Wolfsburg. Nach Wolfsburgs 2:3-Niederlage gegen Bayer Leverkusen hatte jeder eine eigene Version zum Platzverweis von VfL-Schlussmann Diego Benaglio.

Wenn zwei Menschen dieselbe Szene beobachten, erzählen sie hinterher oft völlig verschiedene Geschichten. Friedrich Dürrenmatt hat dieses Pänomen mal in seinem Roman „Justiz” benutzt. Da erschießt ein bekannter Kantonsrat in einem voll besetzten Züricher Restaurant einen Professor und geht am Ende straffrei aus – auch deshalb, weil sich die Zeugen wild widersprechen. So ähnlich war's nach dem 2:3 (0:1) des VfL Wolfsburg gegen Bayer Leverkusen.

Auslöser der Verwirrung: Die rote Karte für VfL-Towart Diego Benaglio (32. Minute). Für Wolfsburgs Trainer Armin Veh war's die spielentscheidende Szene und eine krasse Fehlentscheidung dazu. Vorausgegangen war eine Kollision zwischen Benaglio und Bayer-Stürmer Erin Derdiyok. „Nie und nimmer Rot”, schimpfte Veh, „selbst Derdyiok hat dem Schiri doch gesagt, dass es kein Foul war. Aber der ließ sich von seiner Entscheidung ja nicht mehr abbringen.” Mittelfeldspieler Sascha Riether, so Veh, habe dies als Ohrenzeuge berichtet.

„Zu uns hat Derdiyok in der Kabine ganz etwas anders gesagt”, trug Bayer-Chef Wolfgang Holzhäuser seine Version zur Debatte bei.

Ja, was denn nun? Die Wahrheitsfindung gestaltete sich schwierig. Vor allem, da die geeignetesten Zeugen nicht zur Verfügung standen. Zwar lieferte das TV Bilder von einem Wortwechsel zwischen Derdiyok und Schiedsrichter Thomas Brych – aber eben keinen Ton. Und die Gesprächspartner waren hinterher schweigsam bis nichtssagend: Derdiyok verkrümelte sich eiligst in den Bayer-Bus, und Brych verweigerte die Aussage. „Was auf dem Platz gesagt wird, gehört nicht hierher”, meinte er nur und verwies auf das „schwebende Verfahren”, zu dem er sich ohnehin nicht äußern dürfe.

„Was Derdiyok wirklich gesagt hat, weiß ich auch nicht”, gab schließlich noch Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler bei seinem Abschied zum Besten, „aber eine rote Karte war das auf keinen Fall.” Man konnte fragen, wen man wollte – jeder präsentierte eine andere Version.

Einig waren sich Wolfsburger und Leverkusener aber in der Einschätzung, dass Brych einen katastrophalen Tag erwischt hatte. Während sich die Gastgeber über den Platzverweis für Benaglio ärgerten, schimpften die Rheinländer über den Elfmeter in der 80. Minute, den Grafite zum 2:3 nutzte und der Bayer nach einer 3:0-Führung noch mal ins große Zittern stürzte. In der Tat hatte sich der erst kurz zuvor eingewechselte Dzeko da mehr in Hans Sarpei hineinfallen lassen als dass er umgerissen worden wäre.

Offene Fragen

Völler: „Der Schiedsrichter hat wohl in der Halbzeit gemekt, dass der Platzverweis für Benaglio ein Fehler war. Im Bemühen, die Sache zu korrigieren, hat er dann aber wirklich zu viel des Guten getan.” Damit meinte er auch die gelb-rote Karte für Derdiyok aus der 53. Minute – aber da war der robuste Bayer-Stürmer tatsächlich ein bisschen zu berserkerhaft eingestiegen.

Es bleiben eine Menge Fragen nach diesem hochklassigen Spiel zweier starker Teams. Zum Beispiel: Steckt Meister Wolfsburg nach der dritten Niederlage schon in einer Krise? Wäre dies wirklich so, hätte der VfL aber kaum so stark spielen und Leverkusen am Ende noch in so große Gefahr bringen können.

Auf einem guten Weg

Noch eine Frage: Ist Bayer, mit 13 von 15 möglichen Punkten so gut gestartet wie lange nicht mehr, schon eine Spitzenmannschaft? So wenig die Wolfsburger von einer Krise sprechen wollen, so wenig hauen die Leverkusener auf die Pauke. Ob Simon Rolfes, Stefan Kießling oder René Adler: Sie alle halten den Ball flach. „Wir sind auf dem Weg dorthin”, lautete zuammengefasst der Tenor ihrer Kommentare. Wobei allerdings Rolfes schon mal ein Ziel ins Auge fasst. „Man ist eine Spitzenmannschaft, wenn man am letzten Spieltag oben steht.”