Dortmund. Letzten Mittwoch gab's nach dem 0:3 bei Real Madrid noch den großen Kater. Am Dienstag folgt das Rückspiel — und zwischendurch musste noch „mal eben“ eine ambitionierte Mannschaft bespielt werden, die sich ein Automobilhersteller zur Unterhaltung gönnt. Da bleibt kaum Zeit zum Verschnaufen.

Klar, zu kritisieren gibt es immer was: ausgelassene Torchancen, individuelle Fehler, die sportlich noch nicht ganz gelungene Integration von Aubameyang oder Mkhitaryan und und und. Aber betrachten wir das Ganze doch mal nüchtern – ohne schalen Biergeschmack. Wie ist der Status Quo unseres BVB? Aktuell Tabellenzweiter in der Liga, das DFB-Pokal-Halbfinale vor der Brust und Champions-League-Viertelfinalist. Na, klingelt‘s?

Sicher, spielerisch gab es das eine oder andere laue Lüftchen. Aber, dass beinahe während der gesamten Saison Spielerpersönlichkeiten wie Gündogan, Subotic, Kuba, Schmelzer, Hummels und Bender fehlten, wird dabei gerne verdrängt. Trotzdem haben wir noch eine hervorragende Mannschaft auf dem Rasen. Der Substanzverlust fällt geringer aus, als zu befürchten war. Umso bemerkenswerter sind die derzeitigen sportlichen Platzierungen.

Natürlich schmerzt eine 0:3-Niederlage, insbesondere wenn man die letztjährigen Halbfinalspiele gegen „die Königlichen“ zum Maßstab nimmt, diesmal haarsträubende Fehler fabrizierte und zumindest ein Auswärtstor hätte erzielen können, ja müssen. Solche Vergleiche hinken aber und führen nur zu sauertöpfischen Mienen.

Nur vier Spieler der "Real-Bezwinger" von 2013 dabei

Gerade mal vier(!) Spieler vom damaligen Fußballgedicht gegen Madrid standen vergangenen Dienstag in der Startelf. Und Madrid – die seit 2002 (also seit Amoroso seinerzeit den BVB zur Meisterschaft schoss) mit aller Macht (vor allem der des Geldes) versuchen, sich endlich mal wieder die Krone Europas aufzusetzen oder wie wir überhaupt erst mal wieder ins Finale einzuziehen – haben im letzten Sommer mal eben einen neuen Transferrekord aufgestellt. Für jeden halbwegs klar denkenden Borussen sollte das Ergebnis also keine Überraschung gewesen sein.

Im Rückspiel gegen Madrid werden unsere Jungs jedenfalls wieder alles in die Waagschale werfen. Realistisch betrachtet hängen für ein erneutes „Wunder von Dortmund“ die Trauben diesmal jedoch wohl leider zu hoch, doch wer weiß… Untergehen wie die „Uschis vom Revier“ werden wir wohl jedenfalls nicht.

Und dass in den letzten Spielen oftmals die erste Halbzeit nix war? Gegen Wolfsburg steckte den Jungs das Madrid-Spiel noch in den Kleidern, gegen Real das frühe Gegentor. Bei der Personallage muss man das einfach hinnehmen, wenn auch zähneknirschend. Aber sollen wir uns damit lange aufhalten?

Nicht über die Tagesform beschweren!

Ich empfehle jedem Borussen, der sich gerne über schwankende Tagesformen oder halbgare Spiele beschwert, mal ein wenig in den jüngeren Geschichtsbänden zu blättern: vor 09 Jahren stand unser Ballspielverein am Abgrund – „im Vorzimmer zur Pathologie“ wie Aki Watzke es formulierte. Vor sechs Jahren stand der BVB dann sportlich vor dem Abstieg, biedere fußballerische Hausmannskost einer grauen Maus stand auf der Karte (Ich frage mich ja immer, wie jene, die heute über ein schlechtes Spiel meckern, das damals bloß ausgehalten haben, falls sie denn damals schon Borussen waren).

