Essen. Die Corona-Fallzahlen steigen wieder– das gefährdet die geplante Rückkehr von Zuschauern in die Stadien. Ein Experte kritisiert die DFL scharf.
Das Projekt, Zuschauer wieder in die Bundesliga-Stadien zu lassen, gerät ins Wanken. Am kommenden Dienstag wollen die Profiklubs die Weichen für eine Fan-Rückkehr stellen und gemeinsame Richtlinien für die Konzepte verabschieden. Doch nun steigen in Deutschland die Infektionszahlen. Es herrscht Unsicherheit, ob die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie greifen.
Das Robert-Koch-Institut schlägt Alarm
Nach dem Anstieg der Fallzahlen schlägt das Robert-Koch-Institut Alarm. Die Lage sei „sehr beunruhigend“. Nach den Erfolgen Ende Juni überstieg die Zahl der täglichen Neuinfektionen zuletzt wieder die 500er-Grenze. Am Mittwoch wurden 902 weitere Fälle registriert.
Dass die befürchtete zweite Welle der Pandemie nahen könnte, beunruhigt Arbeitsgruppen, die eine Rückkehr der Zuschauer in die Stadien vorbereiten. Recherchen dieser Redaktion bekräftigen diesen Eindruck: Die Klubs arbeiten an Konzepten, bleiben aber zurückhaltend. Die Gesundheitsbehörden warten auf eine Entscheidung der Politik. Ein Mediziner kritisiert das Vorgehen der DFL scharf.
Watzke: Politik wartet noch ab
Auch die zwei großen Revierklubs üben sich in Vorsicht. Der FC Schalke 04 sei „noch in der internen Abstimmung und in Gesprächen mit den Behörden, daher können und werden wir keine Wasserstandsmeldungen zur Wiederzulassung von Zuschauern abgeben“, heißt es auf Nachfrage. Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, sagt: „Ich glaube, dass die Entscheidung, ob ein Teil der Zuschauer wieder dabei sein darf, erst Mitte August fällt. Auch die Politik wird noch abwarten wollen, wie sich die Zahlen entwickeln.“
Noch sind es sieben Wochen bis zum geplanten Saisonstart am 18. September. Die Klubs nehmen das Training auf, am Donnerstag ließ der BVB seine Spieler auf das Virus testen. Damit soll die erste Hürde für den Spielbetrieb genommen werden. Beim VfL Wolfsburg war Kevin Mbabu zuvor positiv getestet worden. Der 25-Jährige befindet sich in Quarantäne, die Mannschaft kann sich weiter auf die Europa League im August vorbereiten.
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Die Vereine versuchen, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen in ihrer Fußballblase durch regelmäßige Testungen zu gewinnen. Dafür bestimmen sie einen Hygienebeauftragten, bei Schalke 04 ist das beispielsweise Mannschaftsarzt Dr. Patrick Ingelfinger. Mit diesem Schritt war auch der Restart eingeleitet worden. Die Arbeit der DFL-Task-Force wurde über die Bundesliga-Grenzen hinaus gelobt.
BVB rechnet mit 15.000 Zuschauern – Schalke und Gladbach ähnlich
Doch für das Projekt Zuschauer muss die Politik den Rahmen festlegen, die lokalen Behörden müssen die Konzepte genehmigen. Die DFL will Änderungen in die Spielordnung schreiben, die viel abverlangen würden: ein Verbot von Gästefans, Stehplätzen und Alkohol bis Jahresende sowie die Einführung von personalisierten Tickets. Auf die Vereine kommt viel Arbeit zu: Ein- und Ausgänge müssen bestimmt, ausreichend Parkplätze bereitgestellt, „Einbahnstraßen“ im Stadion angelegt werden, damit Abstände gewahrt werden. Die Kapazität schrumpft: In Dortmund rechnet man mit 15.000 Zuschauern. In einer ähnlichen Größenordnung bewegen sich Schalke und Gladbach. Drittligist MSV Duisburg kann sich 9000 Fans beim Pokalspiel gegen den BVB vorstellen.
