Zürich. Titelverteidiger David Storl gewann im Züricher Letzigrund das Kugelstoßen und holte damit die erste Goldmedaille für das deutsche Team bei den Leichtathletik-Europameisterschaften. Storl wurde den Erwartungen gerecht.

Als sich David Storl zum letzten Mal an diesem Abend die 7,25 Kilo schwere Kugel schnappte und die Zuschauer im Züricher Letzigrund zum Mitklatschen aufforderte, stand er schon als Europameister 2014 fest. Der 24-Jährige wollte dennoch diesen sechsten Versuch unbedingt noch machen. Nicht nur für die Leichtathletik-Fans in einer der traditionsreichsten Arenen dieser Spoartart. Auch für sich selbst. Denn mit seiner Weite von 21,41 Metern aus dem ersten Durchgang war er nicht ganz zufrieden. Storl hätte so gern seinen Titel mit einem Stoß über 22 Meter gekrönt. Doch daraus wurde nichts. Die Kugel landete im letzten Versuch bei 20,98 Metern im Rasen.

Silber ging an Borja Vivas - Bronze an Tomasz Majewski

Storl ist in diesem Jahr in Europa ohne Gegner. Das Wunderkind des Kugelstoßens, das schon in den Jugendklassen Titel und Rekorde in Serien feierte, gewann am Auftakttag dieser EM gleich im ersten Wettbewerb das erste Gold für das deutsche Team. Kein einziger Rivale schaffte überhaupt 21 Meter. Silber ging an den Spanier Borja Vivas mit 20,86, Bronze an Olympiasieger Tomasz Majewski aus Polen (20,83).

Beste Aussichten für Kai Kazmirek

Kai Kazmirek hat den Ablauf des ersten Tages bei den Europameisterschaften in Zürich gehörig durcheinander gebracht. Der 23-Jährige von der LG Rhein-Wied sprang für die Zeitplan-Organisatoren zu hoch, so dass der Zeitplan verändert werden musste. Kazmirek floppte im Hochsprung über 2,13 Meter. Ziemlich gut für einen Zehnkämpfer. Mit einer viertelstündigen Verspätung gingen die Mehrkämpfer dann auf die schmerzvolle Stadionrunde und beschlossen so den ersten Tag. Auch über 400 Meter zeigte Kazmirek eine ganz starke Vorstellung. Als er im Ziel wieder Luft zum Atmen fand, ließ er sich zur Abkühlung genussvoll eine Flasche Mineralwasser über den Kopf schütten.

Kazmirek liegt nach fünf Disziplinen mit 4492 Punkten bereits 129 Zähler vor dem Weißrussen Andrej Krautschanka. Als Dritter lauert ein weiterer Deutscher hinter dem führenden Duo. Arthur Abele, der vier Jahre lang wegen verschiedener Verletzungen pausieren musste, feierte auf internationaler Bühne ein grandioses Comeback. Mit 4310 Punkten winkt ihm eine Medaille, da er für seine guten Leistungen am zweiten Tag bekannt ist. “Diese schwere Zeit mit alle den Verletzungen lastete auf meinen Schultern”, sagte Abele, “das ist jetzt wie Dynamit weggesprengt. Ich kann jetzt befreit auflaufen und Gas geben.”

Auf dem achten Rang liegt der dritte Zehnkämpfer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Rico Freimuth kam auf 4247 Punkte. Auch wenn er schon etwas zurückliegt, will er weiter kämpfen: “Ich werde noch einmal alles geben.” (Thomas Lelgemann)

Storl, der schon 2012 Europameister sowie 2011 und 2013 Weltmeister wurde, ging durch eine leichte Knieverletzung gehandikapt in den Wettbewerb. Wegen Patellasehnenbeschwerden hatte er seine Technik umgestellt. Mit Hilfe von seinem Trainer Sven Lang brachte er es zuletzt trotzdem fertig, in dieser Saison schon 21,97 Meter zu stoßen. “David hat es heute mit der Brechstange versucht. Das haut nicht hin”, sagte Lang. Eigentlich sind des Trainers Worte Gesetz. Die beiden gehen zwar freundschaftlich miteinander um, doch bis heute siezt der Schützling seinen Coach. "Mich hat es auch geärgert, dass es mit solchen Scheißstößen nach dem ersten Versuch weiterging", sagte Storl.

Am Morgen um zehn die Qualifikation, am Abend um acht Uhr das Finale. Ein langer Tag. Zehn Stunden zwischen Pflicht und Kür. Storl beherrscht die hohe Kunst des Weltklassesportlers. Der Wechsel zwischen größtmöglicher Entspannung und Anspannung, das ist das Ding des David Storl. “Nach der Quali habe ich zu Mittag gegessen und dann ein Nickerchen gemacht”, erzählt er. Druck lässt er nicht an sich heran. “Ich schlafe sofort ein. Notfalls sogar im Bus. Ich muss mir sogar einen Wecker stellen, damit ich dann den Wettkampf nicht verpasse."

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Majewski, diesmal nur Dritter, und Storl haben sich schon viele packende Fights geliefert. Im Ring duellieren sie sich, außerhalb schätzen sie sich. Und manchmal naschen sie auch schon mal gemeinsam. So wie am Dienstagmorgen im Letzigrund, als Majewski in der Qualifikation plötzlich ein Tütchen Süßes aus seiner Tasche zauberte. “Willst du auch? fragte er Storl. Und da die schweren Jungs im Gegensatz zu, sagen wir, Hochspringerinnen nicht wirklich jede Kalorie zählen und den weltlichen Genüssen schon mal ganz gern frönen, griff sich Storl ein braunes Trüffel-Leckerli. “Mhm. Superlecker war das”, erzählte er später in den unterirdischen Gängen des Letzigrunds.

Majewski hatte 2012 in London vor Storl Gold geholt

Vor zwei Jahren hatte Majewski bei den Olympischen Spielen in London noch vor Storl Gold geholt. Aber seitdem hat sich das Kräfteverhältnis zu Gunsten seines jungen deutschen Widersachers verändert. Der Pole ist jetzt 32 und spürt schon ein wenig, dass die biologische Uhr gegen ihn läuft. Ganz anders bei Storl, der im vergangenen Monat erst 24 Jahre alt geworden ist. “Ich merke, dass ich viel erfahrener geworden bin”, sagt Storl, “ich habe mir eine sehr gute Wettkampf-Härte angeeignet. Mich kann nichts mehr überraschen.”

Und so gelang es ihm, auch in Zürich die Konkurrenz gleich im ersten Versuch auf den Boden der Tatsachen zu halten. Auch wenn er an diesem Abend nicht ganz fit war und zu viel wollte, für die Konkurrenz ist der 1,98-Meter-Mann aus Sachen zumindest in Europa eine Nummer zu groß.