Dortmund. . Niederlage an der Alster, Protest gegen die Ticketpreise, ein weiteres Banner aus dem rechten Sumpf – das vergangene Wochenende hielt viel Gesprächsstoff bereit. Weder der Fußball selbst, noch ein Bericht über positive und negative Erscheinungen in den Kurven dürfen in einer Fankolumne fehlen.

Eine schwierige Fankolumne wird das. Schließlich ist an diesem Wochenende viel passiert, was für eine Fankolumne von Interesse ist – sowohl auf dem Platz, als auch daneben. Daneben will heißen: in der Dortmunder Fanszene.

Zum einen gab es am vergangenen Wochenende für den BVB nach 31 ungeschlagenen, zumeist siegreichen Partien, eine recht spektakuläre Niederlage. Die zudem ein beachtlicher Kern aktiver Fans nicht im Stadion miterlebt hat, um gegen die durchdrehende Eintrittskarten-Preisspirale zu protestieren. Die Lücke, die dieser Protest in den Block riss, wurde von der alteingesessenen, politisch rechtsaußen positionierten Hooligangruppe „Borussenfront“ genutzt, um sich selbst auf einem Banner zu glorifizieren, welches auch schon vor dem Pokalfinale in Berlin gesichtet wurde.

Über alle drei Vorkommnisse könnte man ohne Probleme jeweils eine griffige Fankolumne verfassen. Und im Falle der letzten beiden Begebenheiten reicht eine Fankolumne vom Umfang her noch nicht einmal annähernd aus, um dem jeweiligen Problemfeld faktisch und argumentativ gerecht zu werden.

Probleme mit Nazis und Hooligans

Da das unbestreitbare Neonazi- und / oder Hooligan-Problem in Dortmund weder die positiven Themen aus der Fanszene noch das Spiel des Ballspielvereins („Wichtig is‘ auf’m Platz!“) aus dieser Kolumne verdrängen sollte, es aber trotzdem endlich aufhören muss, dass der Rechtsruck rund um die Süd totgeschwiegen wird, habe ich mich entschieden, alle drei Themen nacheinander einfließen zu lassen. Dass dabei die Betrachtungen in diesem überschaubaren Rahmen verhältnismäßig oberflächlich ausfallen, nehme ich in Kauf.

Borussia bot in Hamburg eine durchwachsene Leistung. Die Anfangsphase der Partie wurde komplett verschlafen. Der augenscheinliche Versuch gegen den bis in die Haarspitzen motivierten Bundesliga-Dino „ein bisschen Fußball zu spielen“ (Klopp), scheiterte schon in den ersten Spielminuten. In der Folge gab es das bisher früheste Gegentor der Saison und weitere teils bemerkenswerte Fehler im Defensivverbund der Schwarzgelben, die zu zwei weiteren HSV-Treffern führten.

Nicht alles schlecht bei der Niederlage in Hamburg

Trotzdem notierten die Statistiker nach der Partie 26:6 Torschüsse für den BVB. Es war also zwar die Chancenverwertung, aber nicht alles schlecht. Im Normalfall muss man so ein Spiel, in dem man am Ende über weite Strecken das bessere Team war, nicht verlieren. Es hätte ohne Probleme sogar zum Sieg reichen können. Vielleicht ist die Pleite aber auch ein kleiner Denkzettel zur rechten Zeit. Ein Denkzettel, der anmahnt, dass eben auch nach drei Titeln in zwei Jahren nichts von alleine kommt.

Dass man nach mehr als einem Jahr ohne Niederlage irgendwann wieder als Verlierer vom Platz gehen würde, war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Dass sich deshalb einige (wenige) Anhänger (z. B. in Fan-Foren) zu überzogener Kritik haben hinreißen lassen, ist schwer nachvollziehbar. Denn wenn sich irgendwann einmal eine Borussia-Elf einen großen Vertrauensvorschuss auf nahezu allen Ebenen verdient hat, dann sicherlich diese. Gleiches gilt für das Trainerteam und die meisten handelnden Personen in Verein und Kommanditgesellschaft. Und nichts interessiert während einer englischen Woche zu diesem Zeitpunkt der Saison weniger, als die Schlagzeile von gestern. Nach einem Sieg in Frankfurt unter der Woche wäre sie spätestens vergessen.

