Dortmund. Ein Interview mit dieser Zeitung löste vor sechs Jahren eine Lawine aus. BVB-Boss Watzke sprach offen über Probleme mit Trainer Thomas Tuchel.
BVB-Boss Hans-Joachim Watzke gilt als Kritiker von Konstrukten wie RB Leipzig und TSG Hoffenheim. Die beiden Emporkömmlinge der vergangenen Jahre, jeweils mit Millionen eines Mäzens in die Fußball-Bundesliga gehievt, verstellen Borussia Dortmund gerade den Weg auf die Plätze in der Champions League. Nun steht das vorentscheidende Duell um Platz drei am Samstag (15.30 Uhr) an. Gegen Hoffenheim. Ein Gespräch.
Sie standen dem Konstrukt Hoffenheim und seinem Mäzen Dietmar Hopp stets kritisch gegenüber. Wie blicken Sie vor dem Duell auf den Konkurrenten?
Hans-Joachim Watzke: Hoffenheim hat eine außergewöhnlich gute Entwicklung genommen. Und persönlich hatte ich übrigens noch nie etwas gegen Dietmar Hopp. Er hat – wie es in Deutschland jetzt möglich ist und wie es sich auch Martin Kind in Hannover anschickt zu tun – die Mehrheit am Verein übernommen. Dietmar Hopp hat aber auch gezeigt, dass er bereit ist, sich nach den Regeln des Financial Fairplay zu richten. Sie machen das in Sinsheim sehr ernsthaft, sehr seriös und sehr gut. Was das angeht, hatte ich früher eine andere Meinung, da müssen wir nicht drumherum reden.
Sie haben eine gemeinsame Ebene mit Herrn Hopp gefunden?
Watzke: Man muss nicht immer einer Meinung sein, kann aber trotzdem vernünftig miteinander umgehen. Ich glaube, das machen wir. Nehmen Sie einmal ganz konkret das Attentat auf unsere Mannschaft Anfang April: Hoffenheim hat sich sehr schnell, sehr deutlich und sehr überzeugend auf unsere Seite gestellt. Das hatte Stil!
Inwiefern?
Watzke: Ich kann mich zum Beispiel erinnern, dass ich am folgenden Wochenende ein Spiel von Hoffenheim im Stadion gesehen habe. Viele Zuschauer haben schwarzgelbe Zettel mit Solidaritätsbekundungen für den BVB hochgehalten. Die Hoffenheimer haben Botschaften mit ähnlichem Inhalt sofort auf ihrer Homepage gehabt. Und Dietmar Hopp hat mich direkt angerufen und sehr bewegt sein Mitgefühl ausgedrückt. So etwas vergesse ich nie! Deshalb würde ich mich freuen, wenn es am Samstag im Stadion nicht wieder zu Beleidigungs-Arien käme.
Am Samstag kommt auch Julian Nagelsmann nach Dortmund. Er wird mit seinen 29 Jahren als kommender Star der Trainer-Branche gehypt und schon jetzt mit dem BVB und Bayern in Verbindung gebracht. Ist das verfrüht?
Watzke: Wenn man so eine Geschichte schreibt, wenn man – noch dazu in seinem Alter – eine Mannschaft übernimmt, die dem Abstieg entgegen taumelt und innerhalb eines Jahres ein Team entwickelt, das Chancen hat, in die Champions League zu kommen, ist es klar, dass man in den medialen Fokus gerät. Aber Julian Nagelsmann hat erklärt, dass er Trainer von 1899 Hoffenheim bleibt. Das wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein.
Sehen Sie das Saisonziel Platz drei in Gefahr?
Watzke: Ich hatte vor allem auch aufgrund der Hinrunde nie das Gefühl, dass der dritte Platz sicher wäre. Die Rückrunde war sportlich besser. Übrigens trotz der Vorkommnisse rund um das Leipzig-Spiel und das Attentat, das zweifellos eine Zäsur war, nach dem wir aber sieben Punkte aus drei Spielen geholt haben. Ich habe vor Wochen schon gesagt: Wenn es uns gelingt, dass wir im Heimspiel gegen Hoffenheim Platz drei erobern können, haben wir gute Möglichkeiten. Dieses Gefühl habe ich nach wie vor.
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Was würde es bedeuten, Platz drei zu verpassen?
