Dortmund. Geschäftsführer Watzke ärgern die Vorurteile, die über den künftigen BVB-Trainer kursieren. Eine Götze-Rückkehr hält er für unrealistisch.

Herr Watzke, in Dortmund wird derzeit viel von einem vermeintlich nötigen Umbruch in der Mannschaft geredet. Stört Sie das?

Hans-Joachim Watzke: Was ist ein Umbruch? Wenn wir drei, vier Spieler holen? Das machen wir jedes Jahr. Nein, ein Umbruch ist, wenn wir die halbe Mannschaft auswechseln. Aber das wird nicht passieren. Wir müssen keine Runderneuerung der Mannschaft anstreben.

Warum nicht?

Watzke: Diese Mannschaft hat nachhaltig bewiesen, was in ihr steckt. Wir waren im letzten Jahr im Viertelfinale der Champions League und dort die einzige Mannschaft, die den späteren Gewinner Real Madrid geschlagen hat, wir waren Vizemeister und Teilnehmer eines DFB-Pokal-Endspiels, in dem es leider keine Torlinientechnologie gab.

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Aber all das ist in dieser Saison wenig wert oder finden Sie nicht?

Watzke: Dass die Mannschaft in diesem Jahr Probleme hatte, das ist klar. Die haben wir hundertfach erläutert. Aber wir werden eine gute Mannschaft haben, die auch von der Altersstruktur her nicht über den Zenit ist, sondern eher im Gegenteil. Was die sportlichen Ambitionen angeht, wird es keinen gravierenden Einbruch bei Borussia Dortmund geben.

Wie wertvoll wäre vor diesem Hintergrund eine Qualifikation für die Europa League, die dem BVB sowohl über die Liga als auch über das DFB-Pokalfinale noch gelingen könnte?

Watzke: Die wollen wir mit aller Macht, das ist doch logisch. Das noch zu schaffen, wäre gemessen an den Ansprüchen von Borussia Dortmund zwar nicht der allergrößte Erfolg, aber vor dem Hintergrund, dass wir im Februar noch Tabellenletzter waren, wäre das eine sehr ordentliche Geschichte und mit Sicherheit die größte Aufholjagd, die ein Tabellenletzter in der Bundesliga je hinbekommen hätte.

Sie sind zuversichtlich?

Watzke: Es sind noch drei Spiele zu spielen, wir treten zweimal im eigenen Stadion an. Wenn wir beide Heimspiele gewinnen, haben wir eine hohe Wahrscheinlichkeit, in der Europa League dabei zu sein. Wir sind schließlich der einzige Verein der Liga, dem Platz sieben sicher reicht. Das ist ein Vorteil. Dann würden wir mit der Sicherheit nach Berlin fahren, international dabei zu sein. Und das Finale will man ja sowieso gewinnen. Die Strahlkraft und Aussagekraft dieses Pokalendspiels ist heute viel höher als vor 20 Jahren. Das sieht man daran, dass jeder unbedingt da hin will. Es ist wirklich fantastisch. Und mit einem Sieg dort stünden wir direkt in der Gruppenphase. Das ist ein auch ökonomisches Thema, das wären 25 bis 30 Millionen Euro.

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Sie übertreiben?

Watzke: Nein, das ist konservativ gerechnet. Das hat nichts damit zu tun, dass da jetzt ein Füllhorn an Geld über allen teilnehmenden Klubs ausgeschüttet wird. Aber Borussia Dortmund ist eben Borussia Dortmund. Wir haben andere Einnahmepotenziale als viele Konkurrenten.

Das bedeutet genau?

Watzke: Ich gehe davon aus, dass wir egal gegen welchen Gegner ein gut gefülltes Stadion haben werden. Und: Wir haben Sponsoring-Verträge, die auch für die Europa League sehr werthaltig sind. Als wir die vor vielen Jahren abgeschlossen haben, da war die Europa League ein noch reizvolleres Thema für die Menschen, weil wir jahrelang international von der Bildfläche verschwunden waren. Wenn wir über die Gruppenphase hinaus noch ein, zwei Runden spielen würden, sind 30 Millionen Euro drin.

Ohne Europa-League müsste der BVB ans Festgeldkonto 

Was verändert sich, wenn es der BVB nicht nach Europa schafft?

