Dortmund. Die Stimmung bei der Mitgliederversammlung ist nach dem Paderborn-Spiel getrübt. BVB-Boss Watzke nimmt die Profis und den Trainer in die Pflicht.
Für Marco Reus beginnt der Arbeitstag mit einem Irrtum: „Wir erwarten nicht, dass wir mit Beifall empfangen werden, da müssen wir realistisch bleiben“, sagt der Kapitän von Borussia Dortmund, kurz bevor er mit seinen Kollegen um 12.10 Uhr bei der Mitgliederversammlung des Vereins erscheint. Tatsächlich gibt es viele und lautstarke Pfiffe von den 1165 Mitgliedern, es gibt Buh-Rufe, einige schreien „Schämt euch!“. Aber es gibt auch aufmunternden Applaus.
Trotz des überaus enttäuschenden 3:3 (0:3)-Unentschiedens gegen den Tabellenletzten SC Paderborn, das auf die ebenso desaströse 0:4-Niederlage beim FC Bayern München gefolgt war, kommt es nicht zur ganz großen Abrechnung der Fans mit den Profis. Und als die Mannschaft die Westfalenhalle 3 nach einer guten Stunde wieder verlässt, sind die Unmutsbekundungen etwas leiser, der Applaus ist ein wenig lauter.
Zu verdanken ist das auch einer geschickten Ansprache des Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke. Der übt erst ein wenig Publikumsbeschimpfung („Wer vorgibt, BVB-Fan zu sein und Tore des Gegners bejubelt, sollte unsere Gemeinschaft einfach verlassen“), räumt dann Fehler in der Kaderplanung ein („Wir hätten definitiv eine zweite Nummer neun verpflichten müssen“) und übt schließlich seine Kritik an der Mannschaft in eher ruhigem, sachlichen Ton. Die erwartete Brandrede bleibt aus.
Andere Haltung beim BVB gefordert
Die Botschaften des 60-Jährigen sind trotzdem deutlich: „Wir erwecken auf dem Platz nicht den Eindruck einer stabilen Einheit oder Formation“, kritisiert er. „Das zu verbessern ist natürlich in erster Linie Aufgabe der Mannschaft und von dir, lieber Lucien Favre.“ Dass der Trainer erst einmal weitermachen darf, mindestens bis zum Champions-League-Spiel beim FC Barcelona am Mittwoch (21 Uhr/Sky), hat schon am Vortag Sportdirektor Michael Zorc dieser Zeitung gesagt: „Wir gehen mit Lucien Favre in das Spiel in Barcelona.“ Watzke bestätigt nun: „Lucien, du hast weiter unser Vertrauen.“ Doch das Aber folgt prompt: „Am Ende ist Fußball auch immer über Ergebnisse definiert. Wir wünschen uns alle, dass es dir und deinem Team gelingt, die Wende herbeizuführen.“
In die kommenden beiden Spiele müsse die Mannschaft mit einer anderen Haltung gehen: „Reißt euch zusammen, strafft euch und versucht so aufzutreten, wie es von Borussia Dortmund erwartet wird.“ Zwei Spiele, in Barcelona und bei Hertha BSC am Samstag, hat Favre also noch Zeit, die Trendwende zu schaffen. Er profitiert auch davon, dass ein Trainerwechsel inmitten einer englischen Woche den Verantwortlichen wenig sinnvoll erscheint; dass sie generell davor zurückschrecken, auf dieser Position in der laufenden Saison einen Tausch zu vollziehen. Zudem fehlt es an überzeugenden Alternativen.
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Doch das Paderborn-Spiel hat die Zweifel an Favres Arbeit noch einmal deutlich vergrößert. Natürlich: Für das teils desolate Zweikampfverhalten und die vielen einfachen Fehlpässe kann ein Trainer erst einmal nichts. Aber: In Lukasz Piszczek, Julian Weigl und Mats Hummels stellte er seine langsamsten Defensivkräfte in der Abwehr auf, dazu kam der formschwache Nico Schulz. Prompt ließ sich die Abwehrkette bei allen drei Gegentoren durch Streli Mamba (5., 37.) und Gerrit Holtmann (43.) auf einfachste Art und Weise überlaufen – auch weil vorne das Pressing nicht gelang. Wie schon seit Monaten. Auch das lässt sich dem Trainer ankreiden.
BVB-Kapitän Marco Reus stützt den Trainer
Dass Jadon Sancho (47.), Axel Witsel (84.) und Marco Reus (90.+2) noch den Ausgleich schafften, konnte weder Fans noch Verantwortliche beruhigen. Zorc sprach von der „schlimmsten ersten Halbzeit, die wir seit vielen Jahren im eigenen Stadion gesehen haben“. Auch Reinhard Rauball, der als Präsident für drei Jahre wiedergewählt wurde, nannte die Leistung „katastrophal“.
Kapitän Reus aber nimmt den Trainer auch am Sonntag ausdrücklich in Schutz: „Wir können die Verantwortung nicht immer weiterschieben“, sagt er. „Wir auf dem Platz müssen in der Lage sein, so ein Spiel wie am Freitag zu gewinnen.“ Sie sind es aber nicht, deswegen steht Favre ja derart massiv in der Kritik.
„Nur mit Worten ist es nicht getan“, mahnte Watzke seine Spieler daher. „Jetzt seid ihr gefordert, Taten folgen zu lassen.“