Düsseldorf. Berti Vogts ist nach wie vor Deutschlands letzter Europameister-Trainer. Er lobt Bundestrainer Joachim Löw, sieht die Nationalmannschaft bei 80 Prozent und prophezeit der Liga ein spannendes Titelrennen zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern.
Sein persönliches Dilemma bündelte Berti Vogts während seiner Zeit als Bundestrainer in einem bemerkenswerten Satz: „Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann er!“ Er war weder Lichtgestalt noch Sommermärchenonkel, er war der Fußballlehrer mit dem Imageproblem. Erfolglos aber blieb er nicht: Der Mann, der schon als Spieler 1974 Weltmeister geworden war, krönte seine Trainerlaufbahn 1996 mit dem Gewinn der Europameisterschaft in England. Beim Gespräch in einem Düsseldorfer Hotel nimmt der 65-Jährige, der seit vier Jahren als Nationaltrainer von Aserbaidschan arbeitet, nicht nur die aktuelle deutsche Nationalmannschaft unter die Lupe, sondern beurteilt vor dem Bundesligastart auch die Lage beim Meister Borussia Dortmund, beim Herausforderer FC Bayern und bei seiner alten Liebe Borussia Mönchengladbach.
Nach Ihnen hat kein Bundestrainer mehr einen Titel gewonnen. Hätte das deutsche Team dies bei der Europameisterschaft 2012 ändern müssen?
Berti Vogts: Bis zum Viertelfinale waren wir mit Abstand die beste Mannschaft. Besser als die Spanier, deren Ballgeschiebe ich mir schon nicht mehr anschauen konnte. Aber die konnten dann im Finale noch zulegen. Wir dagegen haben es den Italienern zu leicht gemacht. Ich hatte erwartet, dass wir ins Endspiel kommen würden.
Sie kennen das aus Ihrer Zeit, für Joachim Löw war es neu: Nach dem Halbfinal-K.o. stand er in Teilen der Öffentlichkeit schwer in der Kritik.
Vogts: Diese Diskussion um ihn durfte gar nicht erst aufkommen. Was er geleistet und aufgebaut hat, zuvor auch schon in Verbindung mit Jürgen Klinsmann, das ist aller Ehren wert. Löw hat die Mannschaft ja sogar noch weiterentwickelt, deshalb ist es großer Bullshit, ihn nach einer Niederlage zu zerreißen. Ich habe ihn auch direkt angerufen und ihm geraten, dass er jetzt bloß nicht den Fehler einer Kurzschlusshandlung machen soll.
Es hieß, der deutschen Mannschaft fehle die Siegermentalität.
Vogts: Die war aber in den ersten vier Spielen da. Ich denke, wir haben gegen Italien aufgrund des jugendlichen Elans verloren. Wir haben jetzt eine Generation, die ganz anders spielt als andere vor ihr, viel eleganter. Aber wir sind noch nicht so weit, dass man uns die Brasilianer Europas nennen könnte, da sind die Spanier weiter. Du brauchst auch mal ein paar Säcke, die Aggressivität reinbringen, die ein Team auch mal wachrütteln. Wie früher ein Lothar Matthäus oder ein Matthias Sammer. Ich bin kein Freund von Stefan Effenberg, das ist bekannt, aber wie auch er bei den Bayern gefightet hat, das war beeindruckend.
In zwei Jahren wird es bei der WM in Brasilien kaum leichter werden.
Vogts: Ganz sicher nicht. In der Vorbereitung sollten die Deutschen deshalb nicht wieder die Südamerikaner zu uns holen, sondern bei ihnen spielen, dort können unsere Spieler etwas lernen. Ich denke, die Mannschaft ist erst bei 80 Prozent.
Aber es rücken regelmäßig interessante junge Spieler nach.
Vogts: Ja, ziemlich viele sogar. Dafür muss man auch mal der Liga Dank sagen, die in ihren Akademien hervorragend arbeitet.
Auch die Trainer haben umgedacht. Früher saßen U-21-Nationalspieler in der Bundesliga auf der Bank, heute spielen die Besten in diesem Alter schon bei Joachim Löw.
Vogts: Die Jungs sind ja auch deutlich besser ausgebildet. Und sie machen natürlich weniger Probleme als Stars, die ihre eigenen Schwächen nicht kennen wollen.
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Macht Jürgen Klopp alles richtig?
Vogts: Er ist der Vater des Dortmunder Erfolgs, aber beim BVB passt alles. Watzke und Zorc geben dem Trainer Ruhe und Sicherheit, und er formt die Mannschaft – und zwar mit Begeisterung. Toll, wie die Dortmunder spielen. Ähnlich wie wir Gladbacher in den 70er-Jahren.