Watzke: Unser Vorteil gegenüber einem normalen Klub, der seine Ziele verpasst, ist, dass wir die Möglichkeit haben, antizyklisch zu reagieren, weil wir die wirtschaftliche Basis haben. Nie wieder einen Euro Schulden für sportlichen Erfolg – dieser Satz bleibt auf Jahre hinweg unangetastet. Aber wenn wir die Europa League verpassen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Man kürzt die Mittel für das Mannschaftsbudget so stark, dass man nicht mehr ambitioniert genug ist. Oder man sagt: Wir wollen zwar Geld verdienen, aber jetzt müssen wir zunächst einmal in Vorleistung treten und ans Festgeld herangehen, es nicht auflösen, aber ein Stück weit abschmelzen. Das hätten wir vor.

Oder Sie verkaufen den einen oder anderen Spieler. Der wechselwillige Ilkay Gündogan könnte Geld in die Kasse bringen. Wer geht noch?

Watzke: Es ist nicht gesagt, dass wir weitere Spieler abgeben, das müssen wir nicht. Wir werden das in Ruhe entscheiden – nach der Saison.

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Welche Argumente gibt es, Stürmer Ciro Immobile zu halten?

Watzke: Eine ganze Menge. Er hat vier Champions-League-Tore geschossen, was nicht schlecht ist. In der Bundesliga hat er relativ wenig getroffen, weil er wenig gespielt hat, da vor ihm Pierre-Emerick Aubameyang sehr, sehr zuverlässig Tore erzielt hat. Das ist kein Argument gegen Immobile.

Aber er hat 18 Millionen Euro Ablösesumme gekostet, was viel ist für einen Reservisten. Für den oft so unglücklichen Henrikh Mkhitaryan investierte der BVB sogar noch deutlich mehr. Ist Ihre Geduld für ihn bald aufgebraucht?

Watzke: Ich liebe den Fußball, und wenn ich Henrikh Mkhitaryan spielen sehe, dann lacht mir oft das Herz. Im seinem ersten Jahr beim BVB hat er 13 Pflichtspieltore gemacht und neun Vorlagen gegeben. Das war nicht schlecht. Und alles war neu für ihn: die Mentalität, die Sprache, die Mitspieler. Dieses Jahr hat es nicht so optimal hingehauen, aber wegen eines nicht optimalen Jahres jetzt zu sagen, dass das nicht unser Mann ist, das wäre krank.

Nicht optimal wäre eine beschönigende Beschreibung für die Hinserie der Borussia. Wie haben Sie persönlich - mit dem Abstand von heute - diese Phase als KGaA-Chef erlebt?

Watzke: Es war furchtbar. Mit Ausnahme der Anfangszeit damals 2005 war dieses Jahr für mich persönlich die schwierigste Herausforderung. Die ganze Saison stand unter schlechten Vorzeichen. Die Langzeitverletzten, die WM und bei mir privat kam der Schicksalsschlag mit meinem Vater dazu (Hans Watzke verstarb im Spätsommer des vergangenen Jahres, d. Red.). Er hat mir in den Monaten danach sehr gefehlt, weil ich mich mit ihm immer austauschen konnte. Bei den meisten Menschen muss man davon ausgehen, dass sie einem keine wertfreie Antwort geben, sondern immer irgendwas im Hinterkopf haben. Mein Vater war einer der wenigen Menschen, bei denen ich immer wusste, dass ich eine wertfreie Antwort bekomme. So ging es dann immer weiter runter. Ich glaube aber, dass der Verein gestärkt aus der Erfahrung dieses Jahres hervorgeht. Denn die Ruhe und Besonnenheit, die dieser Verein auch in schwierigsten Phasen ausgestrahlt hat, hätte es nicht überall gegeben.

Klopps BVB-Abschied "ist die richtige Entscheidung" 

Sie betonen stets, wie wichtig das Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen, Sportdirektor Michael Zorc und Trainer Jürgen Klopp ist. Haben Sie auch daran gedacht zu reagieren und den Trainer zu entlassen?

Watzke: Ich kann nur dann reagieren, wenn ich das Gefühl habe, dass wir den falschen Trainer haben. Das hatte ich aber keinen einzigen Tag. Jeder von uns hatte das Gefühl, dass wir in einen nicht enden wollenden Alptraum abgleiten. Aber nach den acht Stunden, in denen wir die Hinrunde im Dezember analysiert haben, hatte ich wieder die feste Überzeugung, dass wir das gedreht bekomme . Da habe ich gespürt, dass wir an einem Strang ziehen.

Nun hat der Trainer vor wenigen Wochen um die Auflösung seines Vertrages gebeten. Haben Sie versucht, ihn umzustimmen?

