Leverkusen. Nach einer gescheiterten Abschiebung bangte der Dachdeckerlehrling monatelang um seine Duldung in Deutschland. Jetzt hat er Gewissheit.
Sekou Sidibe darf bleiben. Das Drama um den Flüchtling aus Guinea hat tatsächlich ein Happy End. Am Montagmittag, Punkt zwölf Uhr, steht der 25-Jährige vor der Tür des Leverkusener Rathauses – und er muss denen, die draußen auf ihn warten, nicht erst sagen, wie der Termin bei der städtischen Ausländerbehörde gelaufen ist: So sehr strahlt er über das ganze Gesicht – ein kleines Stück Papier in der Hand, seine „Fiktionsbescheinigung“, seine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung. Sekou Sidibe darf in Deutschland bleiben.

„Ich freu‘ mich mega“, bringt der junge Afrikaner noch hervor, dann liegt er sich schon mit seinem Chef Abbas Süren in den Armen. Und sein Freund Bruno Hentschel, der wie immer ihn zum Termin begleitet hatte, liegt in denen seiner Frau Sabine. Überglücklich alle vier. Dass endlich das Bangen, die Ungewissheit vorüber ist. Dass Sekous Zukunft in Deutschland nicht mehr ganz so ungewiss ist - mehr als sechs Jahre nachdem er hierher geflüchtet war. Erst in einem Jahr will ihn das Amt wieder sehen, seinen Fall dann erneut prüfen, die Aufenthaltsgenehmigung im besten Fall verlängern.
„Bei besonderer Integrationsleistung“
„Jetzt“, staunt Sekou, nachdem er sich noch einmal mit der Hand über die Augen gefahren ist, „darf ich mich sogar frei bewegen, eine eigene Wohnung in Langenfeld beziehen, mit meinem Namen an der Tür. Ich bin so glücklich, und dankbar. Danke an alle, die mich unterstützt haben.“ Noch am Nachmittag werde er alle seine Freunde anrufen, „und die gute Nachricht verbreiten“.
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
Das Schicksal des jungen Mannes, der Deutsch spricht, als gut integriert gilt und einen Beruf in einer Branche erlernt, der händeringend Nachwuchs sucht, hatte landesweit Schlagzeilen gemacht und Proteste in der Öffentlichkeit ausgelöst. Auch der Flüchtlingsrat und die Härtefallkommission des Landes hatten sich für Sekou Sidibe eingesetzt. Sie beantragten schließlich eine Aufenthaltserlaubnis gemäß Paragraf 23a des Aufenthaltsgesetzes für ihn bei der Leverkusener Ausländerbehörde. In