Gelsenkirchen. Der Türke Ünal Alpugan schaffte in der Saison 1998/99 auf ungewöhnliche Weise den Sprung von den Amateuren zu den königsblauen Profis. Jetzt, mehr als elf Jahre nach seinem Abschied von Schalke, steht er wieder auf dem Rasen des Parkstadions.
Nebel liegt an diesem Morgen über dem alten Parkstadion, Nebel und eine himmlische Ruhe. Die Schalker Profis sind auf Reisen, nur ein paar Spaziergänger drehen ihre Runde am Berger Feld. Eine Atmosphäre wie geschaffen, um die Zeit zurückzudrehen. Ünal Alpugan träumt ein wenig von der Vergangenheit und sagt: „Ja, hier habe ich gespielt.“ Er steht auf dem Rasen des Parkstadions, das längst nur noch eine Ruine mit Trainingsplatz ist. Hier wurde Ünal Alpugan damals, in der Saison 1998/99 zum Bundesliga-Profi.
Seine Geschichte ist nicht die eines gewöhnlichen Jungen, der aus der Jugendabteilung zu den Profis aufrückt und dort Karriere macht – dafür ist es bei ihm eigentlich fast zu spät. Ünal Alpugan ist schon 25, und den Traum von der Bundesliga, den hat er in diesem Alter beinahe aufgegeben. Sicher, das eine oder andere Mal darf er mit den Profis trainieren, aber eigentlich spielt er bei Schalke in der zweiten Mannschaft. Bis, ja bis sich sein Leben im Winter 1998/ 99 von einem Tag auf den anderen ändert.
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Denn Schalke hat zu dieser Zeit ein großes Problem: Der türkische Mittelfeldstar Hami Mandirali, für den die Königsblauen ihr gesamtes Transfergeld von sieben Millionen Mark zusammengekratzt haben, kommt einfach nicht in Schwung. Hami ist Manager Rudi Assauer ein Jahr vorher bei den Uefa-Cup-Duellen gegen Trabzonspor aufgefallen, doch bei ihrem findigen Scouting haben die Schalker übersehen, dass der türkische Spieler fern der Heimat völlig aufgeschmissen ist. Hami spricht kein einziges Wort Deutsch, und den Dolmetscher mit dem schönen Namen Fathi, den Schalke ihm an die Seite stellt, mag Trainer Huub Stevens einfach nicht.
Das Kabinenverbot von Stevens
Er erteilt Fathi ein Kabinenverbot und setzt bei Hami lieber auf eine Verständigung mit Händen und Füßen. Doch dies funktioniert so lange nicht, bis sich Stevens daran erinnert, dass es ja einen türkischen Spieler in der Schalker Amateurmannschaft gibt: Und dieser Ünal Alpugan, der könnte doch wohl…
„Die haben mich gefragt, ob ich Hami helfen will“, erinnert sich Alpugan: „Und für mich war das eine Ehre, so einen prominenten Landsmann zu begleiten.“ Genauso und nicht anders landet Alpugan auf einmal in Schalker Profikader.
