Tokio. Alexander Zverev steht im Tennis-Finale der Olympischen Spiele. Der Deutsche besiegt überraschend Novak Djokovic.

Was Novak Djokovic nicht gelang an einem Tag, der in die Tennis-Geschichte eingehen dürfte, das schafften schließlich seine Emotionen: Sie zwangen Alexander Zverev in die Knie. 2:03 Stunden hatte sich der Weltranglistenfünfte aus Hamburg mit dem serbischen Branchenprimus Novak Djokovic Schlagabtausch um Schlagabtausch geliefert, und als der Einzug ins Finale des olympischen Turniers an diesem Sonntag (Zeit noch offen) mit einem 1:6, 6:3, 6:1 geschafft war, übermannten den 24-Jährigen die Gefühle. Vor dem Netz sank er darnieder, schlug die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos.

Alexander Zverev: Emotionale Reaktion nach Sieg über Djokovic

„Das war einer der emotionalsten Siege meiner Karriere. Mir bedeutet es sehr viel, hier für das deutsche Team eine Medaille holen zu können“, sagte Zverev nach dem Triumph, mit dem er Djokovic, der sich den Status als Grand-Slam-Rekordsieger mit je 20 Titeln mit Roger Federer (39/Schweiz) und Rafael Nadal (35/Spanien) teilt, den Weg zu einem ganz besonderen Zeichen der Dominanz verbaute. Der 34-Jährige muss seine Mission, als erster Mann den Olympiasieg und die Titel bei den vier Grand-Slam-Turnieren der Saison zum „Golden Slam“ zu vereinen, nun bereits vor den US Open in New York Anfang September als gescheitert abhaken. Dieses Alleinstellungsmerkmal bleibt Steffi Graf vorbehalten, die 1988 alle Majorturniere und Olympiagold in Seoul gewann.

„Es tut mir leid für Novak, aber man kann nicht alles haben. Er ist der größte Spieler aller Zeiten und wird irgendwann die meisten Grand-Slam-Titel gewonnen haben. Aber ich bin einfach nur glücklich, dass ich im Finale stehe und nicht er“, sagte Alexander Zverev. Dass es so kommen würde, war nach knapp der Hälfte des Matches aus dem Bereich des Möglichen verschwunden. 6:1 hatte Djokovic den ersten Durchgang gewonnen, und als ihm im zweiten Satz das Break zum 3:2 gelang, schien er so unbesiegbar, wie ihn sogar Zverev vor der Partie eingeschätzt hatte.

Kategorie „Wundersame Wendungen im Sport“

Was dann passierte, darf in die Kategorie „Wundersame Wendungen im Sport“ einsortiert werden. Mit dem Mut und der Wut der Verzweiflung stellte Zverev, der auch vorher schon mutig agiert hatte, sein Spiel auf Dauerangriff um. Er nahm die Bälle früh, attackierte aus allen Winkeln, setzte gestochen scharfe Passierbälle, die Djokovic schmerzten – und schaffte es mit dieser Taktik, das serbische Mentalitätsmonster zu zähmen. Der Mann, der normalerweise jeden noch so aussichtslosen Ball zurückbringt, traf plötzlich kaum noch etwas und schrie seinen Frust nach dem 0:3 im dritten Satz lautstark heraus. Es war der Moment, in dem deutlich wurde, dass Zverev das Match gedreht hatte.

„Wie er nach dem 2:3 im zweiten Satz einen Gang hochgeschaltet und Novak damit überrascht hat, ist nicht hoch genug zu bewerten. Es war ein großartiges Match und eine tolle Leistung, die er mit dem Rücken zur Wand abgeliefert hat“, lobte der deutsche Herrentennis-Chef Michael Kohlmann nach der Partie. Zverev konnte den Wendepunkt des Matches selbst nicht so recht greifen. „Nach dem Break habe ich mir gedacht, dass ich irgendetwas anders machen muss, also habe ich noch aggressiver gespielt und bin voll auf die Bälle draufgegangen“, sagte er.

Dass er damit zehn der elf folgenden Aufschlagspiele gewinnen würde, hätte niemand vorausahnen können. Der Sieg an sich war hingegen nicht die große Sensation, zu der ihn manch aufgeregte Onlinemedien hochjazzten. Immerhin zwei der bis dato acht Aufeinandertreffen mit Djokovic hatte der beim Uhlenhorster HC in Hamburg aufgewachsene Aufschlaggigant ja bereits gewonnen, darunter 2018 das Finale der ATP-WM. Er wusste also, dass er das Potenzial hat, wenigstens über zwei Gewinnsätze auf Augenhöhe und darüber hinaus mit dem „Djoker“ mitzuhalten.

Wie wichtig ihm der Einzug in das olympische Finale ist, verdeutlichten nicht nur die Freudentränen, die er vergoss – und die er seinem Bruder Mischa (33), der als Eurosport-Experte in der Heimat mitfieberte, nach der Partie verbot. „Hör auf zu heulen, einer in der Familie reicht“, sagte er. Der erste deutsche Tennisprofi werden zu können, der Gold im Einzel gewinnt, bedeute ihm sehr viel. „Ich habe jetzt eine Medaille für das deutsche Team gesichert, das ist ein wahnsinniges Gefühl“, sagte er, „aber natürlich will ich jetzt auch Gold!“ Und nicht das Schicksal des letzten deutschen Medaillengewinners im Einzel teilen. Der gebürtige Hamburger Tommy Haas verlor 2000 in Sydney das Endspiel gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow.

Jetzt geht es gegen die Nummer drei in Russlands Aufgebot

Ein Russe ist es nun auch, der dem Sohn russischer Eltern den letzten Schlag zu höchsten olympischen Weihen verderben will. Karen Chatschanow (25), hinter dem Weltranglistenzweiten Daniil Medwedew (25) und Andrej Rubljow (23/Nr. 7) nur die Nummer drei in Russlands Japan-Aufgebot, bezwang im ersten Halbfinale den spanischen Rothenbaum-Champion Pablo Carreno Busta (30) 6:3, 6:3 und hinterließ dabei einen souveränen Eindruck. Er schlägt so brachial auf wie Zverev, gegen den er eine 2:2-Siegbilanz aufweist. „Er steht im Finale, weil er tolles Tennis zeigt. Das wird kein einfaches Match“, sagte Zverev, als die Tränen getrocknet waren. Aber wer den Besten der Welt stoppt, sollte sich von der Nummer 25 nicht aufhalten lassen.