Lausanne/Hamburg. Kann Claudia Pechstein womöglich am 6. November beim Berliner Weltcup-Auftakt in den olympischen Eisschnelllauf-Winter starten? Voraussetzung dafür wäre, dass der Internationale Sportgerichtshof (CAS), der ab Donnerstag in Lausanne tagt, Pechsteins zweijährige Dopingsperre aufhebt.

Eine Prognose wagt niemand angesichts des komplizierten Falls, bei dem es nicht nur um die Zukunft der Läuferin, sondern auch um die Zukunft des weltweiten Anti-Doping-Kampfs geht. Claudia Pechstein war im Juli aufgrund von Indizien vom Eisschnelllauf-Weltverband (ISU) gesperrt worden. Wegen verdächtiger Blutwerte, nicht wegen eines in ihrem Körper gefundenen Dopingmittels. Es geht vielmehr um das unnatürliche Anwachsen junger roter Blutkörperchen (Retikulozyten), und das im Blut einer 37-Jährigen.

Weltverband stützt sich auf WADA-Code

Der Weltverband stützt sich dabei auf den seit Anfang 2009 gültigen WADA-Code, in dem steht: „Tatsachen im Zusammenhang mit Verstößen gegen Anti-Doping-Bestimmungen können durch jegliche verlässliche Mittel, einschließlich Geständnis, bewiesen werden.”

Ein Geständnis gibt es nicht, aber die ISU glaubt, verlässliche Mittel gefunden zu haben: Pechsteins Blutwerte. Die Läuferin bestreitet Doping. Nachdem sie bisher weder eine Blutanomalie noch eine Krankheit als Entlastung anführen konnte, glauben ihre Anwälte jetzt Beweise dafür gefunden zu haben. „Wir haben dem CAS insgesamt sechs medizinische Gutachten vorgelegt. Zwei von ihnen enthalten Befunde, die deutliche Hinweise auf eine natürliche Ursache der schwankenden Retikulozyten liefern”, ließ das Pechstein-Lager einen Tag vor der Verhandlung in Lausanne verlauten. Zuvor hatte die Verteidigungsstrategie vor allem auf angebliche Messfehler abgezielt.

"Wir vertrauen darauf, dass wir unsere Arbeit richtig gemacht haben"

Nach Angaben von Pechsteins Manager Ralf Grengel hatte man die medizinischen Expertisen unter „hohem Zeitdruck und unter erheblichem finanziellen Aufwand” anfertigen und erst am letztmöglichen Eingabetermin dem CAS zukommen lassen.

Der niederländische ISU-Chefmediziner Harm Kuipers – 1974 und 1975 Vierkampf-Weltmeister – zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt. Vor dem Prozess: „Wir vertrauen darauf, dass wir unsere Arbeit richtig gemacht haben. Ich bin zuversichtlich.“

Bei Niederlage geht Pechstein wohl vor ordentliches Gericht

Ist der Internationale Sportgerichtshof für eine derart weitreichende Weichenstellung überhaupt die richtige Instanz? Er ist kein ordentliches, also kein Straf-, sondern nur ein Schiedsgericht. Seine Urteile können jederzeit andernorts aufgehoben werden. Außerdem wird die CAS-Kammer für Einsprüche gegen Verbandsstrafen pikanterweise von Deutschlands höchstem Sportfunktionär, DOSB-Präsident Dr. jur. Thomas Bach, geleitet. Er hat zwar den aktuellen Fall Pechstein an seinen schwedischen Stellvertreter Gunnar Werner delegiert, aber vor einem ordentlichen Gericht würde die Gegenseite auch Werner als befangen ablehnen.

Doch was geschieht überhaupt bei einer Niederlage Pechsteins? Sie wird dann wohl vor einem ordentlichen Gericht klagen. Das verspricht erfahrungsgemäß mehr Erfolg, kann sich jedoch über viele Monate hinziehen. Pechsteins Hoffnungen auf einen Olympia-Start 2010 in Vancouver könnten sich damit erledigen.

Kein weiteres Jahrhunderttalent in Sicht

Doch wie auch immer, die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) steht in jedem Fall vor einem Paradigmenwechsel. Denn nach dem Fall Pechstein, nach Friesingers Abwanderung in die Niederlande und Jenny Wolfs angekündigtem Schlussakkord bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 ist weit und breit kein weiteres Jahrhundert-Talent in Sicht.

35 (!) Trainer und neun Stadion-Bahnen müssen allerdings erst einmal aus Steuergeldern finanziert werden. Außerdem sollen in Inzell und München zwei weitere Schnelllauf-Hallen entstehen: Gesamtkosten: ca. 70 Mio Euro. Hat man die ehemalige Randsportart Eisschnelllauf nicht allzu sehr aufgebläht? Fragen, die nach dem Pechstein-Prozess im Chatheau de Bethusy zu Lausanne dringend der Beantwortung bedürfen.