Givat Haim. KZ-Häftlinge betrieben eine kleine Fußballliga, die Nazis nutzten die Bilder zur Propaganda. Zum 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung nun ein Film.

Die Häftlinge des Konzentrationslagers Theresienstadt wirken zufrieden. Die Kamera zeigt Näherinnen, Orchestermusiker, Metallarbeiter mit freien Oberkörpern. Die längste Passage des Films zeigt ein Fußballspiel.

In einem Kasernenhof laufen kräftige Männer auf ein Holztor zu, ihre Trikots sind mit dem gelben Stern bestickt. Tausende Zuschauer stehen dicht gedrängt in der dreistöckigen Baracke. „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ – unter diesem inoffiziellen Titel ist der Propagandastreifen zu einem gespenstischen Mythos geworden.

Viele Fragen, keine Antworten

Oded Breda, 60, hat den Film dutzende Male gesehen. Der israelische Computerspezialist hat ihn in Einzelbilder zerlegt. Breda leitet „Beit Theresienstadt“, das Haus Theresienstadt, eine Gedenkstätte im Kibbuz Givat Haim, nördlich von Tel Aviv. Er deutet auf einen Spieler mit blonden Haaren, seinen Onkel Pavel. „Viele Jahre hat mich dieses Bild verfolgt“, sagt Breda. „Ich hatte viele Fragen, aber keine Antworten.“

Moshe Breda, der Vater von Oded, war eines von wenigen Familienmitgliedern, die 1939 nach Palästina fliehen konnten. Oded Breda fragte, was in Theresienstadt mit seinem Onkel passiert war, doch sein Vater wollte nicht reden. Irgendwann hielt es Breda nicht mehr aus, gab seinen Job auf und forschte. Über Theresienstadt, seine Familie und was er nicht ahnte: Über Fußballspiele im KZ.

Der letzte überlebende Fußballer

Die Nazis hatten der Außenwelt das KZ Theresienstadt in der Nähe von Prag als „Vorzeigeghetto“ verkauft: für prominente Häftlinge und jüdische Künstler. Ende 1943 wurden 450 Juden aus Dänemark nach Theresienstadt deportiert. Die dänische Regierung bestand darauf, dass sich Kontrolleure ein Bild machten. Gefangene mussten daraufhin Häuser renovieren und Blumen pflanzen. Am 23. Juni 1944 besuchte eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes das Ghetto – und fiel auf die „Verschönerungsmaßnahmen“ herein.

Der Lagerkommandant forderte einen Propagandafilm, um einen angenehmen Tagesablauf der Häftlinge zu inszenieren. Der Streifen zeigt auch jenes Fußballspiel – die meisten Spieler und Zuschauer starben kurz darauf in Auschwitz.

Oded Breda war nicht sicher, ob sein Onkel Pavel an der Propagandapartie am 1. September 1944 teilgenommen hatte, zu undeutlich waren die Filmaufnahmen. Breda recherchierte. Vor acht Jahren besuchte er das „Haus Theresienstadt“. Dort traf er Peter Erben, den letzten lebenden Fußballer aus dem Ghetto. Erben ist 94 Jahre alt, er bestätigte, dass Pavel Breda im Kasernenhof gespielt hatte. Vier Wochen später war Pavel Breda in Auschwitz verhungert, im Alter von zwanzig Jahren.

Konzerte, Vortragsabende, Kinderzeichnungen

Das Kulturleben in Theresienstadt wurde gut dokumentiert, die Konzerte, Vortragsabende, Kinderzeichnungen. Doch der Fußball war kaum beleuchtet worden. Oded Breda sammelte Notizen, Zeichnungen, Erinnerungsberichte, darin waren die Strukturen der „Liga Theresienstadt“ vermerkt: In der so genannten Dresdner Baracke wurden zwischen 1942 und 1944 dutzende Spiele ausgetragen. Sieben gegen Sieben, zweimal 35 Minuten.

Die Mannschaften wurden nach den Berufen der Häftlinge gebildet: Köche traten gegen Elektriker an, Gärtner gegen Schneider. Andere Spieler wollten ihre Lieblingsvereine würdigen, schlossen sich als Fortuna Köln zusammen oder Sparta Prag. Breda glaubt, dass Fußball ein wenig Solidarität stiften konnte. 2009 eröffnete er die Ausstellung „Liga Terezín“, als Jugendraum der Gedenkstätte in Givat Haim.

Die Jewish Claims Conference, ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen, geht davon aus, dass es noch rund 350.000 Überlebende des Holocaust gibt. Museen und Gedenkstätten suchen nach neuen Wegen der Geschichtsvermittlung.

„Die junge Generation lebt im Wohlstand, das Nachdenken über den Holocaust ist für sie oft eine Pflichtaufgabe“, sagt Oded Breda. Durch den Fußball kann er mit Jugendlichen sprechen, die er sonst nicht erreicht. Jeweils im Herbst findet im Kibbuz ein Turnier statt. Jüdische und muslimische Jugendliche spielen in nachproduzierten Trikots der Lagermannschaften. „Wir müssen den Film kritisch einordnen“, sagt Breda. „Sonst wirkt das Spiel für junge Leute wie ein Sommercamp.“

Die Besuche der DFB-Delegation

In Deutschland hatte "Die Zeit" bei TNS Infratest eine Befragung von Jugendlichen in Auftrag gegeben. Es kam heraus, dass sich mehr als zwei Drittel für den Nationalsozialismus interessieren. Es ist Tradition, dass die deutsche Jugendnationalmannschaft der U18 im Dezember zu einem Jugendturnier nach Israel reist. 2013 haben DFB-Funktionäre erneut das „Haus Theresienstadt“ besucht. Oded Breda hat ihnen von seiner mobilen Ausstellung erzählt, die er in Schulen und Stadien zeigt. Er spricht über Rassismus, Überlegenheitsdenken, Massenekstase.

Oded Breda hat mit den Journalisten Mike Schwartz und Avi Kanner einen fünfzig Minuten langen Film produziert. Darin schildern sie die Geschichte der „Liga Terezín“ und erläutern den Antisemitismus von heute. Breda wird den Film nun in sieben deutschen Städten vorstellen, siebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz.

Rund 200.000 Menschen haben die Dokumentation „Liga Terezín“ im israelischen Fernsehen gesehen – das Spitzenspiel der ersten Liga hatte weniger Zuschauer.