Dortmund. Borussia Dortmunds Geschäftsführer drückt Schalke im Abstiegskampf die Daumen. Das Revierderby gegen die Gelsenkirchener will er nicht missen.

Als früherer Fußballer auf hohem Amateurniveau liebt Hans-Joachim Watzke das Spiel als solches. Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund mag es deshalb auch, nah bei der Mannschaft zu sein, sich auszutauschen, sich auch einzumischen. Seit Monaten aber liegt der Fokus der Arbeit des 61-Jährigen auf dem Krisenmanagement: Die Corona-Panademie trifft auch einen Branchengiganten wie den BVB hart. Auch deshalb bleibt die Champions League das Ziel. Ein Gespräch über eine komplizierte Lage und deren Auswirkungen.

Herr Watzke, an diesem Samstag tritt der BVB beim SC Freiburg an – einem Gegner, der mit bescheidenen Mitteln Bemerkenswertes leistet. Bewundern Sie das? Und ärgert es Sie, dass Ihre Mannschaft wiederholt über solche Gegner stolpert?

Hans-Joachim Watzke: Ich glaube, dass Letzteres gegenwärtig leider ein Stück weit normal ist. Die Diskussion wird allerdings mitunter auf uns zugespitzt, was nicht immer fair ist. Die meisten Topvereine in Europa haben aktuell große Schwierigkeiten, Konstanz zu zeigen. Denn die großen Klubs, die im Europapokal spielen, haben ihren Spielern eine Menge zumuten müssen. Spiele im Drei-Tage-Rhythmus, kaum Erholungsphasen, nicht mal eine echte Winterpause. Dann verliert eben Real Madrid zu Hause gegen Levante, der FC Liverpool gegen Brighton & Hove Albion oder Paris Saint-Germain beim FC Lorient – und Bayern München scheidet in Kiel aus dem DFB-Pokal aus. Man sollte dabei – bezogen auf uns - aber nicht vergessen, dass wir in den vergangenen beiden Jahren ziemlich souverän Vizemeister geworden sind. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir seit 2018 jedes zweite Spiel verloren haben.

Und zu Freiburg…

Freiburg macht Weltklasse-Arbeit. Der Sportclub wird mit seinen Mitteln vermutlich nie die Meisterschaft holen, das geht heutzutage womöglich einfach nicht mehr. Aber was dort in den vergangenen zehn, zwölf, vierzehn Jahren geleistet wurde, ist wahrscheinlich mit das Beste, was es je im deutschen Fußball gab. Ich habe allerhöchsten Respekt vor dieser Leistung und betone das ja seit langer Zeit.

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Holt denn der BVB aktuell alles aus seinen Möglichkeiten heraus?

Die Saison ist bis jetzt in den Pokalwettbewerben gut gelaufen. Wir sind in der Champions League mit 13 Punkten Gruppensieger geworden, wir stehen im Viertelfinale des DFB-Pokals. In der Bundesliga entspricht der sechste Platz aktuell natürlich nicht unseren Ansprüchen, und deswegen kann man auch nicht komplett zufrieden sein. Aber es ist ja nicht so, dass die Champions-League-Plätze außer Reichweite sind.

Dennoch haben Sie den Trainer gewechselt. Tabellarisch hat das den BVB noch nicht wirklich vorangebracht.

Unsere jüngsten Niederlagen hatten wir in Leverkusen und Gladbach, und ich hatte in beiden Spielen nicht das Gefühl, dass wir unbedingt verlieren mussten. Das ist bei allem Respekt schon etwas anderes, als wenn du nacheinander zu Hause 1:2 gegen Köln und 1:5 gegen Stuttgart verlierst. Lassen Sie uns das Ganze bitte differenziert betrachten: Das Entscheidende ist, dass wir aktuell wieder besser Fußball spielen. Wir kreieren viel mehr Torchancen, wir stellen unser System gerade um auf eine aggressivere Spielweise, wir pressen deutlich mehr. Aber einen solchen Wechsel in der Herangehensweise kannst du nicht binnen weniger Wochen reibungslos durchziehen. Die Spiele in Leverkusen und Gladbach waren für neutrale Zuschauer tolle, unterhaltsame Spiele. Nach den Partien gegen Köln und Stuttgart bin ich ehrlich gesagt nicht nach Hause gegangen und habe zwingend gedacht: ‚Eigentlich haben wir ganz gut gespielt.‘ Das ist der zentrale Unterschied.