Watzke: Über die Jahre entwickelt man ja immer mehr ein Gefühl für den anderen. Es war Jürgens Wunsch und nachdem wir uns sehr, sehr oft ausgetauscht hatten, haben wir alle zusammen das Gefühl gehabt, dass es die richtige Entscheidung ist. Diese Geschichte, die Jürgen mit uns in den letzten sieben Jahren geschrieben hat, ist eine der größten, die es in den letzten 50 Jahren im Fußball gegeben hat. Von ganz unten nach ganz oben. Aber jeder wusste, dass sie irgendwann zuende sein wird. Trotzdem hat es weh getan.

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Halten Sie für möglich, dass er mal Trainer bei den Bayern wird oder verhindert das Ihre Freundschaft?

Watzke: Ob er jemals das Bedürfnis hat, zu Bayern München zu gehen, dass muss er ganz allein entscheiden. Wir würden auch dann Freunde bleiben, das ist keine Frage.

Wäre er der Aufgabe gewachsen?

Watzke: Jürgen könnte jeden Klub dieser Welt trainieren. Er ist als Trainer absolute weltklasse. Dass er ein großartiger Kerl ist, dass er eine große Ausstrahlung hat, ist alles richtig. Aber das alles Entscheidende - und darauf reduziert sich das bei den absoluten Top-Klubs dieser Welt - ist die fachliche Kompetenz. Die brauchen niemanden, der übermäßig sympathisch ist oder freundlich, sondern jemanden, der Fußball-Fachmann ist. Und das ist Jürgen über alle Maße.

Das klingt auch fast wie ein Plädoyer für Ihren neuen Trainer Thomas Tuchel.

Watzke: Warum?

Er gilt als Fachmann, aber auch als eigenwillig.

Watzke: Er ist ein Fachmann - zweifellos! Ich möchte zum Thema Thomas Tuchel aus Respekt vor Jürgen aber noch nichts sagen. Nur das: Es gibt ganz wenige Menschen auf dieser Welt, gegen die es nicht irgendwelche Einwände von Außenstehenden gäbe. Das beste Beispiel ist, dass man damals in Hamburg Jürgen Klopp offenbar nicht haben wollte, weil er Löcher in den Jeans hatte. Es werden gerade am Anfang viele Stereotype und Vorurteile übernommen. Thomas Tuchel sollte bei uns erstmal arbeiten dürfen, bevor er in irgendeiner Art bewertet wird.

Watzke: Wolfsburg kann 50 Millionen Euro höhere Gehälter zahlen 

Im Pokalfinale kommt es zum Duell mit dem von VW unterstützten VfL Wolfsburg. Sie sind nicht gerade ein Freund dieser Art von Vereinen.

Watzke: (Lacht) Meine Position ist bekannt.

Befürchten Sie, dass Ihnen Wolfsburg nicht nur in diese Saison den Rang ablaufen könnte?

Watzke: Ich habe immer davon gesprochen, dass Dortmund der zweite fußballerische Leuchtturm Deutschlands sein soll. Da sehe ich uns absolut. Ich habe das Wort Leuchtturm bewusst gewählt, weil es etwas mit Strahlkraft zu tun hat. Unabhängig von der tabellarischen Situation wird niemand ernsthaft behaupten, dass Ein Werksklub mehr Strahlkraft hat als Borussia Dortmund. Unser Anspruch ist: Wir wollen die Menschen bewegen. Schauen Sie sich die Zahlen an: die Fans, die Fernsehquoten, das Stadion. Insofern sind das ganz sachlich betrachtet schon unterschiedliche Entwürfe, die da in Berlin aufeinander treffen.

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Wird Wolfsburg Ihnen dauerhaft einen der drei sicheren Champions-League-Plätze wegnehmen?

Watzke: Der Satz "Geld schießt keine Tore" hat null Substanz. Geld schießt zwar nicht direkt Tore, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Tore auf der richtigen Seite fallen, doch dramatisch. Wolfsburg spielt heute schon oben mit. Nicht nur, aber auch, weil es den Konzern gibt, der sagt: Macht euch keine Sorgen, das Minus gleichen wir aus. Wolfsburg kann in der nächsten Saison allein an Gehältern locker 40 bis 50 Millionen Euro mehr in die Mannschaft stecken als wir. Die Wahrscheinlichkeit, sportlichen Erfolg zu generieren, ist also deutlich höher. Hinzu kommt: Mit Allofs und Hecking hat der VfL Experten, die das viele Geld nicht unter die Leute bringen, sondern auch einen sportlichen Ertrag erzielen. Die machen es richtig gut!

Vermissen Sie München in Berlin? Man hatte sich ja so schön aneinander gewöhnt.

