Mont-Saint-Michel. . In den vergangenen Jahren waren Tony Martin und die Tour de France keine Freunde. Platten, Defekte am Rad und Blessuren warfen ihn zurück oder ganz aus dem Rennen. In diesem Jahr trotzt er jedoch selbst einer erneuten Verletzung und gewinnt als “Meister der Schmerzen“ das erste Einzelzeitfahren.

Vor fünf Jahren krabbelte ein Mann mit ein paar Wattestäbchen in der Hand über die Straßen Frankreichs. Der Mann war Helge Riepenhof, und wenn Helge Riepenhof nicht auf Knien über den Asphalt rutschte, arbeitete er als Arzt. Am Hamburger Unfallkrankenhaus und als Teamarzt bei der Tour de France. Riepenhof ahnte nicht, dass er mit seinen Proben, die er vom Asphalt sammelte, den Grundstein für den Tour-Etappensieg von Tony Martin im Einzelzeitfahren am Mittwoch von Avranches nach Mont-Saint-Michel legen sollte.

Das klingt verwirrend, doch die beiden Enden der Geschichte fanden ziemlich einfach zusammen: Riepenhof hatte festgestellt, dass die meisten Radprofis das Rennen aufgaben, weil sie nach Stürzen an Infektionen litten. Also analysierte er die Asphaltproben, fand die Schadstoffe heraus, mischte eine Spezialsalbe, und traf mit dieser Salbe im Gepäck auf Tony Martin.

Martin wird bei der Tour vom Pech verfolgt

Der 28-jährige, der in Cottbus zur Welt kam, ist der Pechvogel der Tour. Im vergangenen Jahr hatte er beim Prolog das Gelbe Trikot fast schon in der Hand, als ihn ein Platten stoppte. Die Radlosigkeit, das Warten aufs Ersatzrad kostete den Triumph. In der Etappe darauf stürzte er und brach sich das Kahnbein. Er hielt eine Woche durch, doch beim nächsten Zeitfahren gab es erneut einen Defekt am Rad, er stieg aus.

Damit war die Tour 2012 abgehakt, das Pech nicht. In diesem Jahr stürzte der Zeitfahr-Weltmeister auf der ersten Etappe erneut schwer. Er erlitt eine Lungenquetschung und schwere Hautabschürfungen. Als ihm jemand aufmunternd auf die Schulter klopfte, schrie er vor Schmerz. Brian Holm, der Sportdirektor seines Teams, beschrieb, was er gesehen hatte: „Tonys Schulter sieht aus, als hätte sie auf dem Grill gelegen.“

Aufgeben kommt für Martin nicht in Frage

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Martin selbst gestand später, dass er sich in jenem Moment „schon intensive Gedanken darüber gemacht hat, ob das für mich im Radsport wirklich weitergehen soll“. Doch dann ging es weiter, einfach weiter – auch dank Riepenhof. „Unter den Belastungen der Tour heilen die Wunden sowieso nicht“, sagte er und holte seine Salbe aus der Tasche. Das Präparat beugt Infektionen vor. Und tatsächlich hielt Tony Martin durch, blieb von einer Infektion verschont und stieg beim ersten Einzelzeitfahren als Favorit aufs Rad. „Es fühlt sich nur noch an wie nach einem normalen Sturz“, meinte er lakonisch. „Und Stürze sind wir Radprofis gewohnt.“ Aufgeben? Martin schüttelte den Kopf: „Das ist nicht Rund um den Bodensee. Das ist die Tour!“ Es klang wie: DIE TOUR!

Und die Radsport-Welt adelte den Polizeimeister aus Eschborn flugs zum „Meister der Schmerzen“. Ganz in Weiß startete er gestern in Avranches zum Zeitfahren, 33 Kilometer später am Kloster Mont-Saint-Michel hatte er die Bestzeit von 36:29 Minuten vorgelegt – ein Stundenmittel von 54,27 km/h. Er lag dabei so flach auf seiner Zeitfahrmaschine, dass es aussah, als könne er unter Luft durchfahren. Als er im Ziel aus dem Sattel stieg, war er ganz in Schweiß.

Brite Christopher Froome verteidigt sein Gelbes Trikot

Die Strecke war nicht lang, aber sie war am Ende brutal. Die Fahrer mussten eine Schleife vor dem Felsenkloster am Atlantik drehen, damit die Fernseh-Kameras die Gesichter der Stars bei der Zieleinfahrt erwischten und sich im Hintergrund das Kloster als Kulisse auftürmte. Die Tour-Organisatoren übersehen selten werbewirksame Details.

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Tony Martin hatte dagegen keinen Blick mehr für die Landschaft: „Der Gegenwind auf dem letzten Kilometer hat mir noch mal alles abverlangt, es war heftig.“ Da er als 118. der Gesamtwertung drei Stunden vor den Mitfavoriten auf die Strecke musste, blieb ihm nun nur das Warten zwischen Rad und Tat. Die Zitterpartie ging gut für ihn aus: Nur der Brite Christopher Froome kam auf zwölf Sekunden an Martin heran und verteidigte damit sein Gelbes Trikot des Gesamtführenden. Der Rest des Feldes: mehr als eine Minute zurück.

Martin strahlte mit der Sonne um die Wette, nur als der Name seines Teams bei der Siegerehrung fiel, kam man unten im Zielraum auf den Teppich zurück: „Omega Pharma – Quickstep“. Hauptsponsor: ein Pharma-Unternehmen.