Frankfurt/Main. Der Blick auf die Stürmerpracht Argentiniens offenbart die Misere der deutschen Nationalelf. Namen wie Messi, Higuain oder Agüero steht in Deutschland ein 34-jähriger Angreifer gegenüber: Miroslav Klose. Eine Stürmerdiskussion mit Traditionswert.
Vor Länderpartien lässt der Deutsche Fußball-Bund gewöhnlich Heftchen produzieren, die nicht viel größer sind als die „Mundorgel“, dieser Klassiker des Lagerfeuer-Liedgutes, und es gibt Journalisten, die all das, was an Informationen darin veröffentlicht wird, flüssiger vorsingen können als „Die Affen rasen durch den Wald“. Wie heißen die Kinesiologen der Argentinier? Richtig, Luis Garcia und Ruben Aragus. Ernsthafter wird es mit dem Blick auf den Kader der aktuell zum Duell antretenden Teams. Im Fall der Auseinandersetzung der Mannen von Bundestrainer Joachim Löw mit den Südamerikanern am Mittwochabend in Frankfurt wird es sogar außerordentlich ernst.
Stürmerdiskussion ist in Deutschland schon zu einer Tradition geworden
Streng gegliedert, so streng wie es sich gehört, ist nämlich die Vorstellung des Gäste-Aufgebotes. Tor. Abwehr. Mittelfeld. Angriff. Weniger streng geht es auf der deutschen Seite zu. Tor. Abwehr. Und dann: Mittelfeld/Angriff. Mit Schrägstrich! Zusammengewürfelt, als gebe es in dem Land, dem einst der große Gerd Müller geboren wurde, gar keine Trennung mehr zwischen diesen Reihen. Auf einen Scherzbold in der Druckerei lässt sich der Strich nicht zurückführen. Während der argentinische Trainer Alejandro Sabella die Namen von vier reichlich jugendlichen Weltklasseartisten unter der Überschrift „Angriff“ notieren konnte, hätte Löw lediglich einen beschämend einsamen Eintrag parat gehabt. Miroslav Klose, Baujahr 1978.
Die Diskussion darüber, ob die Nation bereits von einer Stürmerkrise erfasst wurde, oder ob sie sich erst in den kommenden zwei, drei Jahren einstellen wird, hat schon eine kleine Tradition. Weil Argentinien aber mit dem Megastar Lionel Messi vom FC Barcelona, mit Gonzalo Higuain von Real Madrid, mit Sergio Agüero von Manchester City und Ezequiel Lavezzi von den Milliardären von Paris Saint Germain angereist ist (auf Carlos Tevez hat Sabella unaufgeregt verzichtet), sticht der Schrägstrich besonders ins Auge. Mario Gomez musste verletzt absagen. Bleibt nach längerem Suchen zwischen all den Mittelfeldakteuren: Miroslav Klose, der ewige Klose, der Klose, der 2001 seine Karriere im Adlertrikot startete und von dem der Satz stammt: „Da waren ja noch Spieler bei der Nationalmannschaft, da kennt man die Namen nicht mehr.“
Der Nationalelf scheinen im Sturm einfach die Alternativen zu fehlen
Sollte sein Erinnerungsvermögen in den anstehenden beiden Jahren weiter leiden, wird dem derzeit 34-Jährigen im Jahre 2014 gar nicht mehr präsent sein, dass Deutschland auch andere Stürmer als ihn kannte. 2014, das soll noch einmal das Jahr Miro werden. Der Bundestrainer hat zumindest erklärt, dass er bei der Weltmeisterschaft in Brasilien mit dem Wahl-Römer plant: „Selbstverständlich werde ich die nächsten zwei Jahre auf Miroslav Klose setzen. Bei ihm sehe ich die Altersgrenze so nicht.“
Die Frage ist nur, ob der vorbildliche Umgang mit dem Wunsch älterer Menschen, sich noch am Erwerbsleben zu beteiligen, aus positiven Erkenntnissen („Wenn er seine Physis hat, gehört er weiter zu den weltbesten Stürmern“) oder aus schierer Not resultiert. Wer könnte denn noch eine Angriffsrolle übernehmen? Patrick Helmes? Hat sich im nationalen Ensemble nie etablieren können. Ist schon wieder auf Monate hinaus verletzt. Kevin Kuranyi? Wurde vom Bundestrainer in die Verbannung geschickt. Spielt zwar nicht deshalb, spielt aber im fernen Russland. Oder hält sich da draußen ein junger Mann mit dem Ausbildungshintergrund Stürmer auf, der nur noch nicht so ins Blickfeld gerückt ist? Unwahrscheinlich. Weil alle Spieler der Nationalmannschaft – alle außer: Miroslav Klose – den nach den Trauerturnieren WM 1998 und EM 2000 radikal renovierten Ausbildungsstätten des deutschen Fußballs entstammen. Weil das Aufflammen von Talent auf irgendeinem Rasen oder Aschegrund außerhalb des Blickfeldes seltener ist als die Geburt eines weißen Tigers.
Die Zukunft wird Deutschland einen anderen Stürmertyp bringen
Mit dem Wurzelstock in der Hand wird Klose seine Karriere vielleicht dennoch nicht ausklingen lassen müssen. Es ist eine besondere Art der Gattung Stürmer, die Deutschland auszusterben droht. Die Gomez-Art, die Art, an der auffällt, dass sie sich auf engem Raum bewegt, und die speziell ist, wie der Bayer selbst weiß: „Ich bin dafür da, das Tor zu machen.“
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Dass Stürmer auch für mehr da sein können, dafür ist Argentinien auch ein gutes Beispiel. Lionel Messi trifft für den FC Barcelona seit Jahren in einem rasanten Rhythmus und hat sogar in der Nationalmannschaft mit zuletzt sieben Toren in drei Partien die Taktzahl erhöht. Einen Spielertypen wie den technisch brillanten, wuseligen und gedankenschnellen Weltfußballer kann sich der Bundestrainer ebenfalls als Speerspitze seiner Formation vorstellen. Thomas Müller, mit zehn Treffern hinter Klose zweitbester Schütze im Aufgebot, wurde von ihm als Alternative genannt. Über Marco Reus, der in der vergangenen Saison 18 Tore für Ex-Klub Gladbach erzielte, sagte Löw vor der EM: „Marco würde ich gerne ganz, ganz vorne sehen.“ Und Kaiser Franz Beckenbauer hat Mario Götze mit Messi verglichen. Irgendeine Weisheit wird darin sicher verborgen sein.