Berlin. .

Seit der WM in Südafrika haben Deutschlands Nationalstürmer das Toreschießen scheinbar verlernt. Aber das ist vor dem Länderspiel gegen die Türkei in Berlin nicht das einzige Problem von Bundestrainer Jogi Löw.

Miroslav Klose. Mario Gomez. Cacau. Das sind Namen mit der Aura des Slawischen, des Spanischen, des Brasilianischen, des Weltbürgerlichen. Sie würden sich einschmiegen in die Liste der aktuell besten Torjäger der Bundesliga: Cisse, Gekas, Lakic, Progrebnyak. Dzeko. Die Voraussetzung zur Aufnahme in diesen Männerklub ist allerdings eine erfolgreiche Tätigkeit in der Trefferproduktion. Und Klose, Gomez, Cacau, die Bundestrainer Joachim Löw für die EM-Qualifikationspartie gegen die Türkei an diesem Freitag in Berlin unter dem Begriff „Sturm“ notiert hat, sie haben bisher insgesamt zwei Treffer (beide Cacau) erzielt. 25 weniger als die anderen genannten Herrschaften.

Das könnte nachdenklich stimmen. Das könnte im Deutschland der Fußballnachdenker vor diesem Spiel gegen eine Mannschaft, die Löw „zur europäischen Spitze“ hinzuzählt, sogar für eine zweiflerische Anspannung sorgen. Es herrscht ja auch hinter dem Sturm nicht eitel Sonnenschein. Torhüter Manuel Neuer ist mit Schalke in ein tiefes Loch gefallen und muss sich fragen, warum er nicht vor dem Sturz den Absprung vom geliebten Klub geschafft hat. In der Innenverteidigung fehlt verletzt Arne Friedrich, der Stabilisator der WM-Zeit, und gegen die Türkei werden der nach seiner Form suchende Per Mertesacker und der mit den Bayern herumrumpelnde Holger Badstuber antreten.

Löws überraschender Blick

Letzteres (und vorletzteres und so weiter) sieht Löw nicht so. Und es hat mittlerweile Tradition, dass der Bundestrainer einen oft überraschenden Blick auf den Fußball wirft. Die bajuwarischen Patienten Philipp Lahm und Thomas Müller und der in Köln dauerfremdelnde Lukas Podolski müssen nicht zu Antidepressiva greifen. Sie haben doch den rezeptfreien Stimmungsaufheller Nationalelf. Jerome Boateng hat erst 175 Minuten für Manchester City gespielt? Egal. Er ist neben dem Hamburger Frustrierten Heiko Westermann ein Kandidat für die Linksverteidigerposition.

Dass deutsche Hände nicht feucht werden, weil Löw auf ein Personal der Hinterherhinkenden und Hadernden setzt, liegt an den Erinnerungsblöckchen in den Köpfen. Waren die Startbedingungen bei der WM in Südafrika nicht auch furchtbar? Und hat es der Bundestrainer nicht bezaubernd gerichtet? Ja. Hat er. Doch vor der WM gab es eine lange Vorbereitung. Diesmal stehen zwei Trainingseinheiten zur Verfügung. Und nicht nur Michael Ballack ist abwesend. Auch Bastian Schweinsteiger, die Gefühlsführungskraft, hat sich verletzt.

Özil trägt die Hoffnung

Am Donnerstag in Berlin wirkt Joachim Löw so aufgeräumt, wie ihn die Nation seit Beginn seiner Amtszeit erlebt. „Das ist ein wichtiges Spiel“, sagt der Bundestrainer, „aber es ist kein entscheidendes Spiel.“ Dass er im Olympiastadion „eine tolle Atmosphäre“ erwarte, fügt er an. Aber dass es sich bei der Begegnung mit dem härtesten Konkurrenten im Ringen um die EM-Teilnahme nicht ganz nebenbei um eine fröhliche Feier der deutschen Integrationsfortschritte handeln soll, hatte sich als Erkenntnis bereits etabliert.

Zwei außerordentlich positiv integrierte Fußballer mit Migrationshintergrund bilden auch die Ausnahmen zur Frustrierten-Regel. Sami Khedira (tunesischer Vater) und Mesut Özil (Türkei-stämmige Eltern) sind nicht nur zu Real Madrid gewechselt. Sie sind auf dem königlichen Rasen angekommen. Özil soll nun wie gewohnt für die kreativen Momente im Angriff zuständig sein. Und Khedira soll gemeinsam mit dem Bayern Toni Kroos oder Christian Träsch von Liga-Schlusslicht Stuttgart vor der Defensive aufräumen und die Offensive organisieren. Die dazu notwendige Klasse haben der 22-jährige Özil und der 23-jährige Khedira anders als die Kollegen kürzlich noch nachgewiesen.

Alternativen chancenlos

Genau diese Beweisführung ist es, die Löw bei den die Liga-Etablierten aufmischenden und ähnlich jungen Mainzern und Dortmundern vermisst. „Höchsten Ansprüchen“, erklärt er, hätten die Schürrles und Hummels’ noch nicht genügt. Und Stürmer mit ebenfalls klangstarken Namen wie Kevin Kuranyi (sechs Treffer in acht Partien für Dynamo Moskau) oder Patrick Helmes (acht Treffer für Leverkusen in Liga, Pokal, Europa League) sind halt irgendwie traditionell einfach nicht sein Thema.