Zürich. . Die Korruptionsermittlungen erschüttern die Fifa. Die Mehrheit für Blatter bröckelt. Wie geht's jetzt weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Die Uefa will den Fifa-Kongress nun doch nicht boykottieren, Platini droht aber mit anderen Reaktionen
- Die Mehrheit für Blatters Wiederwahl bröckelt
- Asien-Verband unterstützt Blatter – Uefa und Südamerikaner nicht
- Putin kritisiert Druck auf Blatter vor der Wahl
- Blatter vor Start des Fifa-Weltkongress abgetaucht
Uefa-Präsident Michel Platini hat für den Fall eines Wahlsiegs von Fifa-Chef Joseph Blatter einen Rückzug der europäischen Mannschaften aus allen Fifa-Wettbewerben nicht ausgeschlossen. Bei einer Sondersitzung rund um das Champions-League-Finale in Berlin werde man in der kommenden Woche "alle Möglichkeiten ins Auge fassen", sagte der Franzose am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Zürich. Auf eine entsprechende Nachfrage konkretisierte er, dass er einen WM-Boykott nicht ankündige, aber das es "demokratische Entscheidungen" der Landesverbände geben werde.
Eine weitere Option ist laut Platini offenbar ein kollektiver Austritt der europäischen Mitglieder aus dem Fifa-Exekutivkomitee. "Wenn wir diese Abstimmung nicht gewinnen, dann treffen wir uns mit allen Generalsekretären und Präsidenten beim Champions-League-Finale in Berlin. Je nach Ausgang der Wahl werden wir sehen, ob wir dabei sind oder nicht im Exko."
Platini fordert Blatters Rücktritt
Vorher hatte Platini den umstrittenen Fifa-Boss Joseph Blatter zum Rücktritt aufgefordert. "Ich habe ihm gesagt: 'Bitte verlasse die Fifa. Lass es sein'", berichtete der Franzose am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Zürich von der Unterredung mit Blatter und ergänzte: "Es wäre ein Zeichen von Größe gewesen. Fußball ist wichtiger als Personalien, aber er hat gesagt: 'Es ist zu spät. Ich kann nicht aufhören, nicht zu Beginn dieses Kongresses.'"
Platini gilt als großer Unterstützer von Blatter-Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein. Die UEFA werde zum "allergrößten Teil" für den Jordanier stimmen, erklärte er. Entgegen ursprünglichen Überlegungen wird die Uefa den FIFA-Kongress nicht boykottieren. Das teilten mehrere UEFA-Mitglieder am Donnerstag mit. Die Uefa fordert ohnehin den Rücktritt Blatters.
"Boykott ist keine Lösung"
"Boykott ist keine Lösung, das ist noch nie eine gewesen. Das war auch in der olympischen Bewegung so", sagte Reinhard Rauball als Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL) und ergänzte: "Was hier passiert, ist ein absolutes Desaster. Wir müssen den Wandel herbeiführen. Das können wir nur, wenn wir Prinz Ali wählen." Die UEFA hatte im Zuge des FIFA-Korruptionsskandals mit sieben Festnahmen von Spitzenfunktionären noch am Mittwoch die Verlegung der Präsidentschaftswahlen gefordert und einen Boykott in Betracht gezogen.
Der englische Verbandspräsident Greg Dyke sprach sich ebenfalls dafür aus, die Wahl durchzuführen. Dyke erhofft sich gute Chancen für eine Wahl al-Husseins. Offenbar scheint die bislang als sicher geltende große Mehrheit für Amtsinhaber Joseph Blatter zu bröckeln. Auch Australien hat inzwischen bekanntgegeben, für Prinz Ali zu stimmen. Der Engländer David Gill will unterdessen auf seinen Platz im FIFA-Exekutivkomitee verzichten, sollte Blatter gewählt werden.
Asiatische Verbände stellen sich hinter Blatter
Kurz vor der Wahl scheint die Mehrheit für Joseph Blatter zu bröckeln. Nach dpa-Informationen wollen die Vertreter der südamerikanischen Konföderation CONMEBOL bei internen Gesprächen am Donnerstag ihr Wahlverhalten ernsthaft überdenken.
