert van Marwijk.

Am Tag danach setzte die ungeordnete Fluchtbewegung ein. Wie ein orangefarbener Lindwurm drängte die niederländische Fangemeinde am Montag an den Bahnhof und den Flughafen von Charkow; vereint in einer Mixtur aus Trauer, Wut, Ernüchterung und Enttäuschung. Nichts wie weg aus der sonnenüberfluteten ostukrainischen Millionenstadt, die ein dunkles Kapitel in der EM-Historie der Niederlande manifestiert hat. Die Spieler hatten nach ihrem tief enttäuschenden 1:2 gegen Portugal einen nächtlichen Charter nach Krakau genommen. Vom Ort des Teamquartiers ging am Montag der nächste Flieger gen Amsterdam.

Enttäuschter KNVB-Präsident van Oostveen will an Trainer van Marwijk festhalten

Mühsam werden in der Heimat die Scherben zusammengekehrt, die beim Königlichen Niederländischen Fußballverband (KNVB) nach einer gründlichen Aufarbeitung verlangen. „Null Punkte in einer Endrunde, das ist uns noch nie passiert“, beschied KNVB-Präsident Bert van Oostveen. Ein Ausscheiden nach drei Niederlagen nannte er auch gleich noch „unwürdig“. Und doch möchte der Verbands-Chef an Bert van Marwijk festhalten, zumal dessen Arbeitspapier erst im Dezember vergangenen Jahres bis 2016 ausgedehnt wurde. Aus seiner Sicht wird der Nationaltrainer nicht den fliegenden Holländer geben: „Ein Abschied steht nicht auf der Tagesordnung. Ich finde, dass er Kredit verdient hat.“

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Der sichtlich angeschlagene van Marwijk hatte sich noch am Ort der Schmach jede Diskussion um seine Zukunft verbeten. „Ich sitze hier kurz nach dem Spiel mit einem enttäuschenden Ergebnis. Ich habe einen Vertrag bis 2016, aber bitte keine Fragen zu meiner Zukunft“, knurrte der 60-Jährige. Allerdings schien er in diesem Moment kaum geeignet, eine Aufbruchstimmung für die WM 2014 zu erzeugen – zumal nach Schlusspfiff allein sein entmachteter Kapitän Mark van Bommel die Nähe zum Bondscoach suchte und ihn, seinem Schwiegervater, umarmte. Aber auch dieser Verbündete wird bald wegfallen; kaum vorstellbar, dass der 35-Jährige („Wir wollten eigentlich mit dem EM-Pokal eine Grachtenrundfahrt machen“) noch weiter für die Elftal aufläuft.

Nationaltrainer van Marwijk kann sich Rückschritte seines Teams nicht erklären

„Wir hatten nicht die Form und die Fitness für dieses Turnier“, stellte van Marwijk mit Leichenbittermine fest, „dafür trage und übernehme ich die Verantwortung.“ Klingt nach einem Abschied auf Raten. Oder einem Rückzug nach ausgehandelter Abfindung. Eigentlich habe er nach der Vizeweltmeisterschaft den Kader jünger und besser machen wollen – warum sich eine einst stilprägende Fußball-Nation so rasant rückentwickelt hat, konnte van Marwijk nicht vertiefend erklären. Fest steht: Viele der Versäumnisse unterliegen seinem Zuständigkeitsbereich.

Ersatzkapitän und Torschütze Rafael van der Vaart hatte sofort von „einer Schande“ gesprochen, zu der sich noch viel Schimpf gesellte. „Abgewatscht“ lautet die Schlagzeile des ,,Telegraaf“.’ In der ,,Trouw’’ heißt es: ,,Ein historischer Tiefpunkt für Oranje – die Tage von Bert van Marwijk sind gezählt.’’

Holländische Fans lassen ihrer Enttäuschung freien Lauf

Im Internet sind die enttäuschten und frustrierten Oranje-Fans gnadenlos. Einer hat eine Fotocollage ins Netz gestellt. Sie zeigt Königin Beatrix der Niederlande mit durchgeladener Pistole in der Hand – darunter steht: ,,Schickt mir van Marwijk.‘‘ Holländischer Sarkasmus, ohne Rücksicht auf Geschmack.

In einer Kneipe auf der Haager Nobelmeile ,,Noordeinde‘‘, wo Königin Beatrix ihr Stadtschloss hat, brach schon am Sonntagabend die pure Verzweiflung aus. Normalerweise ist diese Szene-Kneipe an Wochenenden bis zwei, drei Uhr morgens geöffnet. Nach dieser Niederlage schloss der Wirt bereits um 23 Uhr die Tür hinter sich ab.