Grefrath. Das WM-Qualifikationsspiel der Deutschen Nationalmannschaft in Russland hat die Diskussion über Kunstrasen angeheizt. Die Polytan Sportstättenbau GmbH aus Grefrath ist europäischer Marktführer bei der Produktion von Kunstrasen. Der hat inzwischen fast die Qualität des Originals erreicht.

Gras kann man wachsen hören. Ein Rattern begleitet das Sprießen, nach ein paar Minuten sind wieder ein paar Quadratmeter sattes Grün entstanden. Das äußerst schnelle Wachstum der Halme ist sprichwörtlich eine Kunst: Die Polytan Sportstättenbau GmbH ist mit ihrem Standort in Grefrath europäischer Marktführer bei der Produktion von Kunstrasen.

Der ist auch nicht mehr das, was er einmal war – welch Glück für Fußballspieler. Bei ihnen ist der Belag gefürchtet, weil er den Begriff „Blutgrätsche” auf besondere Weise prägte: Wer in den Ball rutschte, musste nach womöglich Schlusspfiff Brandblasen versorgen. „Dieser Rasen wurde vor Jahrzehnten ursprünglich für American Football entwickelt und in Deutschland zum ersten Mal beim Hockey eingesetzt”, erläutert Friedemann Söll, Produktmanager bei Polytan. Dass der Fußball auf diesem Untergrund rollt, sei eigentlich eine Zweckentfremdung.

Gefühl von echten Halmen

Inzwischen hat das Unternehmen Fußballern einen eigenen Rasen ausgerollt. Streicht man mit der Hand über die frisch getufteten Bahnen, stellt tatsächlich sich das Gefühl von echten Halmen ein. Doch die Entwicklung ist weit komplexer als der bloße Produktionsvorgang. Das Rasenimitat muss vielen Anforderungen genügen, von der Haltbarkeit der Halme bis zu fußballspezifischen Eigenschaften. Der Schuh der Spieler muss unter den Ball kommen – was beim Hockeybelag nicht möglich ist; die Stollen müssen im Untergrund Halt finden. Und beim Tackling darf die Haut nicht brennen.

Partner des DFB

Auftrag vom Deutschen Fußball Verband über 25 Millionen Euro in Aussicht.

Profistadien mit Kunstrasen dienen Polytan als Referenzobjekte, den größten Umsatz mache das Unternehmen, das rund 350 Mitarbeiter am Standort beschäftigt und pro Jahr über drei Quadratkilometer seines Produkts verlegt, allerdings mit Städten und Vereinen, so Produktmanager Friedemann Söll. Darüber hinaus ist Polytan alleiniger Partner des DFB bei der Aktion „1000 Minispielfelder”, die kurz vor dem Abschluss steht. Der DFB gibt das Auftragsvolumen von rund 25 Millionen Euro an. Grundsätzlich kann man den Kunstrasen auch für den privaten Gebrauch kaufen. Polytan bietet demnächst eine ganze Kollektion für die Landschaftsarchitektur an.

Offensichtlich hat Polytan die richtige Mischung gefunden. Das Grün sieht nicht nur so satt aus wie das Original, es ahmt dessen Eigenschaften auch fast perfekt nach. „Der Ball rollt und springt so realistisch wie auf einem Naturrasen”, betont Söll. Jetzt kann man einwenden, dass diese Anpreisung die Pflicht eines Produktmanagers ist, allerdings: Die Fifa verleiht Polytan-Rasen jedes Jahr aufs Neue ihr offizielles Prüfsiegel.

Hintergrund: Der Weltverband beackert Kunstrasen mit einigem Engagement. Dahinter stehe das Ziel, weltweit gleiche äußere Bedingungen zu schaffen, so Söll. Speziell in Afrika oder Südamerika, wo das extreme Klima Naturrasen große Probleme bereitet. Wobei bislang nicht geplant sei, bei der WM 2010 in Südafrika das Imitat einzuwechseln. Doch auch in Europa böte die Züchtung aus Grefrath größere Unabhängigkeit von der Witterung. Ein Beispiel, das die deutsche Nationalmannschaft noch beschäftigen wird: Das womöglich entscheidende WM-Qualifikationsspiel gegen Russland im Moskauer Luschniki-Stadion findet auf Kunstrasen statt. „Stammt ausnahmsweise nicht von uns”, bedauert Söll. Noch einen Vorteil böte Kunstrasen. In den neuen, engen Fußballstadien hat Naturrasen bei bescheidenem Lichteinfall Probleme mit dem Wachstum. Das Dortmunder Westfalenstadion war in dieser Hinsicht berüchtigt.

Hohe Anfangs-Investition

Im Luschnikistadion ist Polytan nicht in den „Untergrund” gegangen, dafür in zahlreichen anderen. Salzburg hat gerade frisch verlegen lassen, besonders stolz ist Söll auf eine historische Stätte: Stade de Suisse, das ehemalige Wankdorf-Stadion in Bern. Die hohe Anfangs-Investition von bis zu 500 000 Euro rechne sich. Die Nachahmung habe eine wesentlich längere Lebensdauer als das Original, sei pflegeleichter und strapazierfähiger. Und dies bei intensiverer Nutzung, die dem Betreiber höhere Umsätze beschere. Das Stade de Suisse überstand ein Konzert von Robbie Williams und den Einbau eines Eishockeyfeldes ohne Schaden.

Im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz gehört der deutsche Profifußball nicht zu den „Kunst”-Liebhabern. In den ersten drei Ligen ist es ausdrücklich untersagt, künstlichen Rasen wachsen zu lassen. Immerhin hat es die Polytan-Faser auf fast alle Trainingsgelände der Bundesligisten gebracht, unter anderem bei Bayern München, Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC Berlin oder Bayer Leverkusen.

Vielleicht blocken die Profis, weil ihnen der Grasgeruch fehlt. Söll: „Wir arbeiten dran.”