Essen. . Der Sport versinkt in Korruption: Wettbetrug, Doping, Schmiergeld für Funktionäre. Gegen Hilfe von außen wehren sich die Verbände. Damit befeuern sie das Problem. Denn wenn sich der Fußball mit den Wetten einlässt, verändern sich nicht die Wetten, sondern die Wetten verändern den Fußball. Ein Kommentar.

Die Zahlen sind beeindruckend: Fast 700 verdächtige Fußballspiele, 425 Beteiligte aus mehr als 15 Ländern, bis zu 100.000 Euro Bestechung pro manipuliertem Spiel. Europol hat am Montag in Den Haag den bislang größten Wettskandal im europälischen Fußball öffentlich gemacht. Der Sport wehrt sich seit Jahren gegen die Hilfe der Ermittler, will autonom bleiben und seine Probleme selbst lösen. Doch das kann er nicht.

Die Ermittler sprechen trotz hunderter Betrugsfälle noch immer von der Spitze des Eisbergs. Wie viele Spiele Samstag für Samstag tatsächlich manipuliert werden, kann niemand seriös abschätzen. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Bochumer Ermittler hatten viele der jetzt mitgezählten Spieler bereits in den vergangenen Jahren untersucht, einige der Verfahren sind lange abgeschlossen. Neu ist also nur ein Teil der Fälle. Dennoch ist bislang wenig passiert.

Aktiver Wettkönig trotz Haftbefehl
Ein Beispiel ist der zur Zeit wohl einflussreichste Wettbetrüger der Welt: Eng Tan Seet, genannt Dan Tan. Dieser hat von Singapur aus in zahlreichen Ländern Spiele manipuliert, Komplizen haben gegen Dan Tan ausgesagt, seit langem existiert ein internationaler Haftbefehl [Hier eine starke Story über "Das Syndikat" der Investigativ-Kollegen des stern].

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Von Thorsten Schabelon und Dietmar Seher

Doch die Regierung in Singapur verhaftet Dan Tan nicht, er kann weiter Spiele manipulieren. Wer die Drahtzieher nicht festnimmt, hat keine Chance auf Heilung, er infiziert sich stattdessen immer stärker. 20 bis 30 Broker gibt es angeblich weltweit, also Betrüger, die auf allen Kontinenten den Wettbetrug organisieren. Der Großteil dieser Broker sitzt in Asien und sucht sich für den Betrug vor Ort lokale Kriminelle, die den Kontakt zu den Spielern und Offiziellen herstellen. Declan Hill hat den Bestseller “The Fix” geschrieben (auf deutsch: “Sichere Siege”).

Von Asien über Osteuropa nach Deutschland
In Asien ist die Glaubwürdigkeit vieler Sportarten vom systematischen Betrug komplett zerstört, schreibt Hill. Der globale Wettbetrug wandere nun westwärts: Von Asien über Osteuropa bis nach Deutschland, das im Zentrum der aktuellen Ermittlungen steht. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat einen großen Teil der Fälle untersucht, ein Drittel der verdächtigen Betrüger wohnt in Deutschland. Die Enthüllung von Europol ist kein schwarzer Tag für den Fußball, sie ist eine Chance, das Problem endlich hart anzugehen. Die Verbände haben in den vergangenen Jahren Frühwarnsysteme installiert. Die sollen Alarm schlagen, wenn hohe Summen auf Spiele gesetzt werden. Doch die Warnsysteme haben versagt, andere Maßnahmen müssen her.

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Einen Vorschlag für Deutschland gibt es schon seit Jahren: Den Entwurf für ein “Gesetz zur Bekämpfung des Dopings und der Korruption im Sport“. In dem Entwurf von Bayerns Justizministerin Beate Merk heißt es unter anderem: “Wer als Teilnehmer, Trainer oder Schiedsrichter eines sportlichen Wettkampfes einen Vorteil dafür annimmt, dass er das Ergebnis in unlauterer Weise beeinflusse, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.” Das Gesetz wird vom Sport seit Jahren mit allen Mitteln bekämpft.

Der Sport betont stets, verschobene Spiele seien Einzelfälle, kein strukturelles Problem. Die Verbände und Klubs geben gern Kriminellen die Schuld, die den Fußball von außen manipulieren. Doch die Drahtzieher haben Komplizen im Fußball. Nicht ein paar, sondern ein paar Hundert. Europol nannte die 425 beteiligten Betrüger nicht umsonst in der Reihenfolge “Schiedsrichter, Funktionäre, Spieler und Schwerkriminelle”.

15 von 18 Klubs mit Wett-Sponsoring

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Von Thorsten Schabelon und Dietmar Seher

Die Verbände bekämpfen Sportwetten nicht, sie wollen ihn kontrollieren, denn einen Teil der Umsätze fließen an den Sport. Es geht um viel Geld. Im Sommer vergangenen Jahres liberalisierte die Bundesregierung zur Freude des organisierten Sports den Glücksspielstaatsvertrag. Zuvor durfte nur der staatliche Wettanbieter Oddset Sportwetten durchführen. Seit Juli 2012 werden in Deutschland 20 private Wettanbieter lizensiert. Die Bundesliga-Vereine sind gleich begeistert darauf angesprungen: Schon wenige Wochen später hatten angeblich 15 von 18 Klubs einen Sponsoring-Vertrag mit Wettanbietern.

Viele Profis sind spielsüchtig. Schnelles Geld und viel Freizeit verführen zum Glücksspiel. Immer wieder verspielen Fußballer ihr gesamtes Vermögen. Solche Profis sind leichte Beute für Wettbetrüger. Die Nähe zu Sportwetten ist gefährlich. Wenn sich der Fußball mit den Wetten einlässt, verändern sich nicht die Wetten, sondern die Wetten verändern den Fußball.