Protest gegen teure Tickets

Der Aufruf zum abermaligen Fan-Boykott eines Spiels in Hamburg war richtig und wichtig. Auch, dass die Initiative, die sich anfangs „Kein Zwanni für ‘nen Steher“ nannte, den Protest mittlerweile merklich auf die Sitzplatzpreise in den Stadien ausweitet, ist absolut notwendig. Wieder gelang es „Kein Zwanni“ – mit mittlerweile rund 400 Fanclubs von 25 verschiedenen Vereinen im Rücken – den medialen Fokus auf eines der wichtigsten Interessen der aktiven Fußballfans zu lenken.

Ein erklecklicher Teil der Stehplatzblocks blieb – sozusagen aus Solidarität mit den Fans, die beim HSV mit Preisen von 40 bis 98 Euro für einen Sitzplatz konfrontiert wurden – dem Spiel fern, verließ das Stadion direkt nach dem Anpfiff. Eine solche Aktion zeigt, dass grade auch die Medien aktive und kritische Fans grundsätzlich differenzierter betrachten sollen. Sie setzen sich hiermit und mit anderen Aktionen dafür ein, dass die Ureinwohner deutscher Stadien im Zuge der Kommerzialisierung des Fußballs nicht ganz auf der Strecke bleiben. Das ist wichtig, nicht nur für das Herz des Fußballs, das mit absoluter Sicherheit nicht in den Logen schlägt, sondern auch, weil die Stimmung in den Fankurven überhaupt erst die Stadien – und damit eben auch die Logen- und Sponsorenplätze - füllt.

Ausgerechnet Inhaber teurer Karten boykottierten den Boykott

Schade war es, dass sich in Hamburg ausgerechnet die Inhaber von überteuerten Sitzplatzkarten nicht allzu augenscheinlich am Boykott beteiligten. Diesen Eindruck mussten zumindest Fernsehzuschauer beim Anblick des trotz allem recht gut gefüllten Gästebereichs gewinnen. Aber der Eindruck täuscht etwas. Denn viele alteingesessene, reisefreudige Fans, sind dem Spiel in Hamburg nicht zum ersten Mal ferngeblieben. Ganze Fanclubs haben keine Fahrt unternommen. „Ihre“ Plätze füllten dann zu Teilen Dortmund-Fans auf, die sonst keine Tickets bekommen. Fans, die ohnehin nur ein oder zweimal im Jahr ins Stadion gehen und dann eben bereit sind, die Hamburger Mondpreise zu bezahlen.

An dieser Stelle könnte man mit den Gesetzten von Angebot und Nachfrage kokettieren. Und damit läge man nicht falsch. Zu Geldgier und Hybris in den Chefetagen der Fußballunternehmen sollte das aber nicht führen. Denn in weniger erfolgreichen Zeiten, als Borussia sie grade erlebt, fehlen sie, diese Fans, die nur manchmal vorbeischauen und dann jeden Preis bezahlen. Und wenn die Vereine weiter an der Preisschraube drehen, fehlt dann vielleicht auch ein erheblicher Teil der Fans, die die große Masse überhaupt erst ins Stadion locken – nämlich der aktiven Fans auf den Stehplätzen der Arenen.

Der Einsatz für Eintrittspreise, die den Fußball auch für Geringverdiener erschwinglich machen, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Vieles kommt einem dabei vor wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem ist es wichtig, den Protest nicht aufzugeben und Vereine und Verbände immer wieder mit der Nase auf ihre gesellschaftliche Verantwortung zu stoßen.

