Zürich. . Die europäischen Leichtathletik-Titelkämpfe in Zürich werden von Enttäuschung und Empörung begleitet. Teure Plätze, halbleere Ränge und zu viele Mess-Pannen überschatten die EM. Das musste am Mittwoch auch Weitspringerin Melanie Bausche auf schmerzhafte Art erfahren.

Sauber ist es in Zürich. Wer ein Hündli hat, nimmt ein Säckli. Hundekot ist in der malerischen Altstadt oder auf der wunderschönen Promenade des Züricher Sees mindestens so selten zu sehen wie vierblättrige Kleeblätter. Zwei weitere Attribute, die man bisher den Schweizern ebenfalls zugesprochen hatte, müssen nach den ersten Tagen der Europameisterschaften sehr bezweifelt werden.

Erstens ist die Leichtathletik-Begeisterung der Züricher doch nicht so groß wie erwartet. Zweitens lässt die Organisationsfähigkeit der Schweizer arg zu wünschen übrig. Halbleere Zuschauertribünen, blamable Messfehler statt Schweizer Präzisionstechnik, Zeitplanverzögerungen, die man selbst von der Deutschen Bahn so nicht gewohnt ist: Die EM ist bisher ein Fest der Pleiten, Pech und Pannen.

Vorlauf, Halbfinale und Endlauf für jeweils 150 Euro

Cindy Roleder wuchs im 100-Meter-Hürden-Finale über sich hinaus und holte die Bronzemedaille. Ihre Eltern wären gern aus Leipzig nach Zürich gekommen, um das schönste sportliche Erlebnis mit der Tochter teilen zu können. „Aber sie hätten jeder für Vorlauf, Halbfinale und Endlauf dreimal 150 Euro Eintritt zahlen müssen. Das ist doch viel zu teuer”, schimpft die EM-Dritte.

Offensichtlich sehen dies viele Leichtathletik-Fans so wie die Roleders, denn von den ohnehin nur 20.000 Plätzen sind viele nicht besetzt. „Ich hatte eine völlig andere Erwartung”, sagt Cindy Roleder, „ich kenne das jährliche Leichtathletik-Meeting hier in Zürich. Da ist das Stadion proppevoll, und die Stimmung riesig.”

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Aber es sind längst nicht nur die hohen Eintrittspreise, die bei den Fans für Verärgerung sorgen. Es gab schon so viele Pannen, dass sich Heide Ecker-Rosendahl, die Doppel-Olympiasiegerin von München 1972, bei ihrem Besuch in Zürich empörte: „Wir sind doch nicht bei einem Dorfsportfest.”

Als Weitsprung-Olympiasiegerin von München hat die heute 67-jährige Ecker-Rosendahl natürlich besonders intensiv die EM-Entscheidung ihrer Nachfolgerinnen verfolgt. Und wie alle anderen Zuschauerinnen und Athletinnen dachte auch Ecker-Rosendahl, dass die Berlinerin Melanie Bauschke vor dem letzten Durchgang mit einer Weite von 6,79 Metern auf dem Bronzeplatz liegen würde.

Doch dann kam ein Kampfrichter zu der deutschen Weitspringerin und teilte ihr mit, dass ihr Sprung aus dem ersten Versuch um 24 Zentimeter zu weit gemessen worden sei. Das ist so, als ob in der Fußball-Bundesliga der Schiedsrichter in der 85. Minute zum Kapitän gehen würde, um ihm mitzuteilen, dass das 1:0 aus der 5. Minute aus einer Abseitsposition erzielt worden sei.

„Ein Unding”, erklärte Heide Ecker-Rosendahl. „Die Entscheidung war im Sinne des Fairplay korrekt, denn die Weite war tatsächlich nur 6,55 Meter”, sagte der deutsche Cheftrainer Idriss Gonschinska. „Aber die Konzentration von Melanie war völlig weg.” Melanie Bauschke verließ mit Tränen das Stadion. Statt mit Bronze beendete sie den Wettbewerb als Sechste.

Organisatoren entschuldigen sich

Aber es war längst nicht die einzige Mess-Panne. Von wegen Schweizer Präzision: Im Zehnkampf wurde ein Versuch des späteren EM-Sechsten Kai Kazmirek um vierzig (!) Zentimeter korrigiert. Und die Hammerwurf-Weltrekordlerin Betty Heidler musste durch einen Software-Fehler im Computersystem in der Qualifikation zu einem zweiten Versuch antreten, obwohl sie im ersten Durchgang längst den vier Kilo schweren Hammer über die erforderliche Weite geschleudert hatte.

Die EM-Organisatoren haben sich inzwischen für die Pannen entschuldigt. „Der hohe Druck, bedingt durch die besondere Situation und die kurzfristig beschlossenen Zeitplanänderungen, hat in einzelnen Fällen leider zu menschlichem Fehlverhalten geführt”, gab Organisationschef Patrick K. Magyar kleinlaut zu.

Schon Armin Hary lief zweimal

Es ist viel Luft nach oben in der Organisation für die restlichen Tage im Letzigrund, in einer der traditionsreichsten Leichtathletik-Arenen der Welt. Aber Pannen gab es in Zürich auch schon früher. Als Armin Hary vor 54 Jahren an dieser Stelle als erster Mensch die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden rannte, musste er es gleich zweimal tun, weil sein erster Lauf wegen einer Panne annulliert wurde.