Essen. Frank Herbstreit, leitender Oberarzt auf der IT2 der Uniklinik, über den Kampf der Mediziner gegen ein neues Virus – und die Sorge um Ansteckung.

  • Die Uniklinik Essen war bundesweit das zweitgrößte Corona-Zentrum. In keinem Krankenhaus in NRW wurden mehr Patienten versorgt.
  • Fünf Jahre nach dem Start der Pandemie blicken zwei Männer und eine Frau aus der Essener Intensivmedizin zurück.
  • Der Arzt Frank Herbstreit erinnert sich an viel Ungewissheit und misstrauische Angehörige.

Uniklinikum Essen, ein Donnerstag im Februar 2025, fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in NRW: Die Sanitäter schieben gerade einen Influenza-Patienten durch die Schleuse zur IT2. Viele mehr mit einer Grippe-Infektion liegen in einem der 22 Betten dieser Intensivstation im Operativen Zentrum II – aber kein einziger Corona-Patient.

Vor fünf Jahren war das anders, da war diese Station ein „Corona-Hotspot“. Es war einer der Orte, wo Ärzte und Pflegekräfte um das Leben von schwerstkranken Menschen kämpften. Leben, die ein Virus bedrohte, über das man anfangs so gut wie nichts wusste. Nicht, wie es zu behandeln war. Nicht, wie man sich davor schützen konnte. Nicht, wie gefährdet medizinisches Personal bei der Versorgung Erkrankter war. Und es war ein Kampf, der viel zu oft verloren ging. Wie war das damals auf der IT2, fragten wir eine Krankenschwester, einen Arzt und den Klinikchef.

Lesen Sie hier das Protokoll des Arztes Privatdozent Frank Herbstreit (53), damals Oberarzt der IT2 / heute: Stellvertretender Klinikdirektor, Bereichsleitung Intensiv- und Notfallmedizin, Lehrkoordinator) an der Uniklinik Essen

Der erste Covid-Patient der Uniklinik war ein Mann Mitte 50. Wir haben ihn rein symptomatisch behandelt, ihm Cortison gegeben, ihn intubiert und beatmet, wie andere Patienten mit Lungenversagen auf dem Bauch gelagert. Wir hatten im Februar 2020 ja noch keine spezifische Therapie, wir wussten ja nichts. Heute wissen wir: Grundfalsch war das nicht.

Der Mann hat überlebt, uns später noch besucht. Doch anfangs war die Unsicherheit gewaltig: Wie behandele ich die? Wir Ärzte sind es gewohnt, uns auf Evidenzen stützen zu können. Damals gab es aber keine Erfahrungen, keine Studien. Dieses Virus war ja ganz neu. Da war ganz viel Ausprobieren.

„Anfangs haben wir ja gegalubt, der Spuk sei schnell vorbei“

Fazit Corona Uni-Klinik Essen.
Frank Herbstreit hat in der Pandemie als Oberarzt auf der Corona-Intensivstation der Uniklinik Essen gearbeitet. Die Pandemie gilt seit 2023 als beendet. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

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Dazu kam die zweite große Ungewissheit: Wie gefährlich ist Covid für die, die die Infizierten versorgen? Wie ansteckend ist diese Krankheit? Wir haben vorsorglich sogar nicht genutzte Wohnheime auf dem Klinikgelände reaktiviert, um uns notfalls abschotten zu können, damit wir das Virus nicht nach Hause tragen.

Anfangs haben wir ja geglaubt, der Spuk sei schnell vorbei, das ist ein zeitlich begrenztes Geschehen, das arbeiten wir ab. Die zweite Welle war für mich die schlimmste, weil da klar wurde: Es endet nicht so bald.

Chronik einer Pandemie

27. Januar 2020: Deutschland hat den ersten Corona-Fall: einen Bayern, der sich bei einer chinesischen Kollegin angesteckt hat.

15. Februar 2020: Die Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg wird nach einer Karnevalsparty zum ersten deutschen Corona-Hotspot. Unwissentlich sitzt ein Infizierter unter den 300 Feiernden.

9. März 2020: Erstmals stirbt in Deutschland ein Mensch an Corona, im Essener Uniklinikum – eine 89-Jährige aus Essen.

11. März 2020: Die WHO erklärt die bisherige Epidemie zur weltweiten „Covid-19-Pandemie“.

16. März 2020: In NRW schließen zum ersten Mal Schulen und Kitas.

18. März 2020: Bilder aus dem italienischen Bergamo gehen um die Welt: Sie zeigen Kolonnen von Armeefahrzeugen, die Särge mit Corona-Toten in Krematorien fahren. Die beiden ersten Patienten aus Bergamo, die zur Behandlung aus dem Land geflogen werden, landen im Bochumer St. Josef-Hospital. 

