Berlin. Während Usain Bolt den Reportern erst Einlass gewährte, wenn sie in dem jamaikanischen Strandklub am Ostbahnhof die Gesichtskontrolle von muskelbepackten Sicherheitskräften mit Sonnenbrillen bestanden hatten, bat Tyson Gay die Weltpresse in ein feines Berliner Hotel mit Pagen in Livree.

So unterschiedlich die Superstars die Orte ihrer Pressekonferenzen vor dem großen Showdown der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin auswählten, so verschieden sind ihre Charaktere. Der Faxenmacher Bolt oder der Langweiler Gay, der Olympiasieger aus Jamaika oder der Titelverteidiger aus den USA: Nur diese beiden Protagonisten sind ernsthafte Sieg-Kandidaten, wenn am Sonntag im 100-Meter-Finale die Frage nach dem schnellsten Mensch der Welt beantwortet wird.

Tyson Gay. (afp)
Tyson Gay. (afp) © AFP

„Ich bin vielleicht das, was Sie langweilig nennen würden”, sagte Tyson Gay, der auch gestern vor 100 Journalisten und 18 Fernsehteams seine Gedanken erst dreimal durch den Kopf kreisen ließ, ehe er sie über seine Zunge brachte. Aber was der Mann aus Kentucky dann mitteilte, klang ganz anders als seine sonstigen Statements.

Gay, der im Gegensatz zu den meisten schnellen Jungs mit den dicken Oberschenkeln keine große Klappe hat, überrascht diesmal mit forschen Tönen: „Ich habe eine Zeit von unter 9,69 Sekunden im Kopf. Ich will Weltmeister werden. Und wenn das nur mit Weltrekord geht, dann werde ich ihn brechen.”

Gay hat vor zwei Jahren in Osaka die WM-Titel über 100 und 200 m gewonnen. Gay steht mit 9,77 Sekunden an erster Stelle der Weltjahresbestenliste, zwei Hundertstelsekunden vor seinem Widersacher aus der Karibik. Aber wenn es um die Favoritenposition geht, dann tippen alle auf Bolt. Weil er seine 9,79 Sekunden in diesem Jahr im strömenden Regen und bei starkem Gegenwind lief und weil er vor einem Jahr in Peking wie auf einem Spaziergang den Weltrekord auf 9,69 Sekunden schraubte.

So selbstbewusst sich Gay in Berlin gibt, der Kopfmensch kann nicht anders, als seine Rolle realistisch einzuschätzen: „Ich bin der Underdog gegen Bolt.” Und dann fügte er noch einen kleinen Zusatz hinzu: „Das war ich vor zwei Jahren gegen Asafa Powell auch.” Der Weltmeister hieß dann Tyson Gay.