Leverkusen. . Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler glaubt vor dem Spiel gegen den BVB an die Stärke des kriselnden Gegners. Warum, erklärt er im Interview.

Aus der Loge, in der ­Rudi Völler (57) Platz nimmt, hat er einen formidablen Blick auf den Rasen der BayArena. Dort treffen am Samstag (15.30 Uhr/Sky) zwei Serientäter aufeinander: Bayer Leverkusen ist nach schwachem Saisonstart seit acht Spielen in der Fußball-Bundesliga ohne Niederlage, Borussia Dortmund seit sechs Partien ohne Sieg. Ein Gespräch mit dem Leverkusener Sportchef über Trainer, Talente und den TV-Beweis.

Herr Völler, die Begegnung mit Borussia Dortmund am Samstag ist nicht die erste in dieser Saison. Es heißt, Leverkusen habe Peter Bosz als Trainer auf dem Zettel gehabt, ehe er sich für den BVB entschied.

Rudi Völler: Wir hatten mehrere Trainer auf dem Zettel, mit denen wir gesprochen haben. Aber Gespräche zu führen bedeutet nicht zwangsläufig, denjenigen auch zu verpflichten. Da wird zunächst einmal sondiert. Es gab Trainer, die haben sich anders orientiert, andere wären gerne zu uns gekommen, aber denen haben wir abgesagt.

Ihr Trainer heißt nun Heiko Herrlich und war früher BVB-Stürmer.

Auch interessant

Völler: Wir hatten schon namentlich bekanntere Trainer als den Heiko, der ja bis dato kaum Bundesliga-Erfahrung aufzuweisen hatte. Aber wir fanden die Idee mit ihm super. Heiko ist ein Trainer, der zweimal auf beeindruckende Weise aufgestiegen ist mit einem Klub wie Regensburg, der dafür nicht unbedingt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bot. Die Entscheidung Herrlich war mutig und trotzdem kein Risiko.

Peter Bosz steht im Falle einer Niederlage des BVB in Leverkusen schon vor dem Aus. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie das?

Völler: Die Erwartungshaltung in Dortmund war natürlich durch die vielen Erfolge in den vergangenen Jahren in Verbindung mit diesem Superstart riesig. Umso größer ist jetzt das Erstaunen, dass es dann plötzlich nicht mehr so funktioniert. Aber gefühlt ist und bleibt Dortmund für mich die Nummer zwei in Deutschland. Ein Top-Klub mit hoher Qualität. Die haben jetzt sechs Mal in Folge nicht gewonnen in der Liga – stehen aber immer noch einen Punkt vor uns in der Tabelle. Es gibt immer auch mal Phasen hat, in denen es nicht so läuft.

Sie kennen das auch. Der Start in die neue Saison war nach einer missratenen letzten Spielzeit holprig.

Völler: Wir hatten nach fünf Spieltagen vier Punkte, dabei aber ganz gute Spiele geliefert. Doch eines habe ich in diesem Geschäft gelernt: Wenn du trotz ansprechender Leistungen zu wenig Punkte hast, dann ist egal, was du machst, denn es wird immer kritisch gesehen. Man wird ja nicht nach der Qualität der Arbeit bewertet, sondern letztlich nach der Frage, ob der Ball vom Innenpfosten ins Tor springt oder nicht. Wichtig ist für mich in schlechteren Phasen immer: Wie sind die Leistungen? Deswegen habe ich zu Beginn zu Heiko gesagt: Du machst das richtig gut. Wir holen im Moment nur die Punkte noch nicht.

Die Trainer-Personalie war nicht der einzige Berührungspunkt mit dem BVB seit dem Sommer. Beide Klubs tauschten – leicht zeitverzögert – die Verteidiger Ömer Toprak und Sven Bender. Haben Sie das bessere Geschäft gemacht?

Völler: Wirtschaftlich betrachtet nimmt es sich nicht viel. Ömer hatte eine Ausstiegsklausel, von der er Gebrauch gemacht hat. Weil sein Bruder Lars seit Jahren bei uns spielt, waren wir immer in Kontakt mit Sven. Für ihn war die Situation in Dortmund nicht so einfach in den vergangenen Jahren.

