Dortmund. . Zaubern mit Mario Götze, treffen wie Robert Lewandowski: Borussia Dortmund hat im Fall des Ex-Gladbachers Marco Reus viele Optionen. Schon am kommenden Sonntag in Mönchengladbach dürfte Reus in die Spitze vorrücken, weil Lewandowski und Julian Schieber gesperrt sind.
Das Tipp-Kick-Spiel, das Medienvertreter mit einer korrekten Ergebniseinschätzung beim BVB gewinnen können, setzt langsam Staub an. Am Wochenende zuvor war der HSV zu Gast. Und wer hatte eine 1:4-Niederlage der Dortmunder notiert? Niemand. An diesem Samstag war Frankfurt der Gegner im Westfälischen. Und wer hatte auf einen 3:0-Sieg gewettet? Wieder niemand. Besondere Aufmerksamkeit erregte das bei den Trainern. Thorsten Fink fand, dass seine Hamburger den Doppelmeister so abmeiern würden, sei völlig unvorhersehbar gewesen, die Null-Trefferquote also „kein Wunder“. Armin Veh dagegen staunte darüber, dass die Packung für die Eintracht nicht auf den Zetteln notiert war: „Haben die alle höher getippt?“
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Mannschaften, die Spieltag für Spieltag selbst Fachpersonal auf diese Weise verblüffen können, werden gern als „Wundertüte“ bezeichnet. Und obwohl die Schwarzgelben in der Tabelle der Bundesliga recht souverän Platz zwei hinter den mit 15 Punkten Vorsprung enteilten Bayern gebucht haben, scheint ein Vergleich mit der Büdchen-Attraktion nicht unangebracht. Unter anderem, dass lediglich drei der letzten acht Heimpartien mit der vollen Punkte-Ausbeute beendet werden konnten, zeugt nicht davon, dass Leistung konstant abgerufen würde. Selbst Veh, der kaum eine Gelegenheit verstreichen lässt, sich als Verehrer des BVB-Stils zu offenbaren, erkennt im Wechsel zwischen anbetungswürdiger Genialität und achtloser Tändelei mit dem Fehlerteufel ein Defizit: „Das ist eine sehr gute Mannschaft, die eigentlich zu wenige Punkte hat.“
Aus Fehlern gelernt
Jürgen Klopp teilt diese Ansicht. Es ergibt sich für ihn nur nicht die Gelegenheit, sein Ensemble wirklich einmal mit einem gemeineren Vorwurf zu konfrontieren. Nach dem Einzwergen des Aufsteigers, der bisher wie ein Riese auftrat, erlaubte es sich Dortmunds Trainer aber immerhin, in Schwärmerei eingebettet darauf hinzuweisen, dass „defensivtaktisch“ bereits beim 3:0 gegen Nürnberg und beim 3:2 in Leverkusen nicht alles rund gelaufen sei. Die Daheimklatsche gegen den HSV wertete er folgerichtig als Bestrafung, allerdings als eine mit dem Potenzial zum Erweckungserlebnis: „Manchmal muss man den Fehler auch richtig fühlen.“
Um bei der Herdplattenpädagogik zu bleiben: Gegen Frankfurt machten die Dortmunder von Beginn an unwiderstehlich klar, dass sie nicht dazu bereit waren, sich noch einmal die Finger zu verbrennen. Schon in Minute acht fixierte Marco Reus das 1:0. Zwei Minuten später erhöhte wieder Reus auf 2:0. Und selbst der Gelb-Rot-Platzverweis für Ersatz-Mittelstürmer Julian Schieber in Minute 31 konnte den BVB in seinem kreativen Spiel- und Spaßdrang lediglich kurzzeitig irritieren. In Minute 65 vollendete Reus seinen Dreierpack und sorgte damit dafür, dass die Eintracht endgültig nicht mehr aufmuckte.
Der Rest war eine Mischung aus mehr oder weniger seriöser Aufarbeitung der Geschehnisse (der Fall Schieber, den Klopp zum Anlass nahm einen „entspannteren Umgang“ mit Ellenbogenstößen anzuregen, „weil der Mensch einfach in dieser Art hoch springt“) und fröhlicher Fußballliebhaberei. Das 1:0 wurde vom stark in die Elf zurückgekehrten Ilkay Gündogan eingeleitet und von Mario Götze final vorbereitet. Klopp urteilte: „sensationell herausgespielt.“ Das 2:0 legte Mats Hummels auf, der nach der Hinausstellung von Schieber wieder über den Rasen preschte, als stünde allein ihm ein Schlachtross zur Verfügung. Klopps Urteil: „richtig gut herausgespielt.“ Das 3:0 wurde wieder feinsinnig durch Gündogan und Götze arrangiert. Klopp: „überragend rausgespielt.“
Über allen thronte aber natürlich Marco Reus, der Vollstrecker. Schieber war als Ersatzkraft für den 14-Tore-Angreifer Robert Lewandowski auch schon vor seiner Zwangsverschickung in die Katakomben nicht in die verzwickten Gedankenspiele und blitzartigen Aktionen der Spielkameraden einbezogen gewesen. Dass der BVB in Heimpartie vier in Reihe zum dritten Mal in Unterzahl agieren musste, änderte diesmal also kaum etwas an der Situation auf dem Feld (in Minute 74 wurde Frankfurts Takashi Inui mit Gelb-Rot bedacht). Als Mann, der kühl bis in die blond gefärbten Haarspitzen hinein die Bälle ins Netz beförderte, etablierte sich sofort: Reus, der 17-Millionen-Einkauf, der nominell die linke Flanke ausstatten sollte.
Elf Treffer hat Reus nun auf dem Konto. Nach der Partie gegen Frankfurt sicherte er sich gewitzt den Ball, weil er das bei seinem ersten Dreier in einer Partie versäumt hatte: „Ich wollte eine Erinnerung haben.“ Gut möglich, dass er in Zukunft auf diesem Grundstock eine kleine Sammlung aufbauen kann. Am kommenden Sonntag bei Borussia Mönchengladbach (15.30 Uhr, live in unserem Ticker) dürfte der auch bei Bundestrainer Joachim Löw unter Zentralstürmerverdacht stehende Reus in die Spitze vorrücken, weil Lewandowski (am Dienstag verhandelt der DFB noch einmal über die Drei-Spiele-Sperre des Polen) und Schieber nicht mittun dürfen. Weil ein Lewandowski-Transfer aber nicht mehr nur wie in den vergangenen Monaten in einer gewaltigen Spekulationsblase über Europa schwebt, sondern die Signale nun eindeutig auf Abschied hindeuten, liegt ein Daueraufenthalt im Sturm-Auge nahe. Und dann muss Reus darauf vorbereitet sein, bei Fehlschüssen härter rangenommen zu werden. Noch frotzelte Klopp nur: „Die größte Chance hat er vergeben.“