Bochum. . Schiedsrichter Wilfried Hilker aus Bochum schrieb am 3. April 1971 Fußball-Geschichte, als er den Frankfurter Friedel Lutz mit „Rot“ vom Platz schickte. Schon vorher hatte er mit einem Platzverweis gegen den “Bomber“ Gerd Müller für Aufsehen gesorgt - auch ohne Karte.

Der Mann, der Gerd Müller erhobenen Zeigefingers des Feldes verwies, sitzt am Sonntagnachmittag zur besten Kaffeezeit in seinem Wohnzimmer in Bochum-Linden. Tochter Susanne bringt Gebäck mit viel Schokolade. Wenn der Mann, der schon 84 Jahre alt ist, mit Witz und Spannung aus seiner Zeit als Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga erzählt, möchte man ihm endlos zuhören.

„Ja, die Sache mit dem Müller“, sagt er und lacht. „Wäre er doch bloß nicht mit zehn Metern Anlauf auf Jupp Heynckes zugestürmt. Das Spiel ruhte, so war es Vorsatz.“ Es ist im Dezember 1970, als die Bayern bei Hannover 96 auflaufen und Schiedsrichter Wilfried Hilker Torjäger Müller kurz vor der Pause wegen einer Tätlichkeit vom Platz wirft. Er schickt ihn mit einer Handbewegung von Feld, denn die Rote Karte gibt es im Dezember 1970 in der Bundesliga noch gar nicht.

Der Krach um Gerd Müller

Ein Platzverweis mit Folgen. Für Stürmer und Schiedsrichter.

Müller verpasst durch den Feldverweis die Südamerika-Reise mit der Nationalmannschaft unter Trainer Helmut Schön, und Hilker erhält zahlreiche Briefe. „Die aus dem Norden fanden es gut, dass einer wie Müller auch mal bestraft wird. Aus dem Süden kamen böse Beschimpfungen, einer hat sogar gedroht, meine Frau mit Salzsäure zu bespritzen“, erzählt Hilker.

Der FC Bayern geht in die Berufung, doch das Bundessportgericht bestätigt das Urteil: Müller wird für acht Meisterschaftsspiele gesperrt. „Und trotzdem Torschützenkönig“, sagt Hilker und lacht. Ein Jahr lang wird der Bochumer bei keinem Spiel der Bayern eingesetzt. Das Wiedersehen gibt’s dann im Stadion an der Grünwalder Straße beim Heimspiel gegen Werder Bremen: „Man kann sich vorstellen, wie ich empfangen wurde.“

Hilker sieht sich als „menschlich ausgeglichenen und sehr korrekten Schiedsrichter.“ Vieles sei Psychologie. „Auf dem Spielfeld den dicken Hammer zu schwingen, war nie mein Ding. Doch die Spieler müssen wissen, wer das Sagen hat“, erklärt er.

Typen wie Uwe Seeler, die stets fair spielten und sich trotz massiver Foulspiele nie mit dem Schiedsrichter anlegten, werden von Hilker geschützt. Andere mochte er nicht, zum Beispiel Jürgen Grabowski von Eintracht Frankfurt. „Grabowski war ein rotes Tuch für mich“, sagt der Bochumer.

Jürgen Grabowski mochte er nicht

Und dann schrieb er Bundesliga-Geschichte, es war am 3. April 1971. Der Frankfurter Nationalspieler Friedel Lutz lässt sich gegen den Braunschweiger Jaro Deppe zu einem Revanchefoul hinreißen. Hilker zieht die neu eingeführte Rote Karte, zum ersten Mal sieht ein Mann in der Fußball-Bundesliga Rot. Kurioserweise war die Premiere zugleich auch das Finale für Hilker auf diesem Terrain: Bis zum Ende seiner Laufbahn in der Saison 1977/78 zog er nie wieder die Rote Karte.

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Bei aller Souveränität werden solche Tage auch im Rückblick nicht zur Routine. Auch das Relegationsspiel in Griechenland, als Doxa Dramas, die Heimmannschaft nach einem 0:0 absteigt und Hilker mit lauten „Sieg-Heil-Rufen“ verabschiedet wird, bleibt ihm in befremdlicher Erinnerung.

Der Geldkoffer des Fiat-Bosses

„Ohne meine Eltern, die zu Beginn alles von mir fern gehalten haben und ohne die Unterstützung meiner Frau hätte ich diesen Schritt in die Sportwelt nie gewagt“, sagt der Bochumer. Es hilft ihm, über die Spiele, über die Entscheidungen und auch über die Fehlentscheidungen zu reden.

81 Bundesligaspiele als Schiedsrichter, dazu Europapokalspiele, ein Finale im DFB-Pokal und auch zwei Länderspiele hat Wilfried Hilker in seinem Leben geleitet. Dabei ist er sich immer treu geblieben. Er selbst formuliert es im Rückblick so: „Immer sportlich fair, immer korrekt, ohne Makel.“ Auch als der Boss von Fiat vor einem Spiel des AC Mailand den Geldkoffer weit öffnen will. „Tue recht und scheue niemand. So habe ich es immer gehalten“, sagt der 84-Jährige und nimmt nach 90 Minuten - plus ganz viel Nachspielzeit - noch einen Schluck Kaffee, den letzten an diesem Sonntagnachmittag.

Schluss ist eben erst, wenn der Schiedsrichter pfeift.