23. März 2020: Der erste Lockdown – Bund und Länder haben Maßnahmen-Pakete zur Eindämmung der Pandemie vorgelegt. In NRW etwa gilt seit diesem Tag ein striktes Kontaktverbot, mehr als zwei Personen dürfen in der Öffentlichkeit nicht zusammenkommen. In der Folge bleiben wiederholt die Schulen und Kitas über Wochen dicht. Konzerte, Messen und Hochzeiten werden abgesagt; Alten- und Pflegeeinrichtungen drastisch abgesperrt; private Treffen limitiert. Es gelten AHA- und Mindestabstandsregeln, Masken- und Isolierpflicht, Quarantänebestimmungen für Reisende; Arbeitgeber schicken Beschäftigte ins Homeoffice, und Kirchen Gläubige nach Hause. Theater, Kinos, Museen, Hotels, Restaurants, Schwimmbäder und Fitnessstudios schließen. Einkaufen ist zeitweise nur noch zur Deckung des dringenden Bedarfs und unter strengen Auflagen erlaubt.

24. Juni 2020: Der Schlachtbetrieb Tönnies im Kreis Gütersloh macht bundesweit Schlagzeilen: 1600 Mitarbeiter sind Corona-positiv.

27. Dezember 2020: Die Impfungen beginnen, in den Altenheimen. Die 95-jährige Erika Löwer aus Siegen ist die erste in NRW, die geimpft wird.

18. Februar 2022: In NRW werden an diesem einen Tag 8698 Neuinfektionen gemeldet – Rekord.

28. Februar 2023: Die Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen läuft nach 1073 Tagen aus.

5. April 2023: Lauterbach erklärt die Pandemie für beendet. Die WHO hebt einen Monat später auch die internationale Gesundheitsnotlage auf. 20 Millionen Menschen weltweit sind zu diesem Zeitpunkt an Corona gestorben. In Deutschland zählt das RKI insgesamt 39 Millionen bestätigte Infektionen und fast 190.000 Todesfälle.

Eine ausführlichere Chronik finden Sie hier

„Wir fühlten uns manchmal so hilflos“

Aber als Uniklinik sahen wir uns natürlich auch in der Verantwortung, mehr über Covid herauszufinden und das zu kommunizieren. Wir standen in ständigem Austausch mit Virologen, Infektiologen und Intensivmedizinern in China, den USA, Italien, von Anfang an. Wir haben eigene Studien gestartet, uns an internationalen beteiligt.

Unsere Mitarbeiter haben wir zudem regelmäßig auf Antikörper getestet. Dabei haben wir gesehen: Wir stecken uns so schnell gar nicht an. Die Positivrate bei diesen Tests war erstaunlich niedrig, was zum einen an der guten Verfügbarkeit von Schutzausrüstung und zum anderen an der großen Erfahrung des Teams mit Infektionskrankheiten lag.

Für uns Ärzte war das frustrierend, in der Anfangsphase, nicht zu wissen, was einem Patienten hilft. Wir fühlten uns manchmal hilflos, viele sind gestorben. Dann kamen ja nach und nach Corona-Medikamente auf den Markt, „Remdesivir“ etwa und Paxlovid. „Dexamethason“, das Cortison-Präparat, kriegen Patienten immer noch.

Heute wissen wir, wenn Covid-Patienten so krank werden, dass sie bei uns auf der Intensivstation landen und beatmet werden müssen, haben sie relativ schlechte Karten. Aber wir wissen auch, wie wir sie dann zu behandeln haben.

Viele Angehörige waren misstrauisch

Sehr, sehr schwierig für die Patienten und für uns war, dass wir zunächst keine Besuche auf der Intensivstation zulassen durften. Viele Angehörige hat das misstrauisch gemacht. Sie fragten: Was habt Ihr zu verbergen, was läuft da falsch bei Euch?

Normalerweise können wir die Angehörigen viel mehr mitnehmen bei der Therapie. Wir haben Ihnen dann unsere Nummern gegeben, gesagt, dass sie uns jederzeit anrufen können. Und als sich das als wenig praktikabel erwies, weil wir meist verkittelt im Patientenzimmer standen, wenn der Anruf kam, haben wir die Familien eben einmal täglich selbst angerufen. Aber so ein Telefonat ersetzt nicht das persönliche Gespräch.

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Auch die Aus- und Weiterbildung, unsere Lehrtätigkeit, hat in der Pandemie-Zeit gelitten. Studierende konnten wir nur via Zoom auf Visite mitnehmen, angehende Fachärzte haben lange Zeit nur ein einziges Krankheitsbild gesehen: Corona. Ich war aber beeindruckt, wie engagiert die Mannschaft in der Krise war.

Und man hat gemerkt, dass es einen Unterschied macht, ob jemand allein lebt oder nicht. Wer Familie hat, hat weniger gelitten. Ich habe Frau – sie ist ebenfalls Ärztin – und Kind. Unser Sohn hat immer gesagt, für Euch hat sich doch nichts geändert, Ihr seid wie immer täglich in der Klinik. Ich sitze hier isoliert, im Homeschooling, ich bin zu bedauern.“

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