Berlin. .

Warum Mesut Özil am Freitag in Berlin für sein Geburtsland und Nuri Sahin für sein Vaterland spielt. Von Mustafa Dogan hatte 1998 kaum jemand Notiz genommen.

Als Berti Vogts im Herbst 1998 nach Malta reiste, hatte er einen Plan im Gepäck. Er wollte den deutschen Fußball nach der verkorksten WM in Frankreich mit frischem Blut versorgen und durch die Reaktivierung Stefan Effenbergs gleichzeitig das urdeutsche Führungsspielerprinzip wiederbeleben. Geklappt hat das nicht. Doch ein spannendes Stück Geschichte wurde auf der Insel geschrieben. Malta war die Endstation für den damaligen Bundestrainer. Auf Malta durfte Michael Ballack das erste Mal mit der Nationalmannschaft trainieren. Und einen gewissen Mustafa Dogan hatte Vogts auch auf die Reise mitgenommen.

Letzteres wurde seinerzeit registriert, aber nicht als Sensation empfunden. Dogan war der erste deutsche Nationalspieler mit türkischem Migrationshintergrund. Und er absolvierte zwei Spiele für das Land seiner Wahl und fiel ansonsten nicht weiter auf. Um allen Interviewnachfragen für Mesut Özil nachkommen zu können, meint Harald Stenger, der Sprecher der Nationalelf, müsse man dagegen die EM-Qualifikationspartie gegen die Türkei am Freitag in Berlin „um zwei Wochen nach hinten verschieben“. Und das liegt nicht allein daran, dass dieser weitere türkisch-deutsche Fußballer für die Königlichen von Real Madrid den Ball streichelt und eine bedeutende Größe in der Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw ist. Deutschland hat auch die Wucht der Einwanderung entdeckt. Deutschland diskutiert. Deutschland hakt nach: Wer hat sich für mich entschieden – und wenn, warum?

Özil ist 21 Jahre alt, und er fühlt sich überfordert. Er sagt: „Ich bin hier geboren und hier aufgewachsen.“ Er sagt: „Für mich war es kein Thema, für eine andere Nation als Deutschland zu spielen.“ Er sagt unter dem Strich, dass es doch normal sei, dass jemand, der seine Jugend in Klubs mit Namen wie Teutonia Schalke oder Westfalia Gelsenkirchen verbrachte, sich auch nach dem schwarz-weißen Leibchen sehnt. Dass Nuri Sahin, der Dortmunder Borusse, als Knabe unter anderem bei einem Verein mit dem ebenfalls sehr deutschen Namen RSV Meinerzhagen spielte und doch im Rot der Türkei gegen ihn antreten wird, ist für Özil nur ein schönes Ballsport-Ereignis. Der Kicker ihn ihm freut sich, „weil ich auf meine Freunde treffe“.

Altintop deutet ökonomische Gründe an

Einer der Freunde, die er nennt, heißt Hamit Altintop. Und Hamit Altintop hat gerade im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung angedeutet, dass sich Özil aus ökonomischen Gründen zu einem Engagement im deutschen Ensemble entschlossen haben könnte. Er selbst, so der Bayer mit Schalke-Vergangenheit, habe sich wie Sahin zur Türkei bekannt, weil seine familiären Wurzeln dort zu finden sind und die türkische Kultur zwischen den vier Gelsenkirchener Wänden seiner Kindheit gelebt worden sei. Özil hätte vielleicht auf den Status eines deutschen Nationalspielers geachtet und den daraus folgenden „höheren Marktwert“ in seinen Entscheidungsprozess mit einbezogen.

Möglich ist natürlich auch einfach, dass es unterschiedliche türkisch-deutsche Welten gibt. Im Gespräch mit dieser Zeitung hat der gerade erst 22 Jahre alt gewordene Sahin von seinem Traum erzählt. „Ich träume davon“, hat er gesagt, „dass ich mich irgendwann ganz auf meine Familie konzentrieren kann, dass ich mir irgendwann diesen Luxus leisten kann.“ Im Showgeschäft rund um den Ball auffällig geworden ist diese Familie ebenso wenig wie die Kultur bewahrende Familie Altintop. Auffällig wird, wer in Schwarz-Weiß Buntes auf den Boulevard wirft. Özil ist mit Anna-Maria Lagerbloom liiert, der Schwester von Popstar Sarah Connor, der Ex-Frau von Fußballprofi Pekka Lagerbloom, aus deren Beziehung zu einem Tänzer ein Sohn hervorging. Diese Frau Lagerbloom konvertierte nach dem Beziehungseintritt zum Islam. Und das ist eine Story.

Multikulturelle Elf

Es ist eine Story für Deutschland, die von Deutschland berichtet. Ein „Sinnbild“ für die multikulturelle Identität des Landes sei die Nationalelf 2010, hat der derzeitige Kapitän Philipp Lahm am Mittwoch erklärt. Und Özil, der nach seinem ersten Tor für Deutschland im September 2009 gegen Südafrika vom gealterten Führungsspieler und Kapitän im Verletzungsstand Michael Ballack so über alle Maßen gelobt worden war, hat ein bisschen gerätselt, wie es wohl wäre, wenn er gegen die Türkei wieder ins Netz treffen würde. Wild jubeln? „Ma kucken.“