Braunschweig. Torsten Lieberknecht startet mit Eintracht Braunschweig als Tabellenführer der 2. Bundesliga ins neue Fußballjahr. Der Eintracht-Trainer macht keinen Hehl daraus, dass er sich über einen Nicht-Aufstieg ärgern würde. Über das Erfolgsrezept seines Klubs, die Erwartungshaltung in Braunschweig und Vergleiche mit Jürgen Klopp spricht er im Interview.
Kräne, Betonmischer, Bauarbeiter: Der Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig lässt sein Stadion ausbauen. Der Mann, der wesentlich am Umbau der Mannschaft mitgearbeitet hat, sitzt in einem provisorischen Besprechungsraum im Bauch des Stadions. Er heißt Torsten Lieberknecht und ist Trainer der Eintracht. Vor vier Jahren qualifizierte sich das Team mit ihm in letzter Sekunde für die Dritte Liga, jetzt startet die Mannschaft nach der Winterpause als Tabellenführer der Zweiten Liga mit einem Auswärtsspiel in Paderborn ins neue Fußballjahr.
Eintracht Braunschweig hat eins gemeinsam mit dem VfL Bochum und dem MSV Duisburg: Die Klubs haben wenig Geld. Doch der VfL und der MSV kämpfen gegen den Abstieg, die Eintracht ist Spitzenreiter. Was machen Sie anders?
Torsten Lieberknecht: Schwierig zu vergleichen, da die Ausgangslagen unterschiedlich sind. Bei uns hat alles im Jahr 2008 begonnen, als wir dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen sind und als letzter Klub in Deutschland die Qualifikation für die Dritte Liga geschafft haben. Damit war klar, dass sich etwas ändern musste.
Und was war das?
Lieberknecht: Wir haben uns zusammengesetzt und uns ein sportliches Leitbild gegeben. Die Eintracht hat eine große Tradition, die Menschen in Braunschweig hatten noch die alten Erfolge im Kopf. Wir mussten sie also überzeugen, Geduld zu haben. Das war harte Arbeit.
Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Lieberknecht: Zwei, drei Jahre. Während dieser Zeit haben wir Spieler in Ligen gesucht und gefunden, in denen sich andere Profiklubs nicht einmal umschauen. Wir haben Wert auf den Charakter der Spieler gelegt, und natürlich gab es im Verein auch eine Konsolidierung in der Führungsebene. Alles muss passen, sonst wird es nichts.
Was braucht ein Spieler, um bei Ihnen den Charaktertest zu bestehen?
Lieberknecht: Natürlich müssen die Jungs zuerst Talent haben. Aber es kann zum Beispiel in der Oberliga sein, dass die Spieler nicht die klassische Talentförderung durchlaufen haben. Man benötigt dann ein wenig sportliche Fantasie, um das Potential zu erkennen. Danach zeigt sich in einem Gespräch schnell, ob die Jungs wirklich wollen. Die meisten sind sofort Feuer und Flamme, das erkennt man am Glanz in den Augen. Wenn dann der Funke überspringt, kommt der Spieler für uns in Frage.
Gehört bei dieser Auswahl auch Glück dazu?
Lieberknecht: Sicherlich, aber es ist eben nicht nur Glück. 70 Prozent unseres heutigen Kaders haben schon in der Dritten Liga für uns gespielt.
Jetzt stehen Sie oben, bricht damit bei den Zuschauern wieder das traditionelle Anspruchsdenken aus?
Lieberknecht: Nein, unsere Überzeugungsarbeit ist offensichtlich aufgegangen. Ich benutze den Begriff „stolz“ nicht gerne, aber mit fällt kein anderes Wort dafür ein. Unsere Fans sind tatsächlich stolz auf das, was wir mit wenig Geld und unserer Mannschaft leisten.
Und die Fans wären nicht enttäuscht, wenn es mit dem Aufstieg nicht klappt?
Lieberknecht: Doch, natürlich wären sie dann enttäuscht, Genau wie ich auch. Schließlich haben wir einen großen Traum und können einen echten Coup landen. Wenn du einmal soweit bist, kannst du ruhig enttäuscht sein, wenn es nicht klappt. Die Welt wird aber auch dann nicht untergehen.
Lieberknecht: "Bei uns spüren die Spieler Vertrauen"
Wie enttäuscht wären Sie denn, wenn Spieler aus Ihrem Team die Eintracht verlassen würden, um woanders mehr Geld zu verdienen?
Lieberknecht: Das gehört dazu. Nehmen Sie Karim Bellarabi, den wir ausgebildet haben. Er ist zu Bayer Leverkusen gegangen, und ich habe mich damals gefreut, dass es einer von uns in die Bundesliga geschafft hat. In Zukunft müssen wir aber sehen, dass wir wenigstens auch eine Ablösesumme dafür bekommen.
Stehen denn Spieler auf dem Absprung?
Lieberknecht: Die Frage stellt sich im Moment gar nicht. Aber ich kann es mir auch schlecht vorstellen. In Braunschweig spüren die Spieler Vertrauen. Ich weiß, dass es eine Phrase ist, aber bei uns ist tatsächlich jeder wichtig. Braunschweig hat keine „Kö“, aber es ist eine lebenswerte Stadt mit Fußball-Flair, die Spieler fühlen das. Ich glaube nicht, dass einer für 2000 Euro mehr woanders unterschreibt. Kann sein, dass ich da romantisch denke, doch ich hoffe, dass es tatsächlich so sein wird.
Und was ändert sich für Sie persönlich? Als Trainer des Spitzenreiters stehen Sie immer häufiger im Blickpunkt.
Lieberknecht: Das macht mir nichts aus. Ich rede gerne über Fußball und diskutiere gerne kontrovers, also kein Problem. Wichtig ist nur, dass ich meine Persönlichkeit nicht verändere. Aber die Gefahr besteht nicht. Ich bin in der Pfalz aufgewachsen, und dort wird man bodenständig erzogen.
Aber bei Jürgen Klopp ist es ähnlich gelaufen. Erst war er der junge, tolle Trainer. Nun wird mittlerweile sogar öffentlich über seine Frisur diskutiert.
Lieberknecht: Bei den paar Haaren, die ich noch habe, wird keiner über meine Frisur diskutieren wollen. Außerdem finde ich, dass der Jürgen das alles richtig gut meistert. Ich habe ja in Mainz mit ihm zusammen gespielt, und er ist immer noch der alte Kloppo. Genau das möchte ich auch, die Menschen, die mich kennen, sollen immer sagen: Das ist der Torsten, wie er immer schon war. Sollte ich jemals Anzeichen von Abheben erkennen lassen, würde ich zuhause sofort eins zwischen die Hörner kriegen. Wie gesagt: Pfälzer sind da sehr bodenständig und konsequent.
Wo sind Sie in fünf Jahren?
Lieberknecht: Puuh, keine Ahnung. Wenn sie mir in Braunschweig morgen einen Vertrag bis 2030 hinlegen würden, würde ich den sofort unterschreiben.