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Damit dies überhaupt in Betracht gezogen werden kann, muss die Politik grünes Licht geben. Die Corona-Schutzverordnung des Landes NRW lässt in der aktuellen Version nur 300 Zuschauer zu. Am 11. August läuft sie aus. Watzke ist zuversichtlich: „Wir richten uns nach den Entscheidungen der Politik, die bislang sehr verantwortungsvoll gehandelt hat. Auf der anderen Seite hat die DFL gezeigt, dass sie ein sehr verlässlicher Partner ist. Wir müssen natürlich auch sehen, wie sich die Pandemiesituation entwickelt.“
DFL-Pläne: Gespräche mit den Gesundheitsämtern laufen
Einen großen Einfluss haben die lokalen Behörden. Die DFL erklärt: „Das erstellte Konzept ist mit dem lokal zuständigen Gesundheitsamt abzustimmen und von diesem freizugeben.“ Alle Revierklubs haben bereits Kontakt aufgenommen, bestätigen die Städte. In Gelsenkirchen ist für August ein weiteres Gespräch geplant, in Dortmund fand es vergangene Woche statt. Doch bislang ist noch kein Konzept fertig.
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Auch unterscheidet sich je nach Stadt, wer die Entscheidung trifft. In Duisburg, Düsseldorf und Dortmund entscheide das Gesundheitsamt, in Mönchengladbach und Bochum würden mehrere Behörden einbezogen, heißt es auf Anfrage. Die Stadt Gelsenkirchen teilt mit, das Gesundheitsamt habe „die Möglichkeit, Änderungen und Anpassungen anzuregen. Dieser Prozess erfolgt bislang in gutem Einvernehmen von Stadt und Verein“.
Wohl keine Stehplätze beim BVB
Ebenfalls bemerkenswert: Die Stadt Dortmund legt Wert auf die Ausweisung ausschließlich von Sitzplätzen und die Datenerfassung beim Ticketkauf zwecks Nachvollziehbarkeit der Infektionsketten. Die Hoffnung auf Stehplätze auf der Südtribüne dürfte damit passé sein.
Das Ziel ist formuliert, der Prozess jedoch wenig einsehbar. Das weckt die Wissbegierde. In der DFL ist man zunehmend genervt davon, dass Zwischenstände an die Öffentlichkeit dringen. An der Verschlossenheit aber gibt es deutliche Kritik. „Dass ausgerechnet die DFL, die finanziell am besten aufgestellte Organisation im Sport- und Unterhaltungswesen in Deutschland, keine eigene Studie entwickelt hat, ist inakzeptabel“, sagt der Nürnberger Pharmakologe Prof. Fritz Sörgel. „Wenn das nicht möglich ist, sollte man zumindest eng mit der Wissenschaft zusammenarbeiten und deren Begründung für eine bestimmte Einlassquote öffentlich diskutieren.“ Es dürfe „keine Geheimwissenschaft“ geben.
Sörgel warnt vor Risiken im Herbst
„Jetzt bleibt alles vage, so stelle ich mir nicht die Meinungsbildung in einem modernen Industrie- und Wissenschaftsstaat vor“, bemängelt Sörgel. „Nun legitimiert die DFL ihr Vorgehen einzig mit der Zustimmung durch die Politik, der es wiederum nur darum geht, sich beliebt zu machen.“ Er selbst weist auf die fallenden Temperaturen im Herbst hin, die ein Infektionsrisiko in den Stadien erhöhen können. Das hätte bereits untersucht werden können: „Im November haben wir Temperaturen unter zehn Grad, es ist nebelig. Man hatte genug Zeit im Labor, bei gesunden Probanden zu untersuchen, welche Auswirkungen das auf die Ansteckungsgefahr hat.“