Was hat Sie bewogen, ihn zu verpflichten?

Auch interessant

Völler: Er ist ein absoluter Top-Profi mit einer besonderen Mentalität. Diesen Wechsel hat der BVB nur zugelassen, weil Sven ihn unbedingt wollte. Aber Sven auf Leidenschaft und Kampf zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht, dafür ist er ein zu guter Fußballer. In den vergangenen Spielen vor seiner Verletzung war er einer unserer Besten.

Ömer Toprak tut sich beim BVB noch schwer. Haben Sie eine Erklärung?

Völler: Ömer hat seine Qualitäten. Aber wie jeder Fußballer fühlt auch er sich vermutlich wohler, wenn der ganze Apparat funktioniert.

Bei der Suche nach neuen Talenten laufen sich Leverkusen und Dortmund auch über den Weg. Den nach nur einem Jahr für mehr als 100 Millionen Euro nach Barcelona weitertransferierten Ousmane Dembélé wollten Sie auch.

Völler: An Dembélé waren zehn, 15 Vereine dran. Auch unser Manager Jonas Boldt hat natürlich immer wieder von ihm gesprochen. Aber das klassische Scouten aus den 80er- und 90er Jahren gibt es nicht mehr. Wenn die Dortmunder einen wie Dembélé verpflichten, dann haben die ihn nicht klassisch entdeckt, sondern schlicht die besten Argumente gefunden, um ihn nach Dortmund zu holen.

Julian Brandt hätte der BVB einst auch gern gehabt.

Völler: Das war ein ähnlicher Fall, allerdings war Julian noch ein bisschen jünger als Dembélé. Wir haben ihn überzeugt – und zwar mit der realistischen Aussicht auf Einsatzzeiten. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Zurück zum bevorstehenden Duell mit dem BVB. In den vergangenen Jahren ging es durchaus auch mal emotional zwischen beiden Teams zu. In dem Zusammenhang fällt uns auf, dass Sie lange nicht mehr wutentbrannt von der Tribüne auf den Platz gelaufen sind.

Auch interessant

Völler: Ich habe mir auch fest vorgenommen, dass das so bleibt. Wenn ich aber das Gefühl habe, dass wir bei Schiedsrichter-Entscheidungen benachteiligt werden, dann gibt’s aber keine Gewähr (lacht). Andererseits: Ich weiß ja auch schon gar nicht mehr, wohin ich laufen sollte. Zum Schiedsrichter? Oder direkt nach Köln zum Video-Assistenten? So fit bin ich nicht mehr (lacht).

Sie stehen der neuen Technologie bekanntermaßen kritisch gegenüber...

Völler: Ich war vor der Saison positiv neugierig. Mittlerweile bin ich enttäuscht. Schiedsrichter haben immer schon falsch entschieden, das konnte passieren. Aber auch der Video-Assistent irrt noch zu häufig.

Wird sich die Technik denn durchsetzen?

Völler: Es gibt ja vermutlich kein Zurück mehr. Aber es wurde ein eklatanter Fehler gemacht.

Welcher?

Völler: Alle sagen immer, dass es jetzt viel gerechter zugeht. Was Abseitsentscheidungen angeht, mag das auch stimmen. Aber viele haben den Interpretationsspielraum bei Foul- und Handspiel unterschätzt. In der Hälfte aller Fälle käme ein anderer Schiedsrichter zu einer anderen Entscheidung. Wo ist die Wahrheit? Die Antwort ist: Es gibt sie nicht.

Also: Abschaffen?

Völler: Ich bin hin- und hergerissen. Es ist ja auch so: Für die Zuschauer im Stadion ist es nicht zu ertragen, weil sie bei jedem Tor nochmal gucken müssen, ob sich der Schiedsrichter nicht doch nochmal ans Ohr greift. Das ist ein Emotionskiller.