Sie haben also nicht das Gefühl, dass Lucien Favre vielleicht auch oft Unrecht getan wurde - von Ihnen, von den Fans, von uns Medien?

Ich halte nichts davon, dass sich in Deutschland im Nachhinein immer jemand ein Büßergewand überziehen muss. Wir haben diese Entscheidung bei Borussia Dortmund in größter Einmütigkeit getroffen. Alle Entscheidungsträger, natürlich auch die für den Sport verantwortlichen Michael Zorc und Sebastian Kehl, haben eine klare Meinung vertreten. Das ist aber keine Kritik an Lucien Favre, nicht einmal im Ansatz. Lucien hat hier über mehr als zwei Jahre sehr, sehr gute Arbeit geleistet. Viele Medien, das wissen Sie nur zu gut selbst, haben in den vergangenen Jahren immer wieder berichtet, dass wir uns von ihm trennen würden. Häufig wurde über angeblich bereits feststehende Nachfolger berichtet – für uns war das aber nie ein Thema, wir haben immer aus Überzeugung an ihm festgehalten, haben den Vertrag verlängert. Ich halte Lucien für einen exzellenten Trainer und einen feinen Menschen. Aber irgendwann kommst du aus sportlichen Gründen mal an einen Punkt, an dem du das Gefühl hast, dass du eine Veränderung benötigst. Und an diesem Punkt waren wir nach den Spielen gegen Köln und Stuttgart.

Was muss denn passieren, damit Edin Terzic über das Saisonende hinaus im Amt bleibt?

Wir sind, was das angeht, sehr entspannt. Zwischen Edin und uns herrscht die größtmögliche Offenheit. Seit vielen Jahren. Ich bin wegen der Corona-Pandemie schon seit etlichen Monaten sehr weit weg von der Mannschaft, in meinem Arbeitstag geht es seit März 2020 um ganz andere Themen – nämlich darum, wie ich den Klub wirtschaftlich gesund durch die größte Krise seit dem Jahr 2005 bringe. Ich war seit sieben oder acht Monaten bei keiner Mannschaftssitzung mehr – wenn ich denn dort nicht gerade selbst etwas bezüglich unserer Situation zu berichten hatte. Und da ich mir seit einem Dreivierteljahr noch maximal ein Training pro Woche anschauen kann, halte ich mich in der Beurteilung der sportlichen Situation sehr zurück und höre verstärkt auf Michael Zorc, Sebastian Kehl und deren Expertise. Irgendwann werden wir eine Entscheidung bezüglich der Trainerposition treffen, und da wird der Input von Michael und Sebastian die entscheidende Rolle spielen – am meisten natürlich der von Michael als Sportdirektor. Wir lassen uns nicht treiben und nehmen uns alle Zeit, die wir benötigen.

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Trotzdem haben Sie ja ein Anforderungsprofil an einen Trainer, und Sie entscheiden am Ende mit.

(lacht) Das Anforderungsprofil ist einfach: Ein BVB-Trainer sollte schönen, emotionalen Fußball spielen lassen und uns in die Lage versetzen, möglichst viele Spiele zu gewinnen.

Passt das auf Marco Rose?

Das passt auf eine ganze Menge Trainer auf dieser Welt, Sie werden keine Namen von mir hören. Ich bin schon zu Marco Rose, zu Julian Nagelsmann, zu Jesse Marsch und zu vielen anderen gefragt worden. Es wäre respektlos, über einen Trainer zu sprechen, der aktuell bei einem anderen Klub arbeitet. Stellen Sie sich doch mal vor, ein Kollege aus der Bundesliga würde mit den Medien über einen Spieler oder Angestellten von Borussia Dortmund sprechen und sagen: ‚Ich kann mir gut vorstellen, dass der in der nächsten Saison bei uns ist.‘ Wissen Sie, was ich mit dem machen würde?