Watzke: Eine Abschlusstabelle ist wie ein Zeugnis. Und die Note ist sicher besser, wenn du Dritter statt Vierter wirst. Unser Saisonziel war die direkte Qualifikation zur Champions League, möglichst durch Platz zwei. Mit Platz drei kann man gut leben. Mit Platz vier hätten wir unser Saisonziel in der Bundesliga nicht erreicht.
Nach der Saison wird entschieden, ob und wie es mit Trainer Thomas Tuchel weitergeht. Worauf kommt es Ihnen dann an?
Watzke: Es ist ganz bestimmt nicht zielführend, wenn man Gespräche damit beginnt, dass man vorher öffentlich eine detaillierte Agenda festlegt. Aber wie immer bei analytischen Gesprächen geht es ganz allgemein gesprochen neben dem Sportlichen um Dinge wie Strategie, Kommunikation, Vertrauen. Das ist ja kein Hexenwerk.
Der Trainer hat in der Zeit nach dem Anschlag als feinfühliger Krisenmanager in der öffentlichen Meinung gepunktet. Bei Ihnen auch?
Watzke: Ich bewerte alles rund um das Attentat natürlich auch vor dem Hintergrund dessen, was wir intern vertraulich miteinander besprochen haben und was möglich war.
Einen Tag nach dem Anschlag wurde die zunächst abgesagte Champions-League-Partie gegen Monaco nachgeholt. Trainer und Spieler äußerten danach sehr heftige Kritik am Spieltermin. Hat Sie das irritiert?
Watzke: (überlegt lange) Teilweise.
In der Frage ist ein klarer Dissens sichtbar geworden zwischen Ihnen auf der einen Seite und dem Trainer auf der anderen.
Watzke: Das ist so, ja.
Wie haben Sie den Abend des Anschlags verarbeitet? Sie mussten Entscheidungen treffen.
Watzke: Zunächst einmal sind vor allem die Personen betroffen gewesen, die im Bus saßen! Niemand kann nachfühlen, was sie erlebt haben! Dass es für mich eine Belastungsprobe gewesen ist – im Nicht-Wissen, ob es ein Anschlag war, ob weitere Explosionen drohen würden, womöglich sogar im Stadion, ob sich Marc Bartra leicht oder schwer verletzt hatte, ob wir unsere Großveranstaltung sicher evakuiert bekommen würden – , in einem sehr engen Zeitfenster viele Entscheidungen von Tragweite treffen zu müssen, ist korrekt. Aber sicher eine ganz andere Kategorie.
Fühlen Sie sich mit der Entscheidung von damals heute wohl?
Watzke: Es ist immer sehr einfach, rückblickend zu urteilen. Es gab nur drei Möglichkeiten: Am Tag danach zu spielen, nicht anzutreten und damit 0:3 gewertet zu werden oder aus dem Wettbewerb freiwillig auszuscheiden. Über die letzten beiden Varianten haben wir nachgedacht. Aber es war uns zu gravierend, eine solche Entscheidung über die Köpfe aller hinweg vorzunehmen. Und es hat übrigens niemand den Wunsch an mich herangetragen, so zu handeln. Auch am Folgetag nicht. Es wäre dann immer noch möglich gewesen, am nächsten Morgen zurückzuziehen, das muss man auch klar sagen. Ich habe ja nicht umsonst der Mannschaft im Gespräch am Mittwochmorgen freigestellt, dass jeder Spieler, der sich nicht in der Lage fühlt zu spielen, das selbstverständlich bis zum Nachmittag sagen kann. Auch der Trainer hatte selbstverständlich das Recht, darauf hinzuweisen. Das ist gar keine Frage. Aber mit einem solchen Szenario bin ich kein einziges Mal konfrontiert worden.
Obwohl niemand absagte, war die Kritik der Spieler am Spieltermin später deutlich.
Watzke: Alle hatten den Traum, ins Halbfinale der Champions League einzuziehen. Diese Chance hast du ja auch nicht jeden Tag. Das lässt man auch nicht einfach so sausen. Ich würde bei den Spielern, die sich inmitten einer solchen Drucksituation befanden und die nach dem Spiel physisch und psychisch verständlicherweise komplett ausgelaugt waren, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ich habe für jede Reaktion jedes einzelnen Spielers nach diesem einschneidenden Erlebnis maximales Verständnis und empfinde für sie alle den größten Respekt, denn sie standen auf dem Rasen und mussten die größte Leistung vollbringen!