Watzke: Dass wir jetzt das vierte Jahr in Serie in einem Finale stehen, hat es in der Geschichte von Borussia Dortmund noch nicht gegeben. Das gibt es auch in Deutschland nicht so häufig. Dass München das Flaggschiff des deutschen Fußballs ist, ist völlig unstrittig! Aber ich finde es mal ganz cool, einen anderen starken Endspielgegner zu haben: 2012 DFB-Pokalfinale gegen München, 2013 Champions-League-Finale gegen München, 2014 DFB-Pokalfinale gegen München. Jetzt mal ein anderes Finale, das ist auch mal nicht so schlecht.

Wäre Wolfsburg dann Ihre Wahl gewesen oder hätten Sie sich einen attraktiveren Gegner gewünscht?

Watzke: Ich hätte auch gerne gegen Bielefeld gespielt (lacht)

BVB und Bayern haben "gemeinsame Verantwortung für den deutschen Fußball" 

Am Rande des DFB-Pokal-Halbfinales in München haben Sie sich mit Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge getroffen. Haben beide Seite Interesse, das Verhältnis wieder zu kitten?

Watzke: Er hat mich angerufen, und dann haben wir uns getroffen. Und ohne zu viel zu verraten war es nicht so, dass wir gesagt hätten: Wir haben uns ja eigentlich immer blendend verstanden, alles war nur ein Missverständnis.

Aber?

Watzke: Aber wir haben eine gemeinsame Verantwortung für den deutschen Fußball. Es gibt Themen, da hilft es, wenn man ab und zu miteinander spricht. Dazu muss man ja nicht befreundet sein. Und diesen Gesprächsfaden, der aus verschiedenen Gründen abgerissen war, haben wir wieder aufgenommen, aber aus rein sachlichen Erwägungen.

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Worum geht es Ihnen?

Watzke: Es geht um die Frage, wie man die Position der großen Traditionsvereine, die Deutschland bewegen, die viele Fans haben, die hohe Fernsehquoten garantieren, die die Attraktivität der Liga ausmachen, stärken kann. Wie kann man den deutschen Fußball international in allen Gremien vertreten? Das sind Themen, die die beiden größten Klubs auf höchster Ebene mal besprechen sollten, das schadet nicht.

Das heißt: Zumindest bei diesen Themen funken Watzke und Rummenigge auf der gleichen Wellenlänge?

Watzke: Wir haben insofern eine gemeinsame Wellenlänge, als wir finden, dass die Attraktivität der Bundesliga nicht nur von Bayern und dem BVB abhängen darf. Sondern dass Klubs wie zum Beispiel Köln, Gladbach, Stuttgart, Hamburg und Frankfurt ebenfalls eine zentrale Rolle spielen müssen.

Hamburg und Stuttgart könnten absteigen.

Watzke: Das möchte ich mir gar nicht ausmalen, was es für die Attraktivität und die Zuschauerzahlen der Liga bedeutet, wenn die beiden absteigen.

Das von Audi finanzierte Ingolstadt steht vor dem Aufstieg, der Red-Bull-Klub Leipzig wohl auch sehr bald.

Watzke: Wir als Borussia Dortmund können unsere Auffassung über solche Dinge immer etwas ungefilterter zum Ausdruck bringen als andere.

BVB-Rückkehr ist laut Watzke "völlig unrealistisch" 

Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie sehen, dass Mario Götze bei den Bayern trotz vieler Verletzter in Barcelona 75 Minuten auf der Bank sitzt?

Watzke: Das ist eine Entscheidung von Pep Guardiola, das geht mich nichts an. Er wird sich etwas dabei denken. Für Mario persönlich ist die jetzige sicher keine einfache Situation, aber er hat das Zeug, sich bei jedem Klub der Welt durchzusetzen.

Münchens Ehrenpräsident hat Götze attackiert und gesagt, er wirke wie ein Jugendfußballer und solle endlich erwachsen werden.

Watzke: Ich schätze und mag Franz Beckenbauer sehr. Aber was er da gesagt hat, das stimmt nicht. Mehr möchte ich nicht sagen. Denn mich damit sachlich auseinander zu setzen, ist schwierig, weil es unsachlich war. Mario ist für jeden Verein dieser Welt eine Bereicherung.

Der BVB holt ja gerne Ex-Spieler zurück, die sich woanders nicht wohl fühlen. Ist das in diesem Fall auch denkbar?

Watzke: Das ist völlig unrealistisch. Schauen Sie sich das Gehaltsniveau von Bayern und von Dortmund an. Ein Blick - und Sie kennen die Antwort selbst.