Braunschweig. .
Helden sind in Braunschweig vor allem eins: müde. Joachim Bäse ist so ein Held.
Bäse war Kapitän der Meistermannschaft von 1967. Deutscher Meister Eintracht Braunschweig. Das ist lange her und klingt so unvorstellbar weit weg. Unter der Haupttribüne im Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße hängt noch ein grau gewordenes Foto, auf dem Bäse die Schale in die Höhe reckt und vor allem: müde aussieht.
So, als hätte er geahnt, dass es 44 Jahre dauern würde, bis die Eintracht an einem Frühlingssonntag im April 2011 neue Helden hervorbringt: Der Traditionsverein ist zurück in der 2. Liga. Das ist wenig angesichts einer Deutschen Meisterschaft, aber es ist unvorstellbar viel in einer Stadt, in der dieser Verein die Menschen bewegt, nicht nur ins Stadion. Und in der die Menschen an ihrer Eintracht jahrelang verzweifelt sind.
Das lag, wie so oft, an den Sünden, von denen dieser Verein kaum eine ausgelassen hat. Die letzten Versuche, sich im Profifußball festzukrallen, endeten im Desaster. Im Mai 2008 schienen die Blau-Gelben am Ende zu sein, wieder einmal: Der verschuldete Verein saß auf einer viel zu teuren und für das viele Geld viel zu schlechten Mannschaft und es ging nur noch darum, irgendwie den Absturz in die Viertklassigkeit zu vermeiden. Aber im Grunde gab es keine Antwort auf diese Frage: wie?
Braunschweiger Helden sind müde. Für Marc Arnold und Torsten Lieberknecht war die Nacht kurz. Der Manager und der Trainer haben nach dem 1:0 in Unterhaching mit der Mannschaft gefeiert, und zwar kräftig. Sechs Spieltage vor Schluss als Aufsteiger fest zu stehen: da kann man es schon mal knallen lassen.
Die Frage, ob die beiden sich so etwas hätten träumen lassen, als sie 2008 die Verantwortung übernahmen, ist nicht leicht zu beantworten. Lieberknecht, unüberhörbar ein Pfälzer Junge, der als Spieler in Braunschweig hängen geblieben ist, wollte nicht unbedingt Trainer werden, jedenfalls damals. „Aber alle haben auf mich geschaut“, erinnert er sich. Er schaffte in drei Spielen so eben die Qualifikation zur eingleisigen 3. Liga. Aber die Frage, wie es weitergehen sollte, blieb.
Eine Antwort heißt Marc Arnold. Was immer Eintrachts Manager dazu bewogen hat, den Job zu übernehmen: Büro und Aussicht können es nicht gewesen sein. Arnold sitzt in einem kleinen Raum unter der Haupttribüne, der den diskreten Charme der 70er Jahre versprüht. Er schaut auf den Stadionvorplatz, eine triste Betonfläche. Aber Arnold, als Profi der Typ Wandervogel, blieb. Er speckte Kader und Kosten ab, fand eine Wellenlänge mit seinem früheren Mitspieler Lieberknecht und entwarf mit ihm einen Drei-Jahres-Plan für die 3. Liga. Für das Jahr 2011 stand da: Aufstieg.
Dass es geklappt hat, kommt den beiden manchmal unwirklich vor. Lieberknecht lässt einen modernen Fußball spielen, alle arbeiten gegen den Ball, dann geht’s überfallartig nach vorne. Er setzt auf junge Spieler, Arnold ist der Mann mit den Kontakten. So wollen beide auch die 2. Liga angehen. Auch im Bewusstsein, dass das alles nicht ohne Risiko war: „Es hätte auch schief gehen können“, nickt Arnold.
Bei aller wohltuenden Zurückhaltung vermitteln die beiden das Gefühl, dass Eintracht den Braunschweigern einfach etwas schuldig war. Die Stadt lebt blau-gelb, vorige Woche fuhren die Straßenbahnfahrer einen Tag lang in Trikots. Zu den Flutlichtspielen kamen zuletzt über 20 000 ins alte Stadion. Und dass jetzt die Haupttribüne modernisiert wird für 14,5 Millionen Euro, die der klammen Kommune weh tun, ist außergewöhnlich: Es gab eine Bürgerbefragung, an der jeder dritte Braunschweiger teilnahm. Knapp 40 000, das waren rund 60 Prozent, sagten ja zum Bau.
Der Stadtrat ist an das Ergebnis nicht gebunden, aber er hat versprochen, es zu respektieren. Viel mehr hat die Politik der Eintracht auch nicht mehr zu sagen, seit ein Stadtrat mal versucht hat, Torsten Lieberknecht die Aufstellung zu diktieren. „Verrückt“, lacht der Coach heute noch. Helden hören nicht auf Politiker. Nicht mal, wenn sie müde sind.