Die asiatische Konföderation AFC erneuerte hingegen ihr Treuebekenntnis zu Blatter. In einem Statement hieß es: "Die AFC drückt ihre Enttäuschung und Trauer über die Ereignisse vom Mittwoch in Zürich aus, lehnt eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen am Freitag aber ab." Darüber hinaus stehe man zu der Entscheidung, "Fifa-Präsident Joseph S. Blatter zu unterstützen". Die AFC hat bei der Wahl 46 von 209 Stimmen.
Zeitung boykottiert Fifa-Sponsoren
Wegen des Korruptionsskandals im Fußball-Weltverband Fifa will die niederländische Tageszeitung "Nederlands Dagblad" Anzeigen von Fifa-Sponsoren boykottieren. Die Firmen müssten ihre Macht einsetzen, um die Korruption zu beenden, erklärte Chefredakteur Sjirk Kuijper im niederländischen Radio. Die Zeitung rief auch die Leser zum Boykott von Firmen wie Coca Cola, McDonald's, Adidas, Visa, Hyundai, Kia, Budweiser und Sony auf. "Die einzige Sprache, die diese Organisationen verstehen, ist Geld, und das Geld kommt von uns", sagte der Chefredakteur. Das streng protestantische Blatt hat eine Auflage von rund 20 000 Exemplaren.
Auch interessant
Am Donnerstagmittag beantragte die US-Justiz die Auslieferung von drei weiteren Verdächtigen. Die drei Argentinier sind im Sport-Marketing tätig.
Kremlchef Wladimir Putin stellte sich ausdrücklich hinter Blatter. Den USA wirft er ungerechtfertigte Einmischung vor. Die Ermittlungen seien ein Vorwand, Blatters Wiederwahl zu verhindern. Er forderte die Fifa auf, die Wahl wie geplant abzuhalten. "Wir wissen von dem Druck, der auf Blatter ausgeübt wurde, mit dem Ziel, Russland die WM 2018 wegzunehmen", sagte Putin.
Vor dem Fifa-Weltkongress war Joseph Blatter abgetaucht. Kurzfristig sagte er alle Termine vor dem Fifa-Weltkongress ab, darunter einen Auftritt beim Fifa-Medizinkongress. Ursprünglich hatte Blatter bei der seit Mittwoch laufenden Veranstaltung eine Begrüßungsansprache halten sollen.
Die Fifa steht vor einem Tag der Entscheidungen. Blatter will trotz aller Anschuldigungen den 65. Kongress der Fifa unbeirrt am Donnerstagnachmittag eröffnen. Auch die Präsidentschaftswahl mit ihm und Prinz Ali bin al-Hussein als Kandidaten soll bisher wie geplant am Freitag stattfinden.
Blatter: "Werden alle Beteiligten aus Fußball entfernen"
"Derartiges Fehlverhalten hat im Fußball keinen Platz. Wir werden dafür sorgen, dass alle daran beteiligten Personen aus dem Fußball entfernt werden", sagte Blatter in einem Fifa-Statement zu den juristischen Verfehlungen der Funktionäre, die vom Weltverband noch am gleichen Abend suspendiert worden waren.
Auch interessant
Zuvor waren unter anderen seine Stellvertreter Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo von Schweizer Behörden unter Korruptionsverdacht festgenommen worden. Im Auftrag der US-Justiz hatte die Polizei sieben Verdächtige in Abschiebehaft genommen. Gegen insgesamt 14 Beschuldigte wird in den USA ermittelt. Zudem hatte die Schweizer Staatsanwaltschaft im Zuge der Ermittlungen um die WM-Vergabe 2018 und 2022 Dokumente in der Fifa-Zentrale beschlagnahmt.
Zu einer deshalb geforderten möglichen Verschiebung des Wahlkongresses äußerte sich Blatter nicht. Das hatten dafür seine Gegner von der Uefa übernommen. In bislang nicht gekannter Wortwahl attackierten sie die Fifa-Führung und deuteten sogar die Möglichkeit eines Kongressboykotts an, sollte dieser nicht von der Fifa-Führung abgesagt werden.
