Essen. Der jüngste Omikron-Ableger KP.2 ist bereits für jede fünfte Neuinfektion verantwortlich – und die EM hat noch nicht einmal begonnen.

Das Corona-Virus verändert sich. Immer noch. Seine neueste Variante nennt sich KP.2. – und die verbreitet sich offenbar rasant schnell. Schon bald könnte sie die weltweit dominierende sein. Medien warnen schon vor einer neuen „Sommerwelle“. Tatsächlich geht bundesweit laut Robert-Koch-Institut bereits heute jede fünfte Neuinfektion auf das Konto von KP.2. Müssen wir das Virus wieder fürchten? Prof. Ulf Dittmer, Chef-Virologe der Essener Universitätsmedizin, sprach mit Ute Schwarzwald über das, was da dräut.

Corona schien vergessen, nun steigen die Infektionszahlen angeblich wieder. Die neue Omikron-Variante KP.2 sorgt weltweit für Unruhe. Wie sieht es in NRW aus?

Dittmer: Die neue Sublinie ist ein Thema. Das Abwassermonitoring zeigt, KP.2-Infektionen treten auch in NRW auf. An der Uniklinik selbst, wo wir wöchentlich zehn Corona-positive Proben – mehr haben wir derzeit nicht – sequenzieren, hatten wir KP.2 allerdings noch nicht dabei.

Was wissen Sie über die neue Variante? Ist sie nur ansteckender oder auch gefährlicher als andere?

Es gibt zwei unterschiedliche Studien, die sich widersprechen. Plausibler ist für mich: Das Virus verbreitet sich derzeit so schnell, weil es ihm mit den neuen Mutationen gelingt, der Immunantwort des Körpers besser aus dem Weg zu gehen. Aber es ist dabei möglicherweise weniger infektiös – was die andere Mutationsmöglichkeit wäre. Wenn die Einteilung nicht mit dem offiziellen Ende der Pandemie abgeschafft worden wäre, würde KP.2 vermutlich als VOC eingestuft, als Besorgnis erregende Variante. Aber auch diese Variante wird nicht wieder viele schwere Erkrankungen verursachen. Weltweit haben wir eine breite Immunität gegen Covid, auch eine gute T-Zell-Antwort. Das verhindert die Ansteckung nicht, aber schwere Verläufe. Ich denke, nur Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem sind ernsthaft gefährdet, Organtransplantierte etwa oder Krebs-Patienten unter aktuell aggressiver Therapie.

Prof. Dr. Ulf Dittmer ist, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Vor der Pandemie war sein Schwerpunkt die HIV-Forschung.
Prof. Dr. Ulf Dittmer ist, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen. Vor der Pandemie war sein Schwerpunkt die HIV-Forschung. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Taugen die alten Tests eigentlich noch für die neue Variante?

Ja, es gibt Daten, die das belegen. Die Tests zielen ja auch auf das Nukleo- und nicht das Spike-Protein, an dem sich die meisten Mutationen manifestieren.

Das Virus hat es im Sommer schwerer. Es mag keine Sonne, keine UV-Strahlung. Es liebt es kalt.
Prof. Ulf Dittmer - Direktor der Klinik für Virologie an der Universitätsklinik Essen

Es wird bereits vor einer heftigen Corona-Sommerwelle gewarnt – ist das nur Panikmache?

Wir haben im Herbst eine starke Welle gesehen, die für das Frühjahr erwartete blieb dagegen weitestgehend aus. Wir wissen, dass das Virus auch Sommerwellen auslösen kann. Aber: Das Virus hat es im Sommer schwerer. Es mag keine Sonne, keine UV-Strahlung, es liebt es kalt. Unsere Ernährung ist im Sommer auch besser, vitaminreicher. Das schützt uns zusätzlich.

Andererseits: Beginnt in wenigen Tagen die Fußball-Europameisterschaft. Hunderttausende werden auch in NRW-Stadien sowie bei An- und Abreise aufeinandertreffen.

Die EM birgt durchaus Gefahrenpotenzial, ja. Es kommt ein bisschen aufs Wetter an. Aber die Zahl der Infektionen könnte danach deutlich ansteigen. Wir wissen von der letzten EM, dass sich da Tausende auch in offenen Stadien mit Corona infiziert haben. Gefährlicher ist aber, wie Fangruppen zu den Spielen gelangen. Die Bergamo-Katastrophe zu Beginn der Pandemie wurde durch Fans ausgelöst, die gemeinsam und laut singend in Bussen zum Europacup-Spiel angereist sind.