Wird als Trainer beim BVB gehandelt: Gladbachs Marco Rose.
Wird als Trainer beim BVB gehandelt: Gladbachs Marco Rose. © Getty

Nichts Nettes.

Sehen Sie… - und deswegen spiele ich diese Spielchen nicht mit. So sehr ich akzeptiere, dass sie zu Ihrem Beruf gehören.

Sie werden bald auch einen neuen Sportdirektor brauchen, Michael Zorc hört 2022 auf.

Wir haben immer gesagt, dass wir die Entscheidung im ersten Halbjahr 2021 treffen werden. Wir haben obendrein immer gesagt, dass Sebastian Kehl in der Pole Position ist. Und wir haben das auch nie widerrufen.

Das heißt, dass er Ihnen dazu auch noch keinen Anlass gegeben hat?

Genau. Sebastian Kehl ist BVB-Meisterspieler, er ist ein integrer Mann, und er ist sehr engagiert. Wir machen wie immer am Ende der Saison eine sportliche Bestandsaufnahme, und dann werden wir auch dieses Thema gemeinsam besprechen. Ich habe diesen Klub nie so geführt, dass ich derlei Entscheidungen alleine treffe.

BVB will DFB-Pokalsieger werden

Ist es ein Problem für jeden BVB-Verantwortlichen, dass Platz zwei inzwischen als Selbstverständlichkeit und nicht als Erfolg gesehen wird?

Ist das jetzt die Selbstkritik eines Journalisten - oder ist die Frage wirklich an mich gerichtet? Ich habe sehr wohl den Eindruck, dass diese zwei Vizemeisterschaften zuletzt nicht vom Himmel gefallen sind. Wenn wir Vizemeister werden und Bayern München ist gerade nicht Dritter geworden, gibt es schon angesichts der enormen wirtschaftlichen Unterschiede überhaupt keinen Vorwurf, den man irgendjemandem machen kann. Im Gegenteil: Dann haben wir unseren Job gut gemacht! Aber die Sport-Berichterstattung in Deutschland amerikanisiert sich zunehmend. Das heißt etwas überspitzt formuliert: Du hast in der Bundesliga einen Gewinner und mindestens ein Dutzend Verlierer. Das macht das Leben für dieses Dutzend nicht gerade leichter. Gute Platzierungen, immer auch gemessen an dem, was wirtschaftlich möglich ist, interessieren heute kaum noch. Du musst offenbar zwingend Titel vorweisen, obwohl die Struktur in Deutschland mittlerweile so ist, dass die Meisterschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit immer an Bayern geht. Leider wird das mitunter völlig ausgeblendet. Aber dieses Jahr gibt es ja immerhin einen neuen Pokalsieger…

Der jetzt zwangsläufig Borussia Dortmund heißen muss?

Zwangsläufig nicht, das ist ja kein Automatismus. Wir haben aber schon im August gesagt, dass wir Pokalsieger werden möchten. Und das war damals eine mutige Aussage, wenn man sieht, wer mittlerweile alles ausgeschieden ist.

Die Meisterschaft ist kein offizielles Saisonziel. Ärgert es Sie dennoch, dass sie für den BVB schon so früh faktisch außer Reichweite ist?

