Essen/Tokio. Vor genau 25 Jahren sorgte Frank Busemann bei Olympia in Atlanta für Furore und gewann Silber. Heute bewertet er die Spiele für die ARD.
Es ist 22.30 Uhr in Tokio. Frank Busemann hat den Tag im Internationalen Pressezentrum mit Vorbereitungen für seine Arbeit als ARD-Experte verbracht. An diesem Freitag wird es ernst für den 46-Jährigen, es beginnen die Wettkämpfe in der Leichtathletik. Für unser Video-Telefonat streicht er sich die Haare noch einmal glatt. Weil er wie alle Journalisten das Hotel außerhalb der Wettkämpfe nur für 15 Minuten verlassen darf, hat er im Zimmer „zwei trockene Reistaschen und irgendetwas Frittiertes aus dem Supermarkt“ gegessen.
Am Ende kannte ihn auch Dan O’Brien
Trotz der Corona-Einschränkungen sind Olympische Spiele das Größte für Frank Busemann. Am 1. August vor 25 Jahren übernahm der Nobody aus Recklinghausen, der für Dortmund startete und dort immer noch wohnt, bei den Sommerspielen in Atlanta eine Hauptrolle auf der olympischen Bühne. Nach den ersten Disziplinen des Zehnkampfs fragte der große US-Favorit Dan O’Brien noch mit einem Achselzucken: „Who is Buseman?“ Am Abend kannte nicht nur Dan O’Brien diesen 21-Jährigen aus dem Ruhrgebiet, von dem sein Vater und Trainer Franz-Josef sagte, er habe Beine wie ein Pfingstochse und Arme wie die Krampfadern eines Spatzen. Frank Busemann stand als Olympiazweiter neben dem Sieger O’Brien auf dem Podium. Zwei Tage lang hatte Deutschland mit diesem Blondschopf gefiebert, der im Olympiastadion die Zehnkampf-Welt aus den Angeln hob, das Fernsehpublikum mit seiner frischen und witzigen Art in den Bann zog und später auch zum „Sportler des Jahres“ gewählt wurde.
„Wenn es den 1. August 1996 nicht gegeben hätte, wäre ich jetzt nicht hier in Tokio“, erzählt Frank Busemann 25 Jahre danach. „Meine Silbermedaille war die Eintrittskarte für das, was ich heute beruflich mache.“ Sein Beruf ist: Frank Busemann. Für Unternehmen hält er Vorträge, für die ARD steht er seit den Olympischen Spielen 2004 in Athen vor der Kamera. Er besticht mit seiner Lockerheit, die mit akribischer Vorbereitung und höchstem Fachwissen gepaart ist. „Aber wenn ich 1996 in Atlanta Siebter geworden wäre, hätte es mir nichts genutzt, dass ich ein so nettes Kerlchen bin“, sagt er realistisch.
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Was wäre aus ihm ohne die silbernen Tage von Atlanta geworden? Diese Frage wird ihm oft gestellt. Aber eine endgültige Antwort kann der gelernte Bankkaufmann nicht geben: „Filialleiter bei der Sparkasse oder Broker vielleicht. So wie es ist, ist es ein Traum. Es könnte nicht schöner sein.“ Für einen 46-Jährigen ist er richtig fit, wovon sich seine Instagram-Follower überzeugen können. Wie er Klimmzüge an Bäumen macht oder einen Marathon abspult, ist beeindruckend.
Vor dem langen Flug nach Tokio rannte er in der Nacht einen Halbmarathon durch die leeren Straßen. „Ich schlafe so schlecht im Flugzeug und wollte mich richtig müde machen“, erklärt er. Und hat es geklappt? „Nee, überhaupt nicht“, antwortet er. „Auf dem Flughafen in Frankfurt habe ich mich nirgends hingesetzt, weil ich sofort eingenickt wäre. Als ich im Flieger ankam, war ich hellwach und habe kein Auge zubekommen.“
Hellwach wird Frank Busemann auch sein, wenn er den Fernsehzuschauern ebenso locker wie präzise erklären wird, was im leeren Olympiastadion wichtig ist. Natürlich wird er den Zehnkampf mit besonderer Spannung verfolgen. Nicht nur, weil er Niklas Kaul, dem Überraschungsweltmeister von 2019, eine Medaille wünscht, sondern auch, weil er selbst immer noch einen olympischen Rekord hält. Seit 1996 ist kein Zehnkämpfer weiter gesprungen als seine 8,07 Meter. „Da ich auf Sendung bin, kann ich ja keinen Screenshot machen. Deshalb werde ich mein Handy nehmen, wenn auf der Anzeigetafel mein Rekord aufleuchtet. Darauf bin ich echt stolz“, sagt er und fügt lächelnd hinzu: „Das gilt aber auch für meinen westfälischen Schülerrekord im Vierkampf vom 28. September 1987.“
Favorit im Zehnkampf ist für ihn der Franzose Kevin Mayer. Eine neue Sensation durch Niklas Kaul hält Frank Busemann für kaum möglich. „Johannes Vetter wird sich das Gold im Speerwerfen dagegen nicht nehmen lassen. Er ist so abgeklärt. Das gilt auch für Weitspringerin Malaika Mihambo, obwohl ihr Anlauf in diesem Jahr nicht so sicher ist. Deshalb ist von Gold bis Platz sechs alles möglich“, sagt der Experte, der auch Christin Hussong eine Speerwurf-Medaille zutraut.
Auch die Kinder sind sportbegeistert
Wie sich die deutschen Leichtathleten schlagen, das werden auch Frank Busemanns drei Kinder Lucas (12), Anton (9) und Maja (6) mit seiner Frau Katrin vor dem Fernseher verfolgen. Nicht nur, weil der Papa zu sehen sein wird. „Sie werden zwar keine Leichtathleten, aber sie sind sportbegeistert. Bei uns läuft der Fernseher bei Olympia von morgens bis abends“, erklärt Frank Busemann. Am Sonntag wird er zum Jubiläum seines großen Auftritts von 1996 erst seinem Sohn Lucas zum 13. Geburtstag gratulieren und dann versuchen, endlich was Vernünftiges zu essen zu bekommen. „Ich habe mich jahrelang auf Sushi in Tokio gefreut. Und jetzt darf ich wegen Corona nicht ins Restaurant“ sagt Frank Busemann. „Zum Jubiläum muss ich einen Supermarkt mit Sushi finden.“