München. Nach Mario Gomez kontert nun auch Mario Götze die Kritik des TV-Experten mit einer starken Leistung. Nun muss der Bayern-Profi Fragen zum BVB und Jürgen Klopp beantworten.

Das Schöne an Mehmet Tobias Scholl ist, dass er ein loses Mundwerk hat. Er quasselt drauf los, und das hat sich im Fernsehgeschäft bisher noch immer als zielführende Eigenschaft erwiesen.

Scholl, früher selbst ein begabter Dribbler beim FC Bayern und im deutschen Nationalteam, ist heute TV-Experte der ARD. In dieser exponierten Funktion befand der mittlerweile 45-Jährige, ein anderer begabter Dribbler vom FC Bayern und im Nationalteam sei eine faule Socke: Mario Götze. Götze müsse einfach nur, „viel, viel mehr trainieren“, sagte Scholl. Dann würden sich all die Probleme, die der 23-Jährige im Moment so schultern muss, schon auflösen.

Hectors Tor mit Pirouette eingeleitet

Das Schöne an dieser Scholl-Aussage ist, dass sie vor dem überraschend souveränen 4:1 der Nationalelf gegen Italien am Dienstagabend getätigt wurde und nun ein bisschen peinlich wirkt. Denn Götze hatte sie nicht unbeantwortet gelassen: Sein Kopfballtor zum 2:0 (Götze: „Das kommt ja nicht allzu oft vor“) sowie seine Pirouette samt Hackentrick vor dem 3:0 von Jonas Hector machten den Münchner zum Gewinner des Abends.

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61 Minuten hatte ihm Bundestrainer Joachim Löw Spielzeit gewährt – sieben mehr als sein auf der Tribüne zusehender Vereinscoach Pep Guardiola in diesem Jahr bei den Bayern. Ein nach langer Verletzung Verschmähter, der auf Seelenheilkur beim Bundestrainer endlich mal wieder Freude auf dem Rasen empfand: „Dieses Gefühl habe ich so lange vermisst“, sagte Götze. Nach all der Wartezeit wieder spielen zu dürfen und sogar noch zu treffen, das sei für ihn „wie eine Befreiung“.

Götze stand im Bauch der Münchner Arena und trug eine schwarze Baseball-Kappe, als er dies erzählte. Unter dem Schirm grinste sein Gesicht so breit, wie man das bei ihm zuletzt nach seinem finalen Siegtor bei der WM in Brasilien erlebt hatte – jenem Treffer, der die ganze Sache mit ihm erst so kompliziert gemacht hat. Dann aber hörte Götze von Scholls Kritik. Unter der Kappe verfinsterte es sich: „Das hat er gesagt?“, fragte Götze. „Wie kommt er darauf?“

Extraschicht mit persönlichem Trainer

Bei seinem Tor hatte auf der Tribüne ein Mitarbeiter seiner Beratungsfirma SportsTotal auffällig euphorisch gejubelt und später erzählt, dass Götze sich einen persönlichen Trainer engagiert und Extraeinheiten absolviert hatte, um wieder fit zu werden. Löw lobte: „Mario hat sich das selbst erarbeitet und im Training Zusatzschichten eingelegt.“

Götze jedenfalls fing sich, und das Lachen kehrte zurück. „Ich wusste nicht, dass er immer dabei ist, wenn ich trainiere. Ich nehme mir das zu Herzen, aber ich finde nicht, dass ich zu wenig trainiere“, sagte er über Scholl. Toni Kroos fand ohnehin: „Mario muss nicht mehr trainieren, sondern mehr spielen. Ich kenne kaum jemanden, der mehr trainiert als er.“

Man darf Mehmet Scholl nicht allzu ernst nehmen. Wer Experte im TV ist, muss auch mal einen raushauen, um geliebt zu werden, selbst wenn das bisweilen nach hinten losgeht. So wie damals bei Mario Gomez, der sich Scholls Meinung nach bei einem Spiel so wenig bewegte, dass er sich „wund gelegen“ habe. Im Moment erlebt Scholl also die Rache der Gescholtenen, denn auch Gomez hat sich soeben im DFB-Team vom Wundliegerimage befreit.

Argwohn seit Abschied von Borussia Dortmund

Und dennoch steht Scholls Aussage über Götze für etwas: Sie ist gewissermaßen der komprimierte Argwohn, dem sich Mario Götze seit seinem Wechsel von Borussia Dortmund zu Bayern München 2013 in der Öffentlichkeit ausgesetzt sieht. Hochbegabt, aber irgendwie nachlässig mit seinem Talent – und hochnäsig dazu. Ein Spieler auf der Suche nach Anerkennung blieb er auch nach seinem Titel bringenden Tor von Rio – ein sensibler sowieso, der immer noch erst 23 Jahre alt ist, aber schon mehr Höhen und Tiefen erlebt hat, als die allermeisten seiner Kollegen in einer ganzen Karriere.

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Zuletzt waren da wieder die Tiefen: Guardiola ließ ihn nach der Genesung von einer schweren Muskelverletzung auf der Bank schmoren. Der Katalane entzog ihm die Zuwendung. Löw gab sie ihm nun im DFB-Team zurück: „Jeder Spieler braucht das Vertrauen vom Trainer“, sagte Götze und versuchte, das nicht allzu sehr nach Guardiola-Kritik klingen zu lassen. Und dennoch wirkte es zusammen mit seinem ausgelassenen Torjubel wie ein Schrei nach Liebe. Selten hat man jemanden so emotional über einen Testspieltreffer jubeln sehen wie Götze nach dem 2:0.

Gerüchte um BVB und Klopp

Guardiola wird im Sommer aus München verschwinden und nach Manchester wechseln. Dass auch Götze die Bayern verlässt, wo er bisher nicht glücklich wurde, wollte er noch nicht kommentieren: „Ich lebe im Hier und Jetzt. Wir schauen, was passiert“, sagte der Offensivspieler. Eine Rückkehr zum BVB steht ebenso im Raum wie ein Abgang zu seinem ehemaligen Förderer Jürgen Klopp nach Liverpool.

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Für Löw jedenfalls ist Götzes Aufblühen im Biotop Nationalelf neben all den positiven Erkenntnissen aus dem Italien-Spiel eine der wichtigsten zweieinhalb Monate vor Beginn der EM in Frankreich: „Ich hoffe, dass ihm das Selbstvertrauen für die kommenden Wochen geben wird“, sagte der 56-Jährige. Er weiß nun, dass er auf Mario Götze setzen kann, wenn er sich ihm zuwendet. Mit mehr oder weniger Training hat das alles nichts zu tun.