Ich hatte schon im Sommer nicht das Gefühl, dass wir um die Meisterschaft spielen können. Das ging bereits am Ende der vergangenen Saison los, als wir die letzten Heimspiele gegen Mainz und Hoffenheim ziemlich sang- und klanglos verloren haben. Dann haben wir auf dem Transfermarkt, auch aus den bekannten Gründen, relativ wenig gemacht. Wir haben Jude Bellingham, einen gerade erst 17 Jahre alt geworden Spieler, geholt, der eine riesige Veranlagung hat. Und wir haben bewusst nicht über die Meisterschaft gesprochen. Man muss schon aufpassen, dass man das Maß nicht verliert. Man verlangt im Offensivbereich von zwei 20-Jährigen, einem 18-Jährigen und einem 17-Jährigen, dass sie ständig die Welt aus den Angeln heben sollen. Das gelingt auch mal in einem Spiel, aber das kannst du in diesem Alter nicht permanent leisten. Wir bemühen uns, das Potenzial des Teams vor jeder Saison sehr realistisch einzuschätzen. Bedeutet in diesem konkreten Fall: Wir haben die Mannschaft so aufgestellt, dass wir glauben, von ihr die Qualifikation für die Champions League erwarten zu können. Gelingt dies, bin ich sicher, dass wir für die nächsten Jahre einen Kader haben, der noch längst nicht den Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit erreicht hat – gerade, was die Konstanz angeht. Dass diese Mannschaft an einem außergewöhnlichen Tag in der Lage ist, außergewöhnliche Dinge zu vollbringen, haben wir ja alle miteinander schon erlebt.

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Dass junge Spieler Leistungsschwankungen haben, muss man einplanen. Hätte man aber von den Routiniers in Sachen Stabilität nicht mehr erwarten müssen?

Leistungsschwankungen hat erst einmal jeder. Ich habe aber schon den Eindruck, dass viele Routiniers das Ding in den vergangenen Wochen gezogen haben. Ein wesentlicher Unterschied zur Hinrunde kann allerdings die Form von Jadon Sancho werden. Wenn ich ihn in der aktuellen Verfassung sehe, lacht mir wieder das Herz. Dynamik, Leichtigkeit und Selbstvertrauen kehren zurück. Er hat sich selbst aus der Leistungsdelle gezogen, und mit einem Sancho in dieser Form haben wir gleich eine andere Mannschaft, das muss man ehrlicherweise sagen. Natürlich haben die Spieler mal Leistungslöcher – und natürlich hat der Kader nicht die Breite, die er vielleicht hätte, wenn wir im Sommer mehr Geld zur Verfügung gehabt hätten. Wir haben keinen zweiten Anzug, der genauso gut passt wie der erste, aber den hat momentan doch ehrlich gesagt kaum jemand. Das liegt aber keineswegs an einer fehlerhaften Einschätzung der sportlichen Leitung, sondern daran, dass wir so massiv wie seit langer Zeit nicht mehr auf die Kostenseite achten müssen. Wir stehen hier zu unserer wirtschaftlichen Verantwortung.

Stößt der BVB momentan an Grenzen mit seinem Weg, auf junge Spieler zu setzen?

In einem Punkt haben Sie natürlich recht: Das Ganze wäre leichter mit 81.000 Zuschauern. Gerade junge, aber auch manche ältere Spieler, benötigen manchmal diesen Extra-Push. Wenn 81.000 bei uns richtig Dampf machen, bringt dir das bestimmt fünf bis zehn Prozent extra. Wir haben vor der Corona-Pandemie fast ein Jahr lang kein einziges Heimspiel verloren. Und in der Corona-Krise habe ich irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Niederlagen es zu Hause waren. Gerade junge Spieler benötigen natürlich den Support einer solchen Kulisse – manche wechseln ja auch vor allem deswegen zu uns, machen wir uns mal nichts vor. Das fehlt uns momentan unfassbar. Dieser Fakt soll keine Entschuldigung sein für den aktuellen Tabellenstand, aber es ist ein Aspekt von vielen, die in eine vielschichtige Betrachtungsweise einfließen sollten. Ich weiß, dass viele Menschen chronisch nach einfachen Antworten suchen. Aber die gibt es in den meisten Fällen nicht. Egal, ob im Sport oder auf anderem Terrain.

Ist denn eine Gefahr Ihres Konzepts, dass diese jungen, hochbegabten Spieler den BVB nur als Durchgangsstation sehen?