Allein verhindern kann die Uefa eine Wiederwahl Blatters aber nicht. Mit ihren 53 Stimmen stellt sie nur rund ein Viertel aller 209 Fifa-Mitgliedsländer. Ein kollektives Fernbleiben der wirtschaftlich stärksten Konföderation vom Kongress würde die Fifa aber vor eine echte Zerreißprobe stellen.
Fifa-Skandale unter Blatter
Der englische Verbandschef Greg Dyke forderte als Konsequenz aus dem Skandal in der Nacht in einem Interview den Rücktritt Blatters als Fifa-Chef. (dpa)
Wie geht's jetzt weiter? – Die wichtigsten Fragen
Einen Tag nach den Festnahmen mehrerer ranghoher Fifa-Funktionäre soll in Zürich der Kongress des Fußball-Weltverbandes beginnen. Ob es dazu kommt, hängt womöglich auch von einer Sitzung der Uefa-Mitglieder ab. Gehen die Europäer tatsächlich auf Konfrontationskurs, ist Joseph Blatter als Fifa-Boss mehr denn je gefordert.
Wie geht es nach den Entwicklungen um die Fifa weiter?
Vor der geplanten Kongresseröffnung um 17 Uhr in einem Theater gibt es zwei Termine. Um 9 Uhr wurde der Medizin-Kongress fortgesetzt, für den sich auch Blatter ursprünglich angesagt hatte. Der Fifa-Chef tauchte aber ab. Spannender ist die Sitzung der Uefa-Mitgliedsverbände ab 12.30 Uhr in einem Zürcher Hotel. Dann muss die Verbandsspitze um Michel Platini und DFB-Chef Wolfgang Niersbach die Basis vom harten Kurs gegen Blatter - inklusive einer Kongress-Boykott-Drohung - überzeugen.
Welche Folgen hätten eine Kongressabsage oder ein Uefa-Boykott für die Fifa?
Auf den ersten Blick erscheint eine Kongressabsage unmöglich. Der Gesichtsverlust für Blatter wäre riesig. Andererseits ist der Ruf ohnehin ruiniert und mit einer Verschiebung könnte man den Willen zur Erneuerung sogar noch besser verkaufen. Ein Boykott durch die Uefa wäre bedrohlicher. Die wirtschaftlich stärkste und numerisch zweitgrößte Konföderation auf Konfrontationskurs würde die Fußball-Welt entzweien.
Was ist die Strategie von Joseph Blatter?
Zuerst schien es, als wolle Blatter die Krise wieder einmal aussitzen. Dann meldete er sich doch zu Wort und versprach den Kampf gegen die bösen Mächte des Fußballs. Diese Linie dürfte er bis zum Kongress durchziehen. Der Schweizer glaubt womöglich selbst, dass nur er seine geliebte Fifa aus der Krise führen kann. Seinen Kontrahenten Platz zu machen, kommt für den 79-Jährigen einfach nicht infrage.
Was bedeuten die Untersuchungen der Schweizer Justiz für die WM 2018 und 2022?
Noch ist in der WM-Frage nichts Entscheidendes passiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und tut dies vermutlich auf deutlich professionellere und unabhängigere Weise, als es die Fifa-Ethikhüter je haben tun können. Tatsächlich wurden die Durchsuchungen im Fifa-Hauptquartier erst durch die Strafanzeige des Weltverbandes angestoßen. Nun darf mit Spannung abgewartet werden, was die eidgenössischen Ermittler aufspüren - auch bei ihren angekündigten Verhören der Wahlmänner aus dem Fifa-Exko von 2010.
Wie wahrscheinlich ist eine Neuvergabe der Turniere, eventuell sogar nach Deutschland?
Für eine Neuausschreibung gibt es noch keine konkreten Anzeichen. Erst wenn die Schweizer Ermittler tatsächlich belastbare Beweise für Korruption finden, könnte diese Diskussion eine juristisch tragbare Grundlage finden. Der Imageschaden für die Fifa und ihre WM-Ausrichter Russland und Katar wäre aber immens. Spätestens dann müsste es auch zu einer Neubesetzung der Fifa-Spitze kommen. Im Fall der Fälle ist Deutschland natürlich immer eine Gastgeber-Option. (dpa)