Er macht die komplette Vorbereitung auf die Rückrunde mit. Auf dem Trainingsplatz und in der Kabine übersetzt er die Anweisungen von Huub Stevens, nach dem Training geht er mit Hami zum Essen. Und als Schalke eine Woche vor dem Rückrundenstart im Parkstadion das letzte Testspiel gegen Fortuna Düsseldorf absolviert, darf Alpugan sogar mitspielen. Nicht nur ein paar Minuten vor Schluss zur Belohnung für treue Dolmetscher-Dienste, sondern sogar von Anfang an. „Da habe ich gedacht: Das ist doch nicht normal“, lacht Alpugan: „Nächste Woche ist Meisterschaft.“ Und als der Vertragsamateur auch da, beim Bundesligaspiel in Stuttgart, in der Schalker Start-Elf steht, dämmert es ihm langsam: „Ich bin beim Training wohl aufgefallen.“
Auf einmal ist der Dolmetscher Stammspieler
Alpugan macht in der Rückrunde fast alle Spiele mit. Auf einmal heißt es sogar, dass der Dolmetscher besser sei als der Millionen-Mann. Es läuft wie im Märchen aus 1001 Nacht, und Alpugan kann es selbst kaum glauben. Deswegen geht er eines Tages sogar zu Huub Stevens und fragt: „Spiele ich, weil ich der Dolmetscher von Hami bin, oder spiele ich wegen meiner Leistung?“ Und die Antwort von Stevens macht ihn stolz: „Du spielst, weil du durch deine Leistung aufgefallen bist.“
Ünal Alpugan ist beruhigt. Er bleibt auch dann im Schalker Profikader, als Hami nach einem Jahr wieder in die Türkei zurückkehrt. Alpugan macht 42 Bundesliga-Spiele für Schalke und ist eineinhalb Jahre lang Stammspieler an der Seite von Jiri Nemec. Viermal wird er sogar in den Kader der türkischen Nationalmannschaft eingeladen – nicht schlecht für einen, der als Dolmetscher angefangen hat.
Über den Zaun der Nordkurve geklettert
Jetzt, mehr als elf Jahre nach seinem Abschied von Schalke, steht er wieder auf dem Rasen des Parkstadions. „Der sieht aber noch gut aus“, staunt Alpugan. Er erzählt, wie er als kleiner Junge über den Zaun der Nordkurve geklettert ist, um sich die Schalker Spiele anzusehen – „Zaunkarte“, lacht er, „den Eintritt konnten wir uns nicht leisten.“ Sein Vater hat auf der Zeche Hugo gearbeitet, der Junge hatte immer nur Fußball im Kopf.
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Natürlich hat er von einer Karriere auf Schalke geträumt, aber er weiß genau: „Ohne Hami hätte das nicht geklappt. Wenn er nicht hier gewesen wäre, hätte ich meine Chance nicht bekommen.“ Er erzählt, wie sich Schalkes späterer Manager Andreas Müller damals gewundert hat, dass man so ein Talent wie Alpugan in der Amateurmannschaft zunächst übersehen hatte. Und er sagt: „Du brauchst Beziehungen, sonst hast du keine Chance.“
Vier-Minuten-Meisterschaft auf der Ersatzbank
Zu Hami hat Ünal Alpugan noch ein paar Jahre Kontakt gehabt – vor allem in der Zeit, als er selbst in der Türkei gespielt hat nach seinem Abschied von Schalke im Sommer 2001: Fünf Jahre war Alpugan bei Rizespor, anschließend zwei Jahre bei Istanbul BB. Seit 2008 lebt er wieder in Gelsenkirchen und wartet darauf, irgendwo den Trainerschein machen zu dürfen. In der Türkei hat Hami ein gutes Wort für ihn eingelegt, aber die Warteliste für den Lehrgang ist lang: „Seit zweieinhalb Jahren tut sich nichts.“ Auch in Deutschland, wo er ein paar Monate den Gelsenkirchener Klub YEG Hassel betreut hat, kommt er nicht so wirklich voran, „und irgendwann wirst du vergessen“.
Der Nebel lichtet sich langsam über der Ruine des Parkstadions – Zeit für den Fotografen, um die Bilder zu machen. Alpugan setzt sich auf die alte Ersatzbank, die immer noch am Spielfeldrand steht: Genau hier hat er auch gesessen, als Schalke am 19. Mai 2001 für vier Minuten Deutscher Meister ist. Diese Eindrücke kann ihm keiner mehr nehmen, auch wenn heute alles so weit weg scheint. „Wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, würde ich es machen“, sagt Alpugan und blickt verträumt auf den Rasen: „Als ich noch selbst gespielt habe, da habe ich nie gedacht, dass es mit dem Fußball mal zu Ende geht.“