Gelsenkirchen. Das Bayern-Interesse stürzt Manuel Neuer und ganz Schalke in die Sinnkrise. Wir sprachen mit Erik Wegener, Autor des S04-Romans "11 Feinde", über Neuer in Lederhosen, seine Karrierplanung und die Stimmung in der Kurve.

Beim Interview nach dem Länderspiel musste ich als Schalke-Fan erst mal schlucken. Er sagte irgend etwas von: »Gott sei Dank bin ich so weit weg hier in Dubai und bekomme hier nichts mit von dem ganzen Gerede.« Das war schon eine komische Aussage.

Sogar sein Berater hat ein etwaiges Interesse signalisiert.

Wegener: Thomas Kroth hat gesagt, dass wenn ein Angebot vom FC Bayern kommt, sich ein Spieler auch entsprechend Gedanken macht. Die neueste Entwicklung geht jetzt dahin, dass Neuer mit den Worten zitiert wird, dass sich das ganze ja längst erledigt hat und er bei Schalke bleibt.

Wenn Neuer gar kein Interesse an einem Wechsel hat, hätte er es doch an dieser Stelle sagen können.

Wegener: Das stimmt. Ich fand es unglücklich, wie er da aufgetreten ist. Gerade für die Fans des S04 bleibt ein übler Nachgeschmack. Denn gerade von ihm, dem »Schalker Jung«, erwartet man sofort ein klares Bekenntnis. Und das kam nicht.

Haben Sie eine Erklärung für sein Auftreten?

Wegener: Manuel ist ein blutjunger Spund, er ist erst 23 und erlebt so ein Wirrwarr um seine Person zum allerersten Mal. Es war eine schwierige Situation für ihn, zumal er auch gerade erst sein erstes Länderspiel bestritten hat. Ich kann schon verstehen, wenn Manuel in dieser Situation verwirrt war.

Beim Sieg gegen den FC Bayern ist er zur Eckfahne gelaufen, hat sie sich geschnappt und auf Kahn’sche Art gejubelt, um sich für die verpasste Meisterschaft beim FC Bayern zu rächen. Können Sie nachvollziehen, wie sich Neuer jetzt fühlt? Was geht in dem Jungen vor, da er ein Angebot vom großen FC Bayern hat?

Wegener: Manuel IST Schalke! Obwohl er noch sehr jung ist, ist er eine Ikone für viele Schalker. Er ist eine Identifikationsfigur, weil er aus der Schalke-Kurve kommt. Er hat den 19. Mai 2001 live miterlebt im Parkstadion, hat gelitten, geweint. Er stellt in gewisser Weise die ehrlichste und authentischste Verbindung zwischen der Mannschaft und den Fans, zwischen dem Ruhrgebiet und den restlichen Anhängern da draußen im Orbit dar. Andererseits kann ich verstehen, dass ihn das Angebot lockt. Es ist seine erste große Offerte und dann auch noch der FC Bayern.

Der große Konkurrent.

Wegener: Ja, aber bei den Bayern spielt er in der Champions League, steht international im Fokus, und letzten Endes geht es auch um die Nummer eins in der Nationalmannschaft. Das ist für ihn ein Riesending. Er hat zurzeit im Vierkampf um das deutsche Tor eine gute Position und sollte er zu den Bayern gehen, stehen die Chancen für so einen jungen Spieler gut, als Nummer eins nach Südafrika zu fahren. So eine Chance gab es für derart junge Torhüter in der jüngeren Vergangenheit nicht.

Höre ich da Verständnis heraus?

Wegener: Ja, denn ich denke, dass es sein Ziel sein muss, als Nummer eins zur WM zu fahren – und das wird ihm sicherlich im Kopf herumgeistern.

Und was sagen Sie als Schalke-Mitglied?

Wegener: Die andere Seite der Medaille gibt es auch. Manuel würde den Lebenstraum, mit dem FC Schalke 04 Meister zu werden, damit aufgeben. Den Traum, den alle Schalker noch im Hinterkopf haben. Das ist dann eine Art Verrat, zumindest in den Augen vieler Fans.

Das Fanlager ist also gespalten?

Wegener: Viele schieben dem FC Bayern den Schwarzen Peter zu. Die Bayern werden ja auch gerne als »Bauern« bezeichnet, und dann wird gesagt: »Den Bauern geben wir unseren Manuel Neuer nicht.«

Das hört sich ja fast an wie bei dem Wechsel von Olaf Thon zum Konkurrenten aus dem Süden 1988. Er spielte für beide Vereine und wurde von beiden Fanlagern gleichermaßen verehrt und geliebt.

Wegener: Ja, da gibt es tatsächlich gewisse Parallelen. Ein Dauerkarteninhaber erzählte mir neulich, dass auf Schalke immer acht Freunde neben ihm auf der Tribüne hocken, und bei diesen acht Fans gibt es zu den Themen, die Schalke beherrschen, meist neun verschiedene Meinungen, mindestens. Typisch Schalke!

Diese unterschiedlichen Meinungen gibt es sicherlich auch bei dem Vergleich zwischen Manuel Neuer und Michael Rensing. Was ist Ihre Meinung, wer hat die größere Qualität?

Wegener: Wie Rensing teilweise im Strafraum an den Kugeln vorbeigeflogen ist, das war schon erstaunlich. Neuer ist ein Ass in der Strafraumbeherrschung, er hat da ganz klar die Nase vorn. Außerdem: Neuer ist ein echter Killer, Rensing nicht.

