Ruhpolding. Die Titelkämpfe bei der Biathlon-WM machen aus Ruhpolding eine einzige riesige Partyzone. Im 6500-Einwohner-Ort befinden sich während der Weltmeisterschaft 250.000 Zuschauer.
Der Morgen danach. Es ist Ruhetag bei der WM in Ruhpolding, der 6500-Einwohner-Ort verschnauft nach einem geballten Wochenende mit vier Entscheidungen auf der Strecke und endlosen mindestens so anstrengenden Après-Biathlon-Parties. Im Kurpark von Ruhpolding, der für die Weltmeisterschaftstage in Championspark umgetauft wurde, liegen noch Flaschen, Gläser und Krüge. Spuren einer langen Nacht in einem Dorf, das niemals schläft. Jedenfalls nicht während der WM, für die auf dem kleinen Dienstweg mit profitsicherer alpiner Bauernschläue die Sperrstunde außer Kraft gesetzt wurde.
Eine Mutter kommt mit ihrem sechsjährigen Jungen aus der Bäckerei Schuhbeck. "Fischers Fritz fischt frische Fische", rattert der Knirps fehlerfrei herunter. "Jo mei, so is recht", lobt die Mutter. In der Bäckerei sitzt der Mann, der den kleinen Ruhpoldinger zum Reimen inspiriert hat. Fritz Fischer, Staffel-Olympiasieger von 1992 aus Ruhpolding, sitzt bei einer Brez’n und einem Haferl Kaffee und diskutiert mit Biathlon-Fans aus dem Rheinland, aus Norddeutschland und dem Ruhrgebiet.
In Ruapading, wie das Mekka der populärsten deutschen Wintersportart in bestem Oberbayerisch klingt, dreht sich alles um Biathlon. In der Bäckerei Schuhbeck gibt es ein Fritz-Fischer-Brot und Biathlon Weckerl. Und damit sich auch die schwedischen Fans wie zu Hause fühlen und ihre Semmel als Smörrebröd-Ersatz bei Schuhbeck kaufen, werden sie mit dem Plakatspruch "Guds Fred" (Grüß Gott) an der Eingangstür begrüßt. An jeder Ecke des Ortes hängen die Fahnen der 45 teilnehmenden Nationen und natürlich Konterfeis der Magdalena Neuner: Die Lena-Mania ist auf dem Siedepunkt angekommen.
Biathlon-Legende Uschi Disl gibt Autogrammstunden bei Sport Plenk, Kathrin Hitzer beim Konkurrenten Dollinger. Ein lebensgroßes Poster von Hitzer, die wegen ihrer Schwangerschaft bei der WM zuschauen muss, steht im Schaufenster von Trachten Speckbacher: In blau-weißem Dirndl mit grüner Schürze. Auf dem Areal einer früheren Tankstelle steht der mobile Schießstand für Jedermann. Fünf Schüsse für drei Euro. Geschossen wird aus einer Entfernung von zehn Metern mit einem Repetiergewehr. Frauen schießen dreimal liegend, zweimal stehend. Die Buben, wie man in Ruapading sagt, machen es umgekehrt.
Ruhpolding 2012, das ist eine WM der Rekorde. Bis zu 250.000 Zuschauer werden die Rennen vor Ort verfolgen, 45 Nationen gehen an den Start. Der Hype ist ungebrochen. Schon morgens um acht stehen die hartgesottenen Fans an der Strecke, um sich fünf, sechs Stunden auf das eigentliche Spektakel in der Loipe und am Schießstand einzustimmen. 8000 Liter Glühwein, 1,5 Tonnen Leberkäse: Für die Verpflegung der Wartenden ist gesorgt.
Aus den Lautsprechern dröhnen neben der Ave-Magdalena-Hymne die klassischen Party-Muntermacher wie "Schatzi, ich schenk dir ein Foto" oder "Die Hände zum Himmel". Das Publikum ist gemischt: Von den Biathlonfreunden Günderich am Niederrhein bis zum Ostfriesen-Treff oder dem 700 Mitglieder starken Magdalena-Neuner-Fanclub. Frauen sind eher in der Mehrheit, graue Haare häufiger zu sehen als blonde oder schwarze. Auf dem Parkplatz steht neben dem Golf aus dem Ruhrgebiet der Rolls-Royce mit weißrussischem Kennzeichen.
Und wenn die Fan-Karawane nach den Rennen von der Chiemgau-Arena ins Dorf zieht, geht es im Kurpark, pardon, Champions-Park, weiter. DJ Soundbär und die Senftuben heizen dann der Party-Gemeinde ein. Ende offen. Aber für erste Hilfe ist gesorgt. Im Schaufenster der Adler-Apotheke liegen neben einem Arsenal von leeren Flaschen abholbereit die Pillen für den Kater danach. Pflichtgemäß steht die Warnung daneben: "Dies ist keine Aufforderung zum hemmungslosen Alkoholgenuss". Und in einer Mischung von Humor und Realismus: "Give your liver a chance", "Gib deiner Leber eine Chance". Wer am Donnerstag kurz nach Acht wieder fit ist, geht zur Bäckerei Schuhbeck. Fischers Fritze fischt dann wieder. Es gibt keine frischen Fische, aber knackige Semmeln und lustige Geschichten.