Dortmund. Mario Götze wurde 2014 zum WM-Helden. Vor der Nominierung am Dienstag in Dortmund steht der BVB-Profi aber auf der Kippe.
Im Obergeschoss liegt ein verdreckter Schuh, hinter Glas. Dargeboten wie ein Juwel. Mario Götze trug ihn, als er in der 113. Minute eines großen Abends in Rio de Janeiro in den argentinischen Strafraum stürmte und dort ein Tor erzielte, das kaum schöner und kaum wichtiger hätte sein können. Ein Tor zum Verlieben. Ein Tor für immer, weil es die deutschen Fußballer 2014 in den Adelsstand hievte: Weltmeister. Goldkonfettiberegnet. Ewiglich. Eigentlich.
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Löw präsentiert seinen vorläufigen Kader
Um diese Frage geht es am Dienstagmittag auch, wenn Bundestrainer Joachim Löw die Räumlichkeiten des Deutschen Fußball-Museums in Dortmund besucht, um der Öffentlichkeit seinen vorläufigen Kader für die WM 2018 in Russland zu präsentieren: Wie lang hält Dankbarkeit? Wieviel zählt sie noch in der Gegenwart? Und im Zentrum dieser Frage steht: Mario Götze, Spieler von Borussia Dortmund. Einst als Jahrhunderttalent geadelt, dann Meisterspieler und Weltmeisterschütze. Mitnehmen? Oder doch zu Hause lassen? Eine nationale Angelegenheit.
Fakt ist: Irgendwann kurz vor oder nach diesem besondersten Treffer hörte er auf, der zu sein, der er war oder der er zu sein schien. Der mit dem BVB die Champions League aus den Angeln hob und den Klub ins Finale führte. 2013. Wechsel nach München. Eine ganz ordentliche Saison. Die WM 2014 sollte seine werden. Wurde sie nicht. Zumindest nicht bis zum Finale, in dem er erst spät eingewechselt wurde.
„Mario hat möglicherweise das große Problem, und das haben alle Spieler, die in jungen Jahren so viel Erfolg hatten, mit der Außenwirkung klarzukommen“, versuchte sich Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor ein paar Wochen gegenüber dieser Zeitung an einem Erklärungsversuch und nannte als Referenzgrößen die anderen WM-Finalschützen: Helmut Rahn 1954, Gerd Müller 1974, Andreas Brehme 1990. Götze wäre aber der erste Spieler aus diesem erlesenen Kreis, der es aus sportlichen Gründen nicht zum folgenden Turnier schaffen würde. Nach Dortmund kehrte er 2016 zurück – und gibt seitdem mehrheitlich Rätsel auf. Mit einer Stoffwechselstörung fiel er zu Beginn des vergangenen Jahres bis zum Sommer aus. Seitdem wähnt er sich auf dem Weg zurück. Sehr guten Spielen folgten recht lethargische Auftritte.
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Für ihn war es eine durchwachsene Saison: 32 Pflichtspiele, zwei Tore, sieben Vorlagen, oft auf der Bank. Im Saisonfinale des BVB schmorte er dort 90 Minuten lang. Ein Politikum. Götze ist immer ein Politikum, egal, was er tut oder lässt. Auch das liegt an seinem Tor. „Er hat die Entscheidung des Trainers professionell aufgenommen. Aber natürlich war Mario nicht zufrieden“, sagt Sportdirektor Michael Zorc. Es war vor der WM-Kader-Nominierung Götzes letzte Chance, sich zu zeigen.
Leistungsprinzip außer Kraft
Die Vereins-Welt und die Löw-Welt sind jedoch vollkommen unterschiedliche. Natürlich mahnt der Bundestrainer seit Monaten das Leistungsprinzip an, doch er hat sich in der Vergangenheit auch schon sehr oft und sehr erfolgreich darüber hinweggesetzt und Spieler mit Vertrauen ausgestattet, die es seiner Meinung nach verdient hatten. Nicht aus Dankbarkeit, sondern weil Löw weiß, dass sie funktionieren können und werden in seiner Nationalmannschaft.
Mit Lars Stindl und Serge Gnabry fehlen Löw zwei Offensivspieler verletzt. Ein Plätzchen für Götze zumindest im vorläufigen Kader, der bis zum 4. Juni noch auf 23 Mann ausgedünnt werden muss, könnte sich da finden lassen, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. „Im Moment ist er noch nicht in der Form, in der wir ihn uns wünschen“, begründete Löw seinen Verzicht auf Götze bei den Länderspielen im März. Die Form ist kaum besser geworden. „Er hat ein unglaubliches Potenzial und ist ein Spieler, dem ich eigentlich auch vertraue.“ Eigentlich.