Und was ist mit Adler?

Wegener: René Adler ist ein Klassekeeper. Aber auch er hat zuletzt einige Schwächen offenbart. Aber zwischen Neuer und Adler ist es schon sehr eng.

Und dann ist da noch Robert Enke.

Wegener: Er scheint bei Jogi Löw ein höheres Standing zu haben. Wenn man sich aber die Bundesliga-Tabelle ansieht, stellt man fest, dass Enke doppelt so viele Tore kassiert hat wie Manuel Neuer.

Liegt es nicht auch am Alter? Enke ist schon erfahrener als Neuer und Adler.

Wegener: Ja, aber man muss doch sehen, dass Enke in jedem Spiel ein Tor mehr kassiert als Manuel. Sicherlich hat das auch etwas mit den Vorderleuten zu tun, aber auch eben mit der eigenen Leistung. Manuel Neuer hat einfach von allen vieren das größte Talent. Er hat die intuitive Fähigkeit, alles richtig zu machen.

Und diese Fähigkeiten schreiben Sie Michael Rensing ab?

Wegener: Rensing hat sich, weil er – genau wie Neuer Schalke-Fan ist – seit Kindesbeinen Bayern-Fan ist, zu sehr auf die Nummer eins beim FC Bayern fixiert. Er hat andere Karrierechancen brach liegen lassen. Er hätte sich erstmal bei einem kleinen Klub wie etwa Bochum, Duisburg oder auch Freiburg etablieren müssen, um daraufhin zum FC Bayern als gestandener Bundesliga-Torwart mit vielleicht 40 bis 50 Ligaspielen zurückzukehren. Rensing wollte zuviel auf einmal.

Seine Zukunftsaussichten?

Wegener: In München ist er sicherlich verbrannt. Wenn ich Rensing wäre und hören würde, dass Uli Hoeneß sagt »Wir wollen Neuer«, dann ist das ein Faustschlag ins Gesicht. Schlimmer kann es ja gar nicht kommen. Rensing muss weg. In England würden sie ihn wahrscheinlich mit Kusshand nehmen.

Kommen wir noch mal zurück zum FC Schalke: Felix Magath kommt – als Alleinherrscher. Was trauen Sie ihm zu?

Wegener: Wenn ein Trainer die Schale nach Schalke holen kann, dann Felix Magath. Er hat bewiesen, dass er mit einem Topklub wie den Bayern und einem Emporkömmling wie Wolfsburg Meister werden kann. Schalke ist aber noch mal etwas anderes, das wird die Nagelprobe für ihn. Auf Schalke gibt es viel mehr Leidenschaft, mehr Unruhe, viele Quertreiber, eine spezielle Medienlandschaft und enormen Leistungsdruck, und das jede Sekunde. Damit muss Magath zuerst einmal klar kommen.

Wie lange benötigt er, um die Schale zu holen?

Wegener: Ich denke, dass es innerhalb von zwei bis drei Jahren möglich ist. Und wenn er es dann geschafft hat, kann ein Felix Magath auch direkt bei Real Madrid anrufen.

Es stehen aber nur rund fünf Millionen für Neuverpflichtungen zur Verfügung.

Wegener: Man muss sich endlich mal von dieser nervigen Tabellenplatz-Denke verabschieden. Das blockiert ja nur. Werder Bremen hat es vorgemacht und am Ende trotzdem feiern können, weil sie eine tolle Pokalsaison gespielt haben.

Das sehen viele Fans aber sicherlich anders.

Wegener: Das mag sein, aber für mich wäre es wichtig, dass die Mannschaft sich weiterentwickelt. Und viele Fans wollen auf Schalke wieder vorzeigbaren Fußball sehen. Dass die Mannschaft die Fans wieder mitreißt, dass ein Spiel gedreht wird, dass es öfter mal ein 5:0 oder ein 4:2 gibt. Das ist das Wichtige!

Bekommt Magath denn die Zeit dazu?

Wegener: Natürlich ist das mit der Geduld schwierig auf Schalke. Anderseits müsste man eigentlich Zeit ohne Ende haben. Schließlich warten die Knappen seit elenden 51 Jahren auf DEN Titel, da kommt es doch auf zwei, drei Jährchen mehr oder weniger auch nicht mehr an! Verliert Magath drei Spiele hintereinander, rufen einige Event-Fans schnell »Magath raus«, der Vorstand wird weich, und dann fliegt er vielleicht tatsächlich. Davor haben richtige Fans natürlich Angst.

Gerade auch bei diesem Vorstand, der nicht zimperlich ist, wenn es darum geht, von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten.

Wegener: Ich hoffe einfach, dass mit Magath eine klare Linie in den Verein kommt. Dafür steht ein Felix Magath ja auch. Sie sollen dem Felix die Zeit geben. Dann wird man eben im ersten Jahr Zehnter und im zweiten Jahr Achter. Na und?

...mit Manuel Neuer oder ohne ihn?

Wegener: Wenn er ginge, wäre das schon die erste Niederlage für Magath. Aber er bleibt, da bin ich ziemlich sicher. Letzten Endes passt er auch gar nicht zum FC Bayern. So ein Ruhrpottjunge gehört einfach nicht an die Säbener Straße, er passt nicht in die bayerische Kultur. Man stelle sich nur Neuer in Lederhosen vor. Geht gar nicht!

Erschienen bei 11Freunde.de