Der rechte Sumpf in der Dortmunder Fanszene

Mit der Nase auf ihre gesellschaftliche Verantwortung möchte man bisweilen auch Borussia und einen Großteil ihrer Anhänger stoßen. Denn zum wiederholten Male konnten sich Fans der Öffentlichkeit präsentieren, deren Anteil und Einfluss in Dortmund gerne – auch von Vereinsseite – absichtlich unterschätzt wird. Im teilweise leeren Stehplatzblock prangte nämlich ein Banner der „Borussenfront“, auf dem sich eben diese (teilweise ehemaligen) rechten Hooligans ihres berüchtigten Rufs erfreuten.

Wieder ein Störfeuer vom rechten Rand, wieder eines in Bannerform. Nicht so offensichtlich politisch rechts und meinungsfreudig, wie das eine oder andere zuvor, aber trotzdem ein weiteres unübersehbares Zeichen, dass das Kind im Umfeld des BVB langsam dabei ist, in den (rechten) Brunnen zu fallen.

Denn es geht hier nicht nur um die Borussenfront, es geht auch um zumindest formal unorganisierte Fans, zwei weitere radikale Hooligan-Vereinigungen und auch erhebliche Teile einer bestimmten Ultra-Gruppierung, die sich deutlich zu weit rechts von der Gesellschaft bewegen. Letztere rühmten sich in diesem Jahr vor der Kulisse der gesamten Südtribüne mit einer selbst „organisierten“ Schlägerei auf einem Rastplatz. Oftmals ist da die Unterscheidung zwischen Neonazis, Hooligans und „normalen“ (?) gewalttätigen oder gewaltbereiten Fans nicht einfach. Sicher ist: All das schadet unmittelbar der Fanszene und mittel- oder unmittelbar dem Verein Borussia Dortmund und dem Fußball im Allgemeinen.

Und das Schlimme ist: Diese (teilweise radikale) rechte Minderheit ist in Dortmund noch nicht einmal der Kern des Problems. Der Kern des Problems ist die große Masse an Leuten auf der Tribüne, die einfach wegschauen - in den meisten Fällen, weil sie schlichtweg Angst vor Schlägen haben, in einigen Fällen auch, weil das Wegschauen durch krude Argumentationen von rechts oder Mitte rechts befeuert wird. „Das sind doch nur ganz Wenige!“, „Die machen doch gar nichts!“, „Regt euch nicht so auf, ihr Gutmenschen!“, „Die Linken sind genauso schlimm!“, „Die Linken sind viel schlimmer!“, „Politik hat im Stadion nichts zu suchen!“ etc. pp. Wahrscheinlich reicht nachher ein Blick in die Kommentare zu dieser Kolumne, um sich das eine oder andere Beispiel anzuschauen.

Das Problem beim BVB kommt von rechts

Natürlich sind Linksradikale, obwohl zumindest ihre Grundideologie deutlich weniger menschenfeindlich ist, ähnlich oder genauso schädlich für den Fußball und die Gesellschaft wie Rechtsradikale. Nur sollte man eins nicht übersehen: Beim BVB gibt es weit und breit kein Problem von links. Es kommt von rechts. Und was Politik im Stadion angeht: Die allermeiste Politik darf in der Tat gerne draußen bleiben, wenn man gemeinsam auf den Rängen steht. Parteipolitik sowieso. Vielen Überzeugungen anderer Borussen sollte man in der Tat tolerant und weltoffen gegenüberstehen (wie sich der BVB selbst beschreibt). Aber sobald es ideologisch radikal und vor allem eben auch gewalttätig wird, die Rechte anderer Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, muss man sich politisch positionieren.

Vereinsspitze, Fanabteilung und verschiedene Gruppierungen auf der Südtribüne haben es getan. Sie werden dabei genau das brauchen, was Dortmunds Oberbürgermeister Sierau stets beschwört, wenn es um die große rechte Szene in der Stadt geht – einen langen Atem. Hoffentlich positioniert sich Borussia in Zukunft konsequenter gegen Radikalisierungen innerhalb der Fanszene. Bisher ist es mehr schlecht als recht gelungen. Teilweise so schlecht, dass man sich neben dem langen Atem auch mal ein kräftiges Niesen wünscht.

24.09.2012, Rutger Koch, Gib mich DIE KIRSCHE