Wolfsburg/Gelsenkirchen. Auf Schalke gibt es Streit auf Führungsebene. Es geht um den neuen Sportvorstand. Ein Aufsichtsratsmitglied fordert: Alle sollten an einen Tisch!
Zwei Tage waren nach der denkwürdigen Aufsichtsratsitzung des Bundesligisten FC Schalke 04 vergangen, als diese Zeitung am Sonntagnachmittag Stefan Gesenhues (66) am Telefon erreichte. Den Mann, der in dem Gremium eine Bombe platzen ließ: Ralf Rangnick (62) ist grundsätzlich bereit, den bevorstehenden Neuaufbau als Sportvorstand anzuführen. Eine Sensation.
Gesenhues hatte mit einer Gruppe von Schalke-Mitgliedern aus Wirtschaft und Politik kooperiert – und die Kollegen aus dem Aufsichtsrat mit den Informationen überrascht. „Dass sich meine Kollegen im Aufsichtsrat überrumpelt gefühlt haben, kann ich im Nachhinein verstehen, das tut mir leid“, erklärte Gesenhues. „Da bedauere ich auch das Vorgehen, das hätte besser laufen können. Ich befand mich in einem kurzfristigen Entscheidungsnotstand und habe mich deshalb für diesen Weg entschieden. Ich hoffe, dass keine Gräben entstanden sind, die man nicht zuschütten könnte. Ich bin sehr daran interessiert, dass wir jetzt alle an einen Tisch kommen. Es geht nur um Schalke 04.“
Und nun? Die Suche nach dem neuen Sportvorstand ist auf Schalke längst ein Krimi mit vielen Haupt- und Nebendarstellern geworden. Es geht um Vereinspolitik, Einfluss in der Zukunft, Strippenzieher im Hintergrund und Wahlkampf für die Aufsichtsrats-Wahl am 13. Juni.
Die Lage
Schalke sucht einen Sportvorstand, seitdem Jochen Schneider vor zwei Wochen gefeuert wurde. Aktuell leitet Peter Knäbel die Profi-Abteilung – interimistisch. Der Aufsichtsrat um Jens Buchta führte seit Dezember Gespräche. Am Sonntag bestätigte Buchta dieser Zeitung: „Wir hatten zwei Zusagen von hochkarätigen Kandidaten, mit denen wir jetzt in finale Gespräche gegangen wären.“ Die Namen wollte er nicht nennen. Ein Kandidat soll Leipzigs Sportdirektor Markus Krösche gewesen sein.
Im Hintergrund aber hatte sich eine Gruppe gebildet, die Kontakt zu Rangnick aufnahm – und das Projekt über Gesenhues in den Aufsichtsrat tragen ließ.
Der Aufsichtsrat
In dem Gremium gab es am Freitag eine Menge Zoff. Zehn der elf Mitglieder fühlten sich durch den Vorstoß von Gesenhues hintergangen. Das galt auch für Buchta, der von der Idee, Rangnick zu holen, erst am Freitag erfuhr. Es begann eine wüste Sitzung, in der vor allem Gesenhues beschimpft wurde. Ein Aufsichtsrat sagte am Sonntag: Hätte Gesenhues in dem Gremium vorher auch nur einmal über einen Plan mit Rangnick berichtet, hätten Jens Buchta, sein Stellvertreter Peter Lange und Huub Stevens sofort Kontakt zu Rangnick aufgenommen. Gesenhues aber hatte selbst erst am Donnerstag von dem Plan mit Rangnick erfahren.
Gesenhues wurde mit dem Ehrenrat gedroht – der könnte sogar einen Ausschluss des 66-Jährigen aus dem Gremium beschließen. Gesenhues’ Amtszeit endet im Juni – genau wie die von Moritz Dörnemann, Ingolf Müller, Matthias Rüter und Huub Stevens. Einzig Jahrhunderttrainer Stevens hat erklärt, nicht noch einmal kandidieren zu wollen. Wer aufgestellt wird, darüber entscheidet der Wahlausschuss Ende April – nur zehn Mitglieder stehen für fünf Plätze zur Wahl, aktuell gibt es noch etwa 30 Anwärter.