Die Corona-Lage in NRW

Dem Landeszentrum Gesundheit (LZG) wurden für die 22. Kalenderwoche 164 Corona-Neuinfektionen gemeldet – die Fälle verteilen sich über das ganze Land. Im Ruhrgebiet (45 Fälle) stechen Essen und Bochum stechen mit acht beziehungsweise sieben Meldungen hervor. Die aktuelle Sieben-Tage-Inzidenz liegt im Revier wie landesweit bei 0,9. Seit Beginn des Jahres zählte das LZG insgesamt 941 Corona-Fälle in NRW.

Dem wöchentlichen Bericht des Robert-Koch-Instituts zum Thema „Akute Atemwegserkrankungen“ zufolge bestimmen derzeit Rhino- und andere Erkältungsviren das Geschehen deutlich mehr als SarsCoV2. Man beobachte aber im Abwassermonitoring „eine leichte Steigerung auf niedrigem Niveau“.

Infizierte scheiden mit ihrem Stuhl Virus-Bruchstücke aus, diese lassen sic h mittels einer PCR-Untersuchung im Abwasser nachweisen. In KW 21 lag die sogenannte Corona-Viruslast bei 50.000 „Genkopien pro Liter Abwasser“. Zum Vergleich: Im Dezember 2023 betrug der Wert 829.000.

Wie lässt sich die Corona-Lage überhaupt noch seriös einschätzen? Die offizielle Meldepflicht ist abgeschafft, Tests sind nicht mehr verpflichtend…

Die Beurteilung ist deutlich schwieriger geworden. Verlässlich sind eigentlich nur noch die Zahlen aus den Krankenhäusern: Wer ist medizinisch so stark betroffen, dass er auf einer Normal- oder Intensivstation versorgt werden muss. Das spiegelt das Infektionsbild „draußen“ wider.

Und? Wie sieht es aktuell in den Kliniken aus, bei Ihnen in Essen?

Man sieht zurzeit kaum noch Covid-19, hin und wieder vereinzelte Fälle vielleicht.

Bleibt das Abwassermonitoring – als Indiz für die Inzidenz?

Tatsächlich ist dieses Instrument bei all seinen Schwächen inzwischen das beste, das wir haben. Auch wenn das Abwassermonitoring keine konkreten Infektionszahlen liefert. Wir sehen im Abwasser nur: da geht was hoch, da geht was runter. Aber 25 Prozent aller Abwässer in Deutschland werden inzwischen untersucht, das ist viel. Und die Methoden sind deutlich besser geworden. Den Einfluss heftiger Regenfälle auf die Viruslast im Abwasser rechnet eine KI jetzt heraus, beispielsweise.

Wie hoch ist die Viruslast im Abwasser aktuell?

Weit entfernt von den Werten Ende letzten Jahres. Aber wir sehen an allen Messstellen: Die Werte gehen auf niedrigem Niveau ein wenig hoch – und an keiner einzigen Stelle sinken sie zurzeit.

Das Virus ist noch nicht fertig, es ist genetisch noch nicht komplett optimiert.
Prof. Ulf Dittmer

Was heißt das für die kommenden Wochen, Monate?

Das Virus ist noch nicht fertig, es ist genetisch noch nicht komplett optimiert. Und: Es verändert sich noch immer sehr schnell, deutlich schneller als andere respiratorische Viren. Was bedeutet: Unsere Immunität durch Antikörper schützt nicht sehr lange vor Infektion, höchstens ein paar Monate.

Brauchen wir also wieder Impf-Auffrischungen?

Die Impfungen verstärken ja auch die T-Zell-Antwort unseres Immunsystems, sie induzieren nicht nur neutralisierende Antikörper. Aber im Sommer wird niemand Impfungen postulieren, höchstens für einzelne Risikopatienten. In diesem Herbst werden wir das sicher wieder diskutieren.

Die Weltgesundheitsbehörde legt fest, an welche Variante der neue Impfstoff angepasst wird. Hat sie es schon getan?

Ja, vor zwei Wochen ist die Bekanntgabe erfolgt – die WHO hat sich für eine Anpassung an Pirola (BA.2.86) entschieden....

... aber das wird im Herbst nicht mehr die dominierende Variante sein...

Vermutlich nicht. Das Virus ist uns mal wieder eine Nasenlänge voraus.