Essen. Ultras bringen Spiele an den Rand eines Abbruchs. Die Klub-Verantwortlichen solidarisieren sich mit dem TSG-Mäzen - doch es geht um viel mehr.
Natürlich konnte 1989 noch niemand ahnen, wohin dies einmal führen würde. Als SAP-Gründer Dietmar Hopp beschloss, einen Teil seiner Milliarden künftig in seinen Heimatverein, die TSG 1899 Hoffenheim, zu pumpen, weil dieser nur noch in der Kreisliga kickte.
Deutschland wiedervereinigte sich da gerade. Fritz Keller winzerte im Familienbetrieb. Karl-Heinz Rummenigge beendete seine Profikarriere. Und die meisten Ultragruppierungen sollten sich erst in vielen, vielen Jahren gründen.
Ballgeschiebe aus Protest gegen Hopp-Schmähungen
Seit Samstag fragt sich nun jeder, wie weit das noch führen wird. Nach diesem Bundesliga-Spieltag, an dem die Situation eskalierte. Die Ultras fast aller Vereine beleidigten Hopp in einer geplanten Aktion mit Sprechchören oder Bannern. Einige stellten ihn auf Plakaten symbolisch ins Fadenkreuz, obwohl oder gerade weil sie wussten, dass Spiele deswegen nach dem forcierten Dreipunkte-Plan des Deutschen Fußball-Bundes abgebrochen werden könnten. Die Folge: Spielpausen.
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In Sinsheim, wo die TSG Hoffenheim längst in der Bundesliga mitmischt, wären die Profis beim Münchener 6:0-Sieg nach der zweiten Unterbrechung fast nicht mehr aus der Kabine marschiert. Die Ultras des FC Bayern hingen die beleidigenden Spruchbänder erst im letzten Moment ab. Die Spieler schoben sich die Bälle in den letzten dreizehn Minuten aus Protest nur noch gegenseitig zu.
31 Jahre nach Hopps TSG-Einstieg droht der Bundesliga ein langer Machtkampf, der sich in Wahrheit wohl eher als Kulturkampf darstellt. Und wie fast immer, wenn der Fußball mit sich selbst debattiert, stapeln sich die Meinungen. Nur miteinander wird nicht gesprochen.
Auf der einen Seite stehen die Verantwortlichen und die Funktionäre, die die Aktionen der Ultras geschlossen verurteilten und in einen großen gesellschaftlichen Zusammenhang rückten. Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sprach von der „hässlichen Seite des Fußballs“ und platzierte sich in Sinsheim demonstrativ neben Dietmar Hopp. DFB-Präsident Fritz Keller meinte im Aktuellen Sportstudio des ZDF: „Wir haben Hassbilder und Neid in unserer Gesellschaft und jetzt auch im Fußball. Es muss durchgegriffen werden.“
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Auf der anderen Seiten stehen die Ultragruppierungen. Sie beklagen zum einen, dass der DFB ausgerechnet bei Beleidigungen gegen Hopp durchgreife, der mit seinem Geld auch den Verband unterstütze. Bei rassistischen Vorfällen hingegen würde weggeschaut. Gleichzeitig sehen sie Hopp als ein Symbol für den kommerzialisierten Fußball, in dem es nur darum gehe, möglichst viele Millionen anzuhäufen.
Neu ist dieser Konflikt nicht. Doch er wurde wieder entfacht, nachdem der DFB vor Kurzem entschied, dass Borussia Dortmunds Anhänger in den kommenden beiden Jahren wegen Hopp-Schmähungen nicht mehr nach Hoffenheim reisen dürfen. Auf Kollektivstrafen wollte der Verband eigentlich verzichten. Diese seien ein Angriff auf die Fanrechte allgemein, schrieben die Bayern-Ultras in ihrer Begründung für die Eskalation. „Der Teilausschluss war auf Bewährung ausgesprochen worden. Wenn man gegen eine Bewährung verstößt, dann wird es rechtskräftig. Dem Gericht ist gar nichts anderes übrig geblieben“, erwiderte Keller.
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Bei all der Aufregung fehlt jemand, der eine Brücke über den immer tiefer werden Graben zimmert. Fritz Keller war als DFB-Präsident im letzten Jahr eigentlich angetreten, um zu vermitteln. Nach seinen Worten im Sportstudio kann er nicht mehr zurückrudern. Überhaupt wird ganz genau darauf geschaut werden, ob der DFB künftig mit gleicher Härte vorgeht, wenn andere Personen oder Minderheiten beleidigt werden. Schiedsrichter müssen nun nicht nur ein Auge auf das Spielgeschehen haben, sondern nebenbei auf die Sprechchöre der Anhänger hören.
Die neue Gangart ist eine Folge des Drei-Punkte-Plans, der von der Fifa entworfen wurde und diskriminierende Vorfälle bekämpfen soll. Als erste Maßnahme soll der Schiedsrichter unterbrechen, so dass der Stadionsprecher zur Mäßigung aufrufen kann. Im zweiten Schritt werden die Spieler in die Kabinen geschickt. Wiederholen sich die Vorfälle, wird abgebrochen.
In der vergangenen Woche wurden alle Bundesliga-Klubs noch einmal darauf hingewiesen, dass der Drei-Punkte-Plan jetzt mit aller Konsequenz umgesetzt werden würde. Denn schon zuvor hatten Ultras von Borussia Mönchengladbach aus Protest gegen die Kollektivstrafe für die BVB-Anhänger in Hoffenheim für einen Eklat gesorgt, weil sie Hopp im Fadenkreuz präsentierten. An diesem Spieltag verabredeten sich nun alle Gruppierungen zu weiterem Protest.
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Schon 2008 ging es mit der BVB-Fan-Fehde mit Hopp los
„Wenn ich nur im Entferntesten wüsste, was diese Idioten von mir wollen, dann würde es mir alles leichter fallen, das zu verstehen. Das erinnert an ganz dunkle Zeiten“, erklärte Dietmar Hopp am Sonntag bei Sport1. Allerdings arbeiten sich gerade die Dortmunder Ultragruppierungen schon lange an dem mittlerweile 79-Jährigen ab. Bereits 2008 präsentieren sie ein Plakat mit dem TSG-Geldgeber im Fadenkreuz. Es entwickelte sich eine Dauerfehde, an der auch Hopp seinen Anteil hatte. Da er etwa BVB-Fans vor einigen Jahren mit hochfrequenten Tönen beschallen ließ, um die Gesänge einzudämmen.
Am schwierigsten gestaltet sich die Frage, auf welche Seite die vielen, vielen normalen Anhänger rücken, die jedes Wochenende ins Stadion pilgern, um dort vor allem Fußball zu bestaunen. In Dortmund solidarisierten sich einige Fans mit den Ultras. In Hoffenheim mit Dietmar Hopp. „Ein Weg zur Befriedung wäre freilich, wenn der DFB wirklich die Kollektivstrafe abschafft. Dann wäre die Luft sofort raus“, sagte Sig Zelt, der Sprecher der Fan-Organisation ProFans. Karl-Heinz Rummenigge überlegte stattdessen, Ultras komplett rauszuwerfen. Der DFB-Kontrollausschuss leitete Ermittlungen ein. Und ein Vermittler? Nicht in Sicht.
Schon unter der Woche im DFB-Pokal und am kommenden Bundesliga-Wochenende droht die nächste Machtprobe.