Die Gruppe im Hintergrund
Etwa 20 Personen gehören der Gruppe an, die mit Rangnick sprach. Drei Mitglieder hatten im Januar Kontakt zu Buchta, damals hätten sie den Namen Erik Stoffelshaus als Sportvorstand ins Gespräch gebracht. Wichtige Köpfe der Gruppe hatten allerdings vergeblich versucht, zu Buchta Kontakt aufzunehmen. Einige Mitglieder der Interessengemeinschaft, die vereinsintern als „Opposition“ bezeichnet wird, kandidieren für den Aufsichtsrat. Es handelt sich um Vertreter aus Wirtschaft und Politik – aber auch um ehemalige Mitarbeiter der Königsblauen. Offenbaren will sich noch keiner. Diejenigen, die sich für den Aufsichtsrat bewerben, wollen der Entscheidung des Wahlausschusses nicht vorgreifen.
Kandidat Markus Krösche
Monatelang hatte Buchta mit dem 40-jährigen Markus Krösche gesprochen. Der hatte von März 2017 bis Juni 2019 den SC Paderborn von der 3. in die 1. Bundesliga geführt und dabei mit geringen finanziellen Mitteln viele gute Spieler geholt. Aktuell arbeitet Krösche bei Champions-League-Teilnehmer Leipzig. Am Sonntag sagte Krösche Schalke ab. „Ich stehe nicht zur Verfügung“, erklärte er mehreren Medien.
Krösche war durchaus ein respektabler Kandidat – schon im Sommer 2019 war er bei den Königsblauen als Sportdirektor im Gespräch. Aus finanziellen Gründen – Krösche hätte Ablöse gekostet – endeten die Verhandlungen aber vorzeitig.
Kandidat Ralf Rangnick
Und warum will sich Ralf Rangnick Schalke antun? Weil er ein Herz für diesen Verein hat. In der Saison 2004/2005 wurde Schalke unter Rangnick Vizemeister. Seine zweite Amtszeit im Jahr 2011 konnte Rangnick nicht beenden – er trat plötzlich zurück, nachdem er am Burn-out-Syndrom erkrankt war.
In den vergangenen Monaten, so erfuhr diese Zeitung aus Rangnicks Umfeld, habe er den Weg der Königsblauen traurig und mit großem Bedauern verfolgt. Auch die Zuneigung der Fans beeindruckt Rangnick, der auf mehreren Stationen in den vergangenen Jahrzehnten respektiert, aber selten geliebt wurde.
Doch wie denkt Rangnick über die Schlammschlacht, die sich am Freitag abspielte? Das ist nicht übermittelt. Offiziell äußerte er sich nicht zum Thema Schalke.
Die Fans
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Eine überwältigende Mehrheit der Fans spricht sich für Rangnick aus. Eine Online-Petition pro Rangnick hatte am Sonntagabend bereits über 40.000 Unterstützer. Einen Tag zuvor hingen Plakate vor der Geschäftsstelle. Inhalt: „Ahnungslosen Rat austauschen – pro Neuanfang, pro Rangnick“. Einige Fans sehen aber die im Hintergrund agierende Gruppe kritisch. Sie befürchten, es könnte sich um Investoren handeln, die sich im Fall einer Ausgliederung engagieren möchten.
Die Zukunft
Nachdem Krösche abgesagt hat, plant Schalkes Aufsichtsrat jetzt, bei Rangnick abzuklären, wie konkret dessen Interesse an einer Rückkehr wirklich ist. Dass Rangnick für Schalke eine ganz große Lösung wäre, steht auch intern völlig außer Frage. Es wird aber in Zweifel gezogen, ob Rangnick unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen überhaupt zur Rückkehr nach Schalke bereit ist. Dabei geht es vor allem um die Finanzierung.