Berlin. Clemens Prokop verpasst gerade die Volksfest-Woche in Kelheim. „Damit kann ich leben”, sagt der Direktor des Kelheimer Amtsgerichts. Prokop ist zugleich Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und damit Hausherr bei der WM in Berlin, die heute beginnt. Ein Interview

Geht Ihr Jahresurlaub für die WM drauf?

Clemens Prokop: Richtig, genau so ist es.

Was sagt Ihre Frau dazu?

Clemens Prokop: Das will ich mal lieber nicht erzählen.

Ist Ihre Frau denn wenigstens auch in Berlin?

Clemens Prokop: Sie kommt in der zweiten Hälfte. Hintergrund ist: Wir haben eine dreieinhalbjährige Tochter, und für die ist die Leichtathletik-WM noch nicht so spannend.

Sie waren früher Weitspringer. Wann sind Sie eigentlich zuletzt gesprungen?

Clemens Prokop: Lange her. Mein letzter Sprung war Ende der 70er Jahre. Mit dem Sprung wurde ich süddeutscher Meister, und da dachte ich: Das ist ein schöner Abschluss.

Und die schwärzeste Stunde Ihrer Weitspringer-Zeit?

Clemens Prokop: Die hatte hatte ich 1975 bei der Jugendmeisterschaft in Augsburg. Ich war in eine junge Weitspringerin verliebt und wollte glänzen. Ich habe mich aber beim zweiten Sprung verletzt und wurde nur Dritter. Das hat mich tief getroffen, weil die Verletzung zum einen schmerzhaft war, und zum anderen hatte ich keine Chance mehr, der Weitspringerin zu imponieren.

Haben Sie heute noch Zeit für Sport?

Clemens Prokop: Unsere Tochter fährt seit diesem Jahr Fahrrad ohne Stützräder, aber die Verkehrsregeln kennt sie leider nicht. Wenn sie fährt, laufe ich also hinterher. Allerdings ist sie gemein und tritt weiter, wenn's bergab geht. Das ist im Moment mein einziger Sport.

Der Weitspringer Sebastian Bayer hat bei der Hallen-EM mit 8,71 Metern gewonnen und seine persönliche Bestleistung mal eben um 54 Zentimeter gesteigert. Ist das ohne Doping möglich?

Clemens Prokop: Nehmen wir ganz banal mich als Beispiel. Ich war ein Weitspringer, der relativ konstant zwischen 7,60 und 7,70 Meter springen konnte. Dann bin ich auf den bayerischen Meisterschaften 7,93 Meter gesprungen. Gut, es war starker Rückenwind, aber unter bestimmten, günstigen Bedingungen sind Leistungssteigerungen möglich, an die man selbst nicht glaubt.

Das war bei Bayer so?

Clemens Prokop: Bei Sebastian Bayer war ein Grund sicher der Schwingboden, auf dem die EM stattfand. Ich denke, dieser super Boden für Springer hat die Weite erst ermöglicht. Ich habe mir Bayers Sprünge bei der Deutschen Meisterschaft in Ulm angesehen. Er ist einer, der zu zwischen Extremen schwankt. Entweder der Sprung kommt hundertprozentig, oder er kommt gar nicht. Und wenn er hundertprozentig kommt, kann er immer 8,50 Meter springen. So war es doch auch bei Christina Obergföll.

Was meinen Sie?

Clemens Prokop: Bei der WM 2005 in Helsinki hat sie quasi aus dem Nichts heraus mit dem Speer über 70 Meter geworfen und Silber gewonnen. Vorher kannte sie doch kaum einer, und deshalb fiel allen die Kinnlade runter. Aber solche Topleistungen sind im Sport eben immer möglich.

Welche deutschen Topleistungen gibt es in Berlin?

Clemens Prokop: Wenn ich rein statistisch vorgehe, muss ich Christina Obergföll und Hochspringerin Arianne Friedrich nennen, die in der Weltjahresbestenliste auf Platz eins liegen. Dazu haben wir im Moment 38 Athleten im Team, die unter den ersten Zwölf der Weltjahresbestenliste liegen und in den Finals mitmischen werden.

Aber fehlen im deutschen Team nicht Top-Läufer? Läufer sind doch die, die Massen begeistern wie zuletzt mal Ingo Schulz?

Clemens Prokop: Natürlich wären solche Sternstunden wie das Silber von Ingo Schulz über 400 Meter bei der WM 2001 in Edmonton wunderbar für uns. Aber wie der Name schon sagt: Das sind Sternstunden, und die sind selten.

Lohnen Doping-Kontrollen überhaupt noch? Viele der neuen Mittel sind den Kontrolleuren doch noch gar nicht bekannt.

Clemens Prokop: Die Doping-Bekämpfung ist ohne Alternative. Über die neue Methode der Blutprofile wachsen unsere Chancen.

Können Sie es auf der Tribüne genießen, wenn Usain Bolt einen neuen Weltrekord über 100 Meter aufstellt?

Clemens Prokop: Usain Bolt war schon in der Jugend ein begnadeter Sprinter, er kommt also nicht aus dem Nichts.

Ist das nicht naiv?

Clemens Prokop: Nein, ist es nicht. Ich habe mich beim Weltverband IAAF erkundigt und weiß, dass er regelmäßig kontrolliert wird. Der Rest ist Spekulation. Schauen Sie sich nur seinen Laufstil an: Bolt ist ein Jahrhunderttalent.

Also können Sie sich freuen, wenn er zehn Meter vor den anderen durchs Ziel fegt?

Clemens Prokop: In Peking, und das habe ich auch zum Ausruck gebracht, habe ich mich bei seinem Sieg nicht gefreut. Weniger aus den Gründen, auf die Sie anspielen. Mich hat die Demonstration seiner Überlegenheit geärgert. So verhält man sich nicht, das war unsportlich.