Gutes Stichwort. Ihre Borussia ist überraschend auf Platz vier gelandet, hat sich aber von mehreren Leistungsträgern trennen müssen. Ihr Urteil?
Vogts: Das Wichtigste war, sich für Lucien Favre als Trainer zu entscheiden. Es ist sein Verdienst, dass wir uns jetzt für die Champions League qualifizieren können. Man muss aber auch feststellen: Max Eberl hat genau richtig eingekauft, das sind Investitionen in die Zukunft. Favre muss die neuen Spieler zwar jetzt noch integrieren, aber ich hoffe sehr, dass sie einschlagen werden.
Und der FC Bayern? War es eine gute Idee, Matthias Sammer als Sportdirektor zu holen?
Vogts: Für den DFB ist es schade, aber für die Bayern enorm wichtig. Matthias Sammer ist ein anständiger Kerl. Alles, was er will und macht, dient dem Erfolg. Er wird vieles bewegen, auch mit seiner direkten, knorrigen Art – mir gefällt sie. Aber ein großes Kompliment muss man natürlich Jupp Heynckes aussprechen. Denn er hat als Trainer die Zustimmung zu dieser wertvollsten Neuverpflichtung der Bayern gegeben. Matthias hat in ihm einen Menschen, dem er voll vertrauen kann. Es wird Schlagzeilen geben – aber gemeinsam werden die beiden das aushalten.
Führt der Weg zur Deutschen Meisterschaft ausschließlich über Dortmund und München?
Vogts: Ja, nur. Entscheidend wird sein, wie sich die Dortmunder diesmal international schlagen, sie wollen ja in Europa auch mal eine Duftnote hinterlassen. Dann werden sie es in der Bundesliga auch nicht mehr so leicht haben. Es wird auf keinen Fall mehr passieren, dass Dortmund dreimal in einer Saison gegen die Bayern gewinnt.
So läuft es für Berti Vogts in Aserbaidschan
Sie sind seit 2008 Nationaltrainer Aserbaidschans. Wie entwickelt sich der Fußball in diesem Land?
Vogts: Es ist schwer, dort zu arbeiten. Wir haben Probleme, an das Mittelmaß des europäischen Fußballs heranzukommen. Die Aserbaidschaner glauben, dass das schneller gehen müsste, weil sie ja einen deutschen Trainer haben. Die Hauptrollen spielen aber andere Sportarten: Ringen, Gewichtheben, Schach. Die Kinder spielen nicht automatisch auf der Straße Fußball, sie kommen oft erst mit 15, 16 Jahren zu uns. Die Mentalität ist auch ein Problem: Kamerad, lauf du, ich spiele den Ball. Wir richten jetzt im September die U-17-WM der Frauen aus, das ist schon sehr hilfreich.
Sie nutzen oft Ihre Verbindungen nach Deutschland.
Vogts: Ja, wir machen zum Beispiel wie der DFB Leistungstests an der Uni Saarbrücken. Ich sage den Aserbaidschanern aber immer wieder: Ihr müsst euch auch helfen lassen. Mit Kritik muss man vorsichtig sein, das kennen sie nicht. Auch nicht die Vereinstrainer.
Für die sind Sie der Besserwisser?
Vogts: In Aserbaidschan arbeiten die Trainer mit den meisten Ausreden. Das Wort Regeneration kennen sie nicht, die Spieler bekommen nach den Spielen einfach frei. Dabei müssen die jungen Kerle doch etwas aufholen. Wenn ich schon höre, mein Training wäre unmenschlich – bei drei Stunden am Tag. Disziplin zum Beispiel ist langsam hinzugekommen. Vor vier Jahren habe ich gesagt: Um zehn Uhr treffen wir uns. Um halb elf kam der Erste. Aber es ist auch ein Problem, dass die Spieler zu viel Geld verdienen. Die Vereine gehören Oligarchen.
Wie erleben Sie das Land? Beim Songcontest in Baku gab es Kritik, weil Oppositionelle gegen das Regime demonstriert hatten und von der Polizei abtransportiert wurden.
Vogts: Man hätte sie demonstrieren lassen sollen. Aserbaidschan ist gastfreundlich, aber in der demokratischen Entwicklung noch nicht so weit. Wir Deutsche sollten das kleine, junge Land nicht diskreditieren. Die Verhältnisse sind kaum anders als in Russland, aber Russland wird nicht kritisiert.
Ihr Vertrag läuft bis 2014.
Vogts: Ich hatte ja eigentlich schon keine Lust mehr, aber sie haben mich noch mal überredet. Ich fühle mich dort ohnehin nicht als Trainer, sondern als Entwicklungshelfer.
In Kürze beginnt die Qualifikation für die WM 2014.
Vogts: Da hat uns das Los eine ganz leichte Gruppe beschert: mit Portugal, Russland, Israel, Nordirland...