Stuttgart. Borussia Dortmund verschenkt auf unerklärliche Weise zwei Punkte im Titelkampf. BVB-Trainer Edin Terzic holt nach dem 3:3 zum Rundumschlag aus.

Als sich Edin Terzic den Frust von der Seele schimpfte, war es im Stuttgarter Presseraum mucksmäuschenstill. Es kommt nicht oft vor, dass Bundesliga-Trainer einen Einblick in ihre Gefühlswelt preisgeben; der Profifußball ist meist ein Geschäft, in dem dreister gelogen wird als auf Beerdigungen. Aber BVB-Trainer Terzic, der darum kämpfen musste, die Fassung zu wahren, konnte nicht anders. In 90 Spielminuten und vor allem den sieben zusätzlichen Nachspielzeit hatte sich eine Menge angestaut. Der Fußballlehrer von Borussia Dortmund servierte nach dem wahnwitzigen 3:3 (2:0) beim VfB Stuttgart eine schonungslose Analyse, die beim Ruhrgebietsklub noch nachhallen wird.

BVB-Trainer Edin Terzic war nach dem Dortmunder Fiasko in Stuttgart stinkig.
BVB-Trainer Edin Terzic war nach dem Dortmunder Fiasko in Stuttgart stinkig. © firo

BVB-Trainer Edin Terzic zählt seine Mannschaft an

„Es gibt halt Gründe, warum wir es in den vergangenen zehn Jahren nicht geschafft haben, ganz oben zu stehen“, begann Terzic seinen dreieinhalb Minuten langen Monolog über das wiederkehrende Phänomen leichtsinnig einzureißen, was vorher mühsam errichtet worden ist.

Rumms.

„Ihr wisst“, sagte der 40-Jährige in Richtung der Journalisten, „dass das eigentlich der Raum ist, in dem ich meine Mannschaft, uns als Gruppe und die Energie beschützen möchte. Aber heute fällt es mir schwer, weil es einfach so unnötig, so dumm ist.“

Rumms.

Große Enttäuschung beim BVB nach dem peinlichen 3:3 beim VfB Stuttgart.
Große Enttäuschung beim BVB nach dem peinlichen 3:3 beim VfB Stuttgart. © firo

Unnötig, dumm. Terzic hätte auch noch schlimmere Worte wählen können, um Dortmunds Auftritt in der zweiten Halbzeit zu beschreiben. In die ging der BVB ja in Überzahl nach der Gelb-Roten Karte für Konstantinos Mavropanos (39.), und mit einem Zwei-Tore-Vorsprung dank Sebastien Haller (26.) und Don­yell Malen (33.). „Es war alles vorbereitet, um die drei Punkte mitzunehmen“, meinte Terzic.

Der BVB gibt sich völlig auf

Am Ende wurde es einer, ein Remis, „das sich wie eine Niederlage anfühlt“, meinte Mittelfeldabräumer Salih Özcan. Der BVB gab sich nach der Pause völlig auf. Er führte Zweikämpfe nur noch halbherzig, er verlor die Ruhe im Spielaufbau, kam nicht mehr hinter Stuttgarts Abwehrreihe. Oder in Terzics Worten: „Es gab nur eine Möglichkeit, dem Gegner die Tür noch einen Spalt zu öffnen: Wenn wir die Disziplin verlieren.“ Und weiter: „Es funktioniert nur, wenn jeder einzelne die Verantwortung übernimmt, und nicht denkt, der neben mir wird es schon irgendwie richten.“

Rumms.

Dortmunds in der Rückrunde hochgelobte und am Samstagnachmittag tief gefallene Stars verspielten innerhalb einer Halbzeit die Chance, nach Punkten mit Tabellenführer Bayern München gleichzuziehen – der Rekordmeister hatte beim 1:1 gegen die TSG Hoffenheim ebenso gepatzt. Weil Stuttgarts eingewechselter Tanguy Coulibaly (78.) beim Anschlusstor den überforderten Julian Ryerson ausdribbelte und Josha Vagnoman den Ball kurz danach zum Ausgleich über die Linie (84.) drückte. Joker Giovanni Reyna brachte den BVB zwar in der Nachspielzeit (90.+2) wieder in Führung. Es folgte allerdings eine Kettenreaktion dilettantischen Verteidigens vor Silas’ erneutem Ausgleich (90.+7), als Marco Reus zurücktrabte, Raphael Guerreiro sich beim Herausrücken völlig verschätzte und Reyna Vagnomans Flanke unter Sicherheitsabstand zuließ. Dass der unglückliche wie bemitleidenswerte Debütant Soumalia Coulibaly anschließend ein Luftloch schlug, passte ins Bild. Anschließend musste der 19 Jahre alte Franzose widerliche Beleidigungen im Internet ertragen.

BVB-Kommentar: Diese nächste Peinlichkeit muss Konsequenzen haben

Verletzungen und Erkrankungen habe seine Mannschaft überstanden, nach dem Absturz auf Platz sechs sich „zwei Monate alles um die Ohren werfen lassen müssen“ und sei „mit ganz viel Wut und Fleiß in die Vorbereitung im Januar gestartet“, beklagte Terzic. Man habe sich in eine hoffnungsvolle Ausgangslage gebracht: „Und dann schenken wir das einfach so ab.“ Am Ende hatten die Dortmunder gar Glück, dass Serhou Guirassys Tor kurz nach der Pause wegen hauchzarter Abseitsposition zurückgenommen wurde. „Wir haben in der zweiten Halbzeit vier Tore kassiert – das muss man erst mal schaffen gegen zehn Leute“, spottete Sportdirektor Sebastian Kehl am Samstagabend. Am Sonntag wollte sich der 43-Jährige nicht mehr zum Auftritt seiner Auswahl äußern. Es war ja auch schon alles gesagt worden von Edin Terzic in dieser bemerkenswerten Pressekonferenz. Auch folgendes gehörte dazu: „Es gibt noch so viel, für das es sich lohnt zu kämpfen.“

Mehr BVB-News

Dortmund taumelt weiterhin zwischen Meisterschaftshoffnungen und der Mentalitätsdebatte – wieder mal. Zwei Punkte sind die Münchener voraus, sechs Spiele bleiben, den Rekordmeister zu überholen. Terzic konnte daher auch nicht anders, als seinem Naturell zu entsprechen: Hoffnung zu verbreiten. „Bei all der Enttäuschung geht es darum, nach vorne zu schauen und endlich aus diesen unnötigen Rückschlägen zu lernen und sie nicht wiederkehren zu lassen“, forderte der Sauerländer: „Es wird keiner für uns tun, sondern das geht nur, wenn wir es tun – und es ist meine Verantwortung, derjenige zu sein, der als Erster die Brust nach vorne schiebt und nach vorne schaut.“

BVB am Samstag gegen Eintracht Frankfurt

Dann wird Terzic Eintracht Frankfurt erblicken, der Europa-League-Sieger reist am Samstagabend (18.30 Uhr/Sky) ins Ruhrgebiet – und es drohen neue Probleme. Der erkrankte Mats Hummels (34) musste mit Kreislaufbeschwerden in der Kabine bleiben, Niklas Süle (27) fiel in Stuttgart mit Muskelproblemen aus – und Nico Schlotterbeck (23) hat gerade erst damit begonnen, fürs Comeback auf dem Rasen zu schuften. Edin Terzic muss nicht nur die richtigen Worte finden, sondern möglicherweise auch eine neue Innenverteidigung.