Natürlich ist das eine Gefahr, aber können Sie mir einen Alternativvorschlag machen? Wir können ja nicht beschließen, keine hochtalentierten Spieler mehr zu verpflichten und stattdessen nur noch Durchschnitt oder Minderbegabte zu holen. Klar, diese Spieler blieben dann zehn Jahre, wenn du gut zahlst, aber davon hast du sportlich auch nichts, und deswegen ist das nicht unser Weg. Unser Problem, wenn man es denn überhaupt so nennen will, ist, dass wir seit Jahren immer gefühlt im Konzert der ganz Großen mitmischen und dadurch auch im Fokus stehen. Und wenn dann ein Spieler durch die Decke geht, was glücklicherweise immer wieder passiert, kommen eben die größten und vermeintlich finanzstärksten Klubs. Und wenn die sich auf einen Spieler von uns stürzen, wird es relativ schwierig. Manchmal kann man sich wehren, im Sommer haben viele Jadon Sancho ja schon im Trikot von Manchester United gesehen, und auch Robert Lewandowski haben wir länger gehalten, als es viele vermutet haben. Aber auf Dauer ist das natürlich schwierig. Selbst Bayern München schafft es aktuell ja nicht, David Alaba zu halten. Entscheidend ist doch: Ich würde mir Sorgen machen, wenn unsere Spieler zum Neunten der italienischen Liga wechseln, das tun sie aber nicht. Und wir sollten ohnehin nicht jammern, denn wir machen es ja nicht anders. Wenn Erling Haaland in Salzburg durchstartet und für uns zu haben ist, sagen wir ja auch nicht: Bleib doch lieber noch in Salzburg, da kannst du noch zwei österreichische Meisterschaften holen.

Sie haben angesichts von Corona von der größten Krise seit 2005 gesprochen. Wie sehr belastet das den BVB? Haben Sie die Sorge, dass es den Klub weit zurückwerfen würde, wenn die Champions League verpasst würde?

Natürlich würden wir dann für den Moment ein Stück zurückfallen, aber das würden wir auch wieder lösen. Borussia Dortmund ist in den vergangenen zehn Jahren so groß und so stabil geworden, dass es nicht um die Frage geht, ob der Klub die Corona-Krise überlebt. Aber da ich ambitioniert und ehrgeizig bin, möchte ich Borussia Dortmund so stark wie möglich aus dieser Krise kommen lassen und den Status Quo möglich schnell wiederhergestellt wissen.

BVB-Chef Watzke: Träume nachts von Sieben-Tages-Inzidenzen

Was heißt das für Ihre Arbeit?

Früher habe ich vielleicht alle vier Wochen ein Gespräch mit dem Betriebsrat oder der Personalabteilung geführt, jetzt müssen wir fast jeden Tag gemeinsam Entscheidungen treffen. Natürlich haben wir momentan in Bereichen wie dem Ticketing keine Arbeit für die Mitarbeiter. Aber wir schicken die Leute nicht weg, wir sagen: Ruhrgebietsmentalität heißt, auch in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Wir haben bis heute keine Kurzarbeit angemeldet, und es gibt nun wirklich nicht viele Klubs, die das so handhaben. Wir schichten um, wir lassen die Menschen in anderen Abteilungen, die Vakanzen haben, mitwirken. Die Mitarbeiter arbeiten wunderbar mit, der Betriebsrat ist großartig, wir haben eine fantastische Sozialpartnerschaft. Obendrein führe ich seit März 2020 viele Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern. Das alles kostet viel Kraft, viel Zeit, und es wird immer wieder Rückschläge geben. Das beschäftigt uns alle beim BVB seit einem Jahr massiv. Ich träume nachts von Sieben-Tages-Inzidenzen, von Neuinfektionen und versuche, abends schon eine Hochrechnung anzustellen, wenn Medien bereits über einige Zahlen vorab berichten, die das Robert-Koch-Institut am nächsten Tag melden wird. Es hat sich einfach vieles verändert. Was mir wichtig ist: Sie haben die Frage konkret gestellt, deshalb beantworte ich sie auch auf den Fußball bezogen, weil es eben mein Job ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht wissen, dass es uns gut geht und dass wir privilegiert sind. Das Gros der Menschen in Deutschland hat ganz andere Probleme. Existenzängste, Arbeitsplatzverlust, Sorge um die Gesundheit. Wir sollten nicht klagen.

