Dortmund. Beim 5:1 gegen Freiburg macht Sebastien Haller sein erstes BVB-Tor – und deutet an, wie wertvoll er in sportlicher Hinsicht noch werden kann.

Sebastien Haller verzog kurz das Gesicht. „Puh“, sagte der Stürmer von Borussia Dortmund, „es ist immer noch schwer.“ Das Bundesligaspiel gegen den SC Freiburg war da längst abgepfiffen, der fulminante 5:1 (1:1)-Sieg ausführlich analysiert, die Emotionen wieder auf Normalmaß hinuntergepegelt. Und nun stand Haller im kalten Tunnel unter der Osttribüne des Dortmunder Stadions, und sprach in ruhigem Ton über seine Fitness.

Was für ein Kontrast zu der Eruption der Emotionen, die dieser Samstagnachmittag den Dortmundern zuvor in der 51. Spielminute beschert hatte. Raphael Guerreiro flankte, im Zentrum hatte sich Haller von seinem Gegenspieler abgesetzt und köpfte mit Wucht ein. Es war der Treffer zum 3:1, der das Spiel entschied – der aber vor allem das vorläufige Ende einer langen Leidenszeit markierte.

Jubelschreie aus 25.000 Kehlen

Im Juli war bei Haller Hodenkrebs diagnostiziert worden, es folgten zwei Operationen, Chemotherapien, Bestrahlungen und verzweifelte Bemühungen, gegen den Muskelschwund anzutrainieren. Und nun das: Schneller als erwartet, schon zum ersten Spiel des Jahres gegen den FC Augsburg war der 28-Jährige in den Kader zurückgekehrt, gegen Freiburg stand er zum zweiten Mal in der Startelf – und erzielte sein erstes Tor, vor der vollbesetzten Südtribüne, die das Stadion erbeben und die Luft flirren ließ mit den Jubelschreien aus 25.000 Kehlen.

Lesen Sie auch zum BVB

Unten sprinteten die Mannschaftskollegen heran, begruben Haller unter einer Jubeltraube – und das derart schwungvoll, dass Karim Adeyemi auf der einen Seite auf die schwarz-gelbe Masse hinaufsprang und auf der anderen wieder herunterfiel. „Wahnsinn“, staunte Haller. „Meine Mitspieler, die Betreuer, das Stadion – alles war eins.“ Von einem solchen Moment habe er „von Tag eins an geträumt“.

Nico Schlotterbeck hat „Gänsehaut am ganzen Körper“

Der 5:1-Sieg gegen den SC Freiburg, zu dem noch Nico Schlotterbeck (26.), Karim Adeyemi (48.), Julian Brandt (69.) und Giovanni Reyna (83.) Treffer beisteuerten, geriet da fast zur Nebensache, zumindest in diesem Moment. „Als das ganze Stadion dreimal seinen Namen gerufen hat, hatte ich Gänsehaut am ganzen Körper“, berichtete Innenverteidiger Schlotterbeck. Auch die Mitspieler hatte die Diagnose im Sommer schwer getroffen, da hatte sich den privilegierten jungen Männern ein Fenster in eine Welt geöffnet, in der es den Menschen deutlich weniger gut geht.

Auch deswegen nun der überschäumende Jubel. „Er hat lange darauf hingearbeitet, ist einen langen Weg gegangen“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl. „Dass er dieses Tor nun auch noch am Weltkrebstag macht – das hätte man kaum besser schreiben können.“ In allen Stadien der Bundesliga hatten die Klubs aufgerufen zur Vorsorge, dazu trug Haller wieder die „Fuck Cancer“-Botschaft auf den Schuhen, frei übersetzt: Krebs, du kannst mich mal.

Auch sportlich ein Gewinn

Aber, auch der Wunsch klang durch: In Zukunft soll es wieder um den Sportler Haller gehen, nicht um den Krebspatienten. Und gegen Freiburg zeigte sich, dass auch das eine gute Geschichte werden kann.

Haller ist zwar noch lange nicht komplett fit. Aber: „Mit seiner Präsenz und Erfahrung gibt er unserem Spiel eine andere Stabilität und Struktur“, erklärte Kehl. „Er ist ein unglaublicher Zielspieler, hat brutale Wucht und kann Bälle festmachen“, lobte Schlotterbeck. „Er tut jedem von uns gut, weil er weiß, wo er stehen muss, weil er groß ist und weiß, wie man Bälle verarbeitet“, meinte Adeyemi. „Wie man sieht, genießen wir es, mit ihm zu spielen.“

Gerade der wuselige Adeyemi profitiert von der Präsenz eines Zentrumsstürmers, der gegnerische Abwehrspieler bindet und dadurch Räume öffnet. Gegen Freiburg machte Adeyemi sein bislang wohl bestes Spiel für den BVB, seinen Gegenspieler Kiliann Sildillia trieb er derart in die Verzweiflung, dass der schon nach 18 Minuten Gelb-Rot sah. Und gegen Ende des Spiels musste auch SC-Trainer Christian Streich auf die Tribüne. Schon vor dem Platzverweis waren die Dortmunder überlegen, danach wurde die Dominanz erdrückend – und das zwischenzeitliche 1:1 durch Lucas Höler (45.) konnte als unnötiges Ärgernis abgeheftet werden.

Der BVB hat seine Form gefunden

Der BVB hat seine Form gefunden, rechtzeitig vor den wegweisenden Wochen, in denen es am Mittwoch im DFB-Pokal-Achtelfinale zum VfL Bochum geht (20.45 Uhr/ZDF), in der Woche drauf das Champions-League-Achtelfinalhinspiel gegen den FC Chelsea ansteht – und dazu das Titelrennen in der Bundesliga, in dem der BVB endgültig wieder mitmischt.

Und neben Haller verkörperten zwei weitere Spieler am Samstag den Aufschwung: der überragende Brandt – und eben Adeyemi. Weil er nicht nur traf, nicht nur wirbelte, nicht nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 36,7 km/h einen Bundesligarekord aufstellte, sondern auch wie alle Gegenspieler energisch gegen den Ball ackerte. Die Defensive steht endlich, in den letzten drei Spielen gab es nur zwei Gegentore. Die Offensive findet zu alter Lockerheit zurück, gegen Freiburg gefiel sie mit großer Variabilität und großer Gier auf Tore. Und etwas Luft nach oben gibt es auch noch, wie Adeyemi schmunzelnd verriet: „In Salzburg bin ich im Training auch schonmal 37 km/h gelaufen“, erzählte er. „Aber vielleicht ging es da ja bergab.“