Den Haag. Die europäische Polizeibehörde Europol hat nach eigenen Angaben den weltweit größten Wettskandal der Fußball-Geschichte aufgedeckt. Alleine in Deutschland stehen laut dem Bochumer Hauptkommissar Friedhelm Althans 70 Partien unter Verdacht - deutlich mehr als bislang in den Prozessen am Landgericht Bochum verhandelt worden waren.
Die Ermittlungen unter dem Codenamen "Veto" offenbaren den größten Wettskandal der Sport-Geschichte und stürzen die Fußball-Welt in eine weitere tiefe Glaubwürdigkeitskrise. Die europäische Polizeibehörde Europol hat nach eigenen Angaben rund 700 verdächtige Spiele von 2008 bis 2011 registriert. Darunter sind 300 völlig neue Fälle weltweit sowie alleine in Europa mehr als 380 Partien, die in den Ländern meist schon bekannt waren. Betroffen vom Wettskandal sind Begegnungen der WM- und EM-Qualifikation sowie zwei Champions-League-Spiele, davon ein Treffen in England.
Wainwright: "Haben ein dichtes kriminelles Netzwerk aufgedeckt"
"Wir haben ein dichtes kriminelles Netzwerk aufgedeckt", sagte Europol-Chef Rob Wainwright am Montag auf einer Pressekonferenz in Den Haag. Er sprach von Manipulationen "auf einem nie dagewesenen Niveau" und betonte: "Das ist ein trauriger Tag für den Fußball und ein weiterer Beweis der Korruption durch organisierte Kriminalität in der Gesellschaft."
Alleine in Deutschland stehen laut dem Bochumer Hauptkommissar Friedhelm Althans 70 Partien unter Verdacht - das wären deutlich mehr als bislang in den Prozessen am Landgericht Bochum verhandelt worden waren. An den Manipulationen und dem Wettbetrug sollen insgesamt 425 Club-Funktionäre, ehemalige oder heutige Spieler und Schiedsrichter in mindestens 15 Ländern beteiligt gewesen sein. 151 von ihnen haben demnach ihren Wohnsitz in Deutschland, wo im Zuge des Wettskandals bislang 14 Personen zu Strafen von insgesamt 39 Jahre verurteilt worden waren.
Namen der Verdächtigen wollte Europol-Direktor Rob Wainwright mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht nennen. Neben den zumeist schon bekannten Spielen in Europa wird nun zusätzlich wegen rund 300 neuer verdächtiger Begegnungen, meist in Asien, Zentral- und Südamerika sowie Afrika, ermittelt. Betroffen seien aber auch Spanien, Großbritannien und die Niederlande, sagten die Ermittler auf Nachfrage. "Es sind sogar zwei WM-Qualifikationsspiele in Afrika und eine Partie in Zentralamerika unter Verdacht", sagte Althans.
Manipulationen in 15 Ländern
Durch Manipulationen in 15 Ländern sollen die Betrüger acht Millionen Euro verdient haben. Diese Summe sowie zwei Millionen Euro an Bestechungsgeldern wurden von den Behörden sichergestellt. Das kiriminelle Netzwerk soll laut Europol von Singapur aus gesteuert werden.
Laut Althans wird Wettbetrug immer interessanter für international agierende Banden. Daher rechnet er damit, dass Manipulationen im internationalen Profi-Fußball zunehmen werden. "Das Problem mit dem internationalen Wettbetrug wird immer größer", sagte er. "Internationale Verbrecherbanden wenden sich vom Drogenhandel ab und steigen auf Wettbetrug um", meinte er weiter. Der Grund sei simpel: "Es gibt hohen Profit bei geringem Risiko."
Täter nur durch Undercover-Aktionen zu fassen
Die Ermittlungen seien äußerst schwierig, so Althans, der dem internationalen Ermittlungsteam von Europol zu den Spielmanipulationen im Fußball angehört. "Die Köpfe sitzen in Asien", sagte er. In 150 der rund 300 neuen verdächtigen Spiele kämen die Drahtzieher aus Singapur. Sie hätten ausgezeichnete Kontakte zu Banden in Europa. Pro manipuliertem Spiel seien bis zu 50 Mittelsmänner in über zehn Ländern involviert. Es würden bis zu 100.000 Euro Bestechungsgelder pro Partie bezahlt.
Die gut 18 Monate dauernden Ermittlungen des Europol-Teams ergaben, dass die Banden mit "ausgefeilter Technologie" arbeiteten, sagte der Bochumer Kommissar. "Die Täter fassen wir nur über Undercover-Aktionen.". Ein weiteres Problem seien die unterschiedlichen Rechtssysteme. "Wettbetrug muss dringend international als organisiertes Verbrechen anerkannt werden."
Wainright fordert "abgestimmten Einsatz"
Wainright forderte von der internationalen Fußball-Gemeinschaft "abgestimmten Einsatz", um die Korruption in den Griff zu bekommen. Die Ergebnisse der Untersuchungen wolle er nun an UEFA-Präsident Michel Platini senden. Die Europäische Fußball-Union ließ verlauten, dass sie sich über das Manipulations-Problem "im Klaren" sei. "Im Kampf gegen Manipulationen arbeitet die UEFA bereits mit den verschiedenen Behörden zusammen. Das ist Teil unserer Null-Toleranz-Politik in diesem Bereich", hieß es in einer Mitteilung: "Wenn wir die Details des Berichts erhalten, werden unsere zuständigen Disziplinar-Organe die notwendigen Schritte prüfen."
Die FIFA forderte angesichts der Dimensionen des Skandals eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Ermittlungsbehörden. "Spiel-Manipulationen sind ein globales Problem und keines, das morgen wieder verschwinden wird. Die FIFA und die gesamte Fußball-Familie sind verpflichtet, dagegen anzukämpfen, aber wir werden das allein nicht schaffen können", sagte Sicherheitsdirektor Ralf Mutschke.
Matthäus: "Es gibt immer irgendwelche schwarzen Schafe"
Der frühere leitende Direktor des Bundeskriminalamts erklärte, dass die verschiedenen Verbände "nur Mitglieder der Fußball-Familie" - sprich Spieler, Offizielle oder Vereine bestrafen könnten - nicht aber die Hintermänner außerhalb des Sports. Von daher müsse "die Kooperation zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Sport-Organisationen verstärkt werden", meinte Mutschke.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) reagierte indes zunächst zurückhaltend auf die Meldungen aus Den Haag. "Im ersten Moment ist es schockierend, aber es sind noch keine offiziellen Zahlen. Für mich als Offizieller ist es wichtig, diese zu erhalten", sagte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff: "Wenn die Zahl echt wäre, wäre es natürlich beängstigend." Der deutsche Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus sagte bei Sky Sport News HD: "Fußball wird auf der ganzen Welt gespielt. Da gibt es immer irgendwelche schwarzen Schafe, die auf illegale Weise versuchen, von diesem schönen Sport zu profitieren." (sid/dpa)