Leere Tribüne in Dortmund: Jedes Geisterspiel kostet den BVB rund vier Millionen Euro.
Leere Tribüne in Dortmund: Jedes Geisterspiel kostet den BVB rund vier Millionen Euro. © Firo

Der BVB hatte im Vergleich zu den Großen im Geschäft recht stabile Umsätze. Können Sie die Lücke zur europäischen Spitze sogar schließen?

Es stimmt, dass wir sehr stabil sind. Der Vergleich bezieht sich allerdings auf das vergangene Geschäftsjahr bis Ende Juni, darin waren nicht viele Heimspiele ohne Zuschauer enthalten. In der Champions League hatten wir noch alle Heimspiele mit Fans, in der Bundesliga waren es am Ende fünf Spiele ohne Zuschauer. Dieses Jahr wird sich das ändern: Jedes Spiel ohne Fans kostet uns ca. zwei bis zweieinhalb Millionen Euro, bezogen auf den Ertrag. Bei 22 Spielen inklusive Champions League und Pokal ist das eine Menge Geld. Und dieses Geld kannst du natürlich nicht mehr wegdrücken, das ist auch völlig klar. Wir hatten letztes Jahr das große Glück, dass wir kurz vor Ausbruch der Krise mit 1&1 und Puma noch zwei sehr werthaltige Verträge abgeschlossen haben. In dem Umfeld von heute wäre es wohl auch schwierig geworden, das so hinzubekommen. In jedem Fall werden die Verluste in diesem Jahr deutlich größer. Unsere Schätzung aus dem Herbst im Zuge des Jahresabschlusses ist ja bekannt.

Ist das die einzige Herausforderung für Sie persönlich?

Nein. Was mich persönlich sehr stört, ist die Tatsache, dass ich so wenig Kontakt zur Mannschaft und den sportlichen Entscheidungsträgern habe. In den ersten drei bis fünf Monaten der Pandemie hatte ich so gut wie gar keine Kontakte. Jetzt richtet sich mein ganzer Terminkalender nur noch danach, wann die nächste und die übernächste Testung ist. In Englischen Wochen sind es ja sogar drei Tests. Die übrigen Termine lege ich drum herum. Aber noch mal: Das ist kein Klagen, sondern eine Zustandsbeschreibung.

Aktuell wird wieder das Thema Gehaltsobergrenze diskutiert, damit Klubs auch nach Corona nachhaltig wirtschaften können. Was halten Sie davon?

Ich finde sie auf jeden Fall wünschenswert. Aber wo funktioniert denn eine Gehaltsobergrenze? In den USA, wo es keine gewachsenen Vereinsstrukturen, sondern ein geschlossenes Franchise-System gibt, in das man sich einkauft, was Milliarden kosten kann. Da müssen Sie bei der Liga eine Lizenz kaufen, wenn Sie am Wettbewerb teilnehmen wollen, und der Lizenzgeber kann dann alles kontrollieren. Auf- und Abstieg gibt es nicht, damit die Lizenznehmer mehr Planungssicherheit haben. Wollen wir das in Deutschland? Ich nicht, ich kämpfe seit vielen Jahren für den Erhalt der 50+1-Regel. Eine direkte Gehaltsobergrenze wird aus meiner Sicht sehr schwer durchzusetzen sein. Wir müssen versuchen, eine indirekte hinzubekommen, so dass das Gehaltsvolumen an bestimmte wirtschaftliche Indikatoren geknüpft wird. Aber auch das wird schwierig. Nur um das einmal konkret zu verdeutlichen, stellen Sie sich doch mal bitte selbst folgende Frage: Wenn der Staat Katar in einzelne Klubs investiert, die sich einem Salary Cap unterwerfen – wer verbietet es diesem Staat denn dann, dass er mit bestimmten Spielern millionenschwere Werbeverträge zum Beispiel als Tourismusbotschafter für Katar abschließt und so den Salary Cap umgeht? Wer will das denn verbieten, geschweige denn kontrollieren? Dass die Gehälter insgesamt sinken müssen, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Aber du kannst in dieser Welt nicht alles regulieren, so wünschenswert es auch wäre.

