Mülheim.. In Berlin findet Europas Makkabiade mit 2300 jüdischen Sportlern statt. Sie kämpfen an dem Ort, von dem viel Leid ausging, nicht nur um Siege.
Es ist keine Bildungslücke, wenn einem die Namen von Julius und Hermann Baruch, von Lilli Henoch und Gottfried Fuchs nichts mehr sagen. Sie waren überaus erfolgreiche Sportler – und Juden. Was ihnen ihr Leben erschwerte und in vielen Fällen sogar ihr Leben kostete, als Deutschland sein schlimmstes Geschichtskapitel schrieb. Die Baruch-Brüder waren Europameister im Ringen und starben 1942 in Konzentrationslagern. Lilli Henoch, mehrfache Weltmeisterin in der Leichtathletik, wurde im selben Jahr nach Riga deportiert und dort ermordet.
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Der einstige Fußball-Nationalspieler Gottfried Fuchs hält den Torrekord mit zehn Treffern beim 16:0 gegen Russland 1912, der frühere Bundestrainer Sepp Herberger nannte ihn den „Franz Beckenbauer meiner Jugend“. Fuchs konnte noch rechtzeitig vor der Tyrannei der Nazis fliehen.
Grote: „Es geht ums Miteinander und Integration“
Die Baruchs, Henoch und Fuchs gehören zu den 17 jüdischen Sportlern, an die gerade vor dem Berliner Hauptbahnhof mit Skulpturen erinnert wird. Das ist kein Zufall, denn in der Hauptstadt eröffnet am Dienstag Bundespräsident Joachim Gauck die 14. Europäische Makkabiade – 70 Jahre nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft. Mehr als 2300 jüdische Sportler aus 38 Nationen kommen dann an dem Ort zusammen, von dem so viel Leid für ihre Vorfahren ausgegangen ist. „Wir gehen den Weg andächtig, aber stolz“, sagt Dinah Grote, eine von 376 deutschen Teilnehmern.
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Die 25-Jährige spielt für Uhlenhorst Mülheim in der 2. Hockey-Bundesliga, 2011 wurde sie Hallen-Weltmeisterin. Der Sport steht bis zum Ende der Makkabiade am 5. August jedoch im Hintergrund. „Hier geht es mehr ums Miteinander und die Integration“, sagt die Physiotherapie-Studentin.
Einige jüdische Sportler verzichteten auf Teilnahme in Berlin
In 19 Disziplinen ermitteln die Sportler ihre Sieger, zumeist im Berliner Olympiapark, wo sie bei den Propaganda-Spielen des Nationalsozialismus 1936 noch rigoros ausgeschlossen waren. Zum Programm gehören auch der Besuch des Konzentrationslagers Sachsenhausen und das Zusammentreffen mit vielen Nachfahren von Holocaust-Überlebenden. „Es ist ganz anders, als man es aus dem Geschichtsunterricht kennt“, erklärt Dinah Grote, „es ist viel menschlicher, viel näher.“
Nicht alle jüdischen Sportler, in erster Linie die älteren, haben mit der Geschichtsbewältigung abgeschlossen, einige verzichteten daher auf eine Anreise. Obwohl lauter Plakate mit Aufschriften wie „Die ganze Mischpoke ist am Start“ oder „Gesucht wird die schnellste Ische Europas“ zeigen sollen, dass nicht nur jiddische Begriffe längst im deutschen Alltag fest verankert sind.
Für Gert Rosenthal sind die Spiele in Berlin jedoch eine große Möglichkeit, um zu zeigen, „dass es lebenswert ist, als Jude in Deutschland zu sein“. Der 56 Jahre alte Jurist ist der Sohn der Dalli-Dalli-TV-Legende Hans Rosenthal und so etwas wie der Manager der Makkabi-Hockey-Teams, in denen er selbst spielt oder seiner Tochter Debora die Daumen drückt. Vor vier Jahren trug er bei der Eröffnungsfeier in Wien als erster Deutscher nach 1945 die schwarz-rot-goldene Fahne. „Die Nationalfarben waren eben lange verpöhnt.“
Polizei sichert Sportler bei Makkabiade ab
Auf derlei Konflikte können alle in diesen Tagen verzichten, ein gewisses Sicherheitsrisiko gibt es aber doch: Sämtliche Teilnehmer sind in einem riesigen Hotel in Neukölln untergebracht. Unweit davon haben Islamisten in der Al-Nur-Moschee ihren Hass gegen Juden gepredigt. Die Polizei sichert die Sportler mit einem Großaufgebot ab, um es nicht noch einmal zu einem Anschlag wie bei den Olympischen Spielen 1972 in München kommen zu lassen.
Gert Rosenthal sieht auch darin eine Chance: „Es sind viele Flüchtlinge aus arabischen Ländern nach Deutschland gekommen, die zu Hause in den Schulen Antisemitismus gelehrt bekommen haben. Wir können ihnen zeigen, dass wir nicht so sind, wie wir dort dargestellt werden.“ Die größten Siege können also nicht auf dem Sportfeld, sondern für die Gesellschaft errungen werden.