Und heute? Drei Titel und eine Champions-League-Finalteilnahme in nur drei Jahren. Wie bitte? Vor fünf Jahren haben wir vielleicht höchstens von einer Teilnahme an der Champions League geträumt, wenn überhaupt. Doch sind es nicht in erster Linie Titel, über die wir uns wie die Bayern definieren. Die neue Konstanz, die strukturelle Basis, finanziell steht der BVB inzwischen wieder bestens da. Wir stehen kurz davor, uns zum vierten Mal hintereinander für die Champions League zu qualifizieren. Im Pokal erreichten wir nach dem Triumph von 2012 im letzten Jahr das Viertelfinale und aktuell steht das Halbfinale auf dem Zettel – nur ein Sieg noch bis Berlin! All das gab es in solcher Konstanz noch nie in Dortmund!

Der BVB hat keine Diven, sondern Mannschaftspieler

Das Geile daran ist: das Gerüst steht und die Aussichten sind hervorragend, sofern man sich nicht vom üblichen Tagesradau anspitzen lässt. Das Wichtigste: wir haben Spieler, die sich mit dem Verein identifizieren und mit denen wir uns als Fans identifizieren können. Keine Diven, sondern Mannschaftsspieler, vorneweg leidenschaftliche Kicker wie bspw. Mats, Kehl, Kuba, Schmelle und Kevin. Hinzu kommen junge, moderne Spieler, die nachrücken, sich reinhängen und charakterlich in Ordnung zu sein scheinen. Da geht mir doch jedes Mal das Herz auf, wenn Jonas, Erik & Co. reinkommen, Dampf machen und sie sich und unseren BVB weiterentwickeln. Für solch ein Team samt Trainerstab schreit man sich gerne die Kehle aus dem Leib!

Wir sind Borussen und lieben den Fußball. Siege, Unentschieden, Niederlagen gehören nun mal dazu! Im Fußball gibt es keine Garantien. Deshalb sollten wir das Dortmunder Märchen genießen - und weiter daran schreiben. Aber dazu brauchen wir auch etwas Geduld.

Natürlich, der Zauber der ersten Jahre (unter Jürgen Klopp) ist schwer zu toppen und natürlich orientieren wir uns als Fans gerne an dem, was wir schon einmal hatten, historisch schöne Augenblicke. Aber: Ein gewisser Umbruch ist unvermeidlich. Jeder Spieler ist zwar zu ersetzen, aber eben nicht eins zu eins, schon gar nicht ein Götze oder in Zukunft ein Lewandowski. Mit seinem Abgang wird sich unser Spiel verändern. Doch auch ein Lewandowski kam nicht, sah und siegte; er ist erst in Dortmund zu dem gereift, der er jetzt (spielerisch) ist.

Vorfreude ist angesagt — Neugier auf die Neuen und Alten

In dieser Entwicklungs- und Integrationsphase befinden sich gerade Aubameyang und Mkhitaryan, in der nächsten Saison wird es ein neuer Angreifer sein. Stellen wir uns also auf eine neue, spannende Entwicklungsphase unseres BVB ein. Aber bitte ohne Gestöhne, wie es unser Kevin so schön formulierte. Vorfreude ist angesagt, Neugier auf die Neuen und „Alten“, die glücklicherweise weiterhin unsere Borussia prägen werden, auf und neben dem Platz. Genießen wir die kommenden Festtage in der Liga, in der Champions League und im Pokal. Vielleicht werden ja schon in diesen nächsten Tagen die ersten Kapitel für die Fortsetzung des Märchens geschrieben - ohne dubiose Finanzierungsmethoden wie sie in der Beletage des Spitzenfußballs sonst üblich sind, ohne Methoden à la Hoeneß.

Leute, der BVB von heute ist kein Märchen, sondern märchenhafte Realität. Das sollte jedem Borussen ein mindestens spielzeitlanges Grinsen ins schwarzgelbe Gesicht zaubern. Kaviar und Champagner brauchen wir dazu nicht. Ne ehrliche Currywurst und ein frisches Pils reichen. Prost!

Patrick Meiß, www.gibmich-diekirsche.de