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Werden die Gehälter durch Corona denn sinken?

Ja, definitiv – im Bereich der Durchschnittsspieler. Im Bereich der Topspieler glaube ich nicht wirklich daran. Lionel Messi wird in den nächsten vier Jahren zwar vermutlich nicht noch einmal 550 Millionen kassieren, wenn die Summe denn stimmt, von der ich immer lese, aber eine signifikante Senkung bei den absoluten Topleuten erwarte ich auf lange Sicht nicht. Ich gehe allerdings stark davon aus, dass der Transfermarkt im Sommer erneut ein deutlich abgekühlter sein wird.

Sie haben das Thema Zuschauer angesprochen. Wäre es denkbar oder wünschenswert, Geimpfte früher wieder ins Stadion zu lassen?

Das ist eine Frage, die auf politischer Ebene, über Parteigrenzen hinweg und unter Einbezug des Ethikrates beantwortet werden muss. Aktuell werden die Grundrechte ja sehr deutlich eingeschränkt. Was die Menschen angeht, die geimpft und mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen gewissen Zeitraum immun sind, musst du auf Sicht de jure eine gute Begründung finden, um diese Grundrechte weiter einzuschränken. Das nimmt ja auch die Politik so wahr.

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Aber Sie hätten doch gerne so bald wie möglich wieder Zuschauer im Stadion?

Wissen Sie, was eine wirklich coole Nummer wäre? Wenn wir die Erlaubnis bekämen, Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten und die schon geimpft sind, unter Wahrung aller Regeln kostenlos zu uns in den Signal Iduna Park zu lassen, um uns bei ihnen zu bedanken. Auch das müsste natürlich genau besprochen werden mit allen zuständigen Stellen. Wir stöhnen ja alle darüber, wie sich unser Leben durch Corona verändert hat. Aber die, die unter härtesten Bedingungen jeden Tag ihre Gesundheit riskiert haben, sind für mich echte Helden. Sie einladen zu dürfen, das wäre grandios, das wäre eine große Ehre für uns. Und darüber würde sich angesichts dessen, was diese Menschen für unsere Gesellschaft geleistet haben, hoffentlich niemand beschweren, der noch nicht geimpft ist. Wir würden das sofort machen, wenn die Politik und die dafür zuständigen Menschen das irgendwann genehmigen könnten, weil es uns ein tiefes Bedürfnis ist, diesen Menschen einfach mal Danke zu sagen.

Blicken wir zum Schluss Richtung Westen. Schalke 04 droht der Abstieg.

Ich wünsche mir selbstverständlich, dass Schalke die Klasse hält, darüber müssen wir gar nicht diskutieren.

Warum?

Dortmund gegen Bayern ist international sicher ein riesiges Spiel, das Derby hat national und insbesondere für die Menschen in der Region und für die gesamte Liga aber eine enorme Bedeutung. Insbesondere auch eine emotional große. Ich drücke den Schalkern seit Wochen die Daumen. Wichtig wird sein, dass Schalke wieder eine gewisse Geschlossenheit entwickelt. Mit den handelnden Personen haben wir aktuell ein exzellentes Verhältnis, speziell mit Jochen Schneider und Alexander Jobst. Das persönliche Verhältnis und das Verhältnis zwischen den Klubs ist so gut, wie es schon ewig nicht mehr war. Und deswegen kann ich das auch aus tiefstem Herzen sagen: Eine Bundesliga ohne den Hamburger SV ist schlimm genug, eine Bundesliga ohne Schalke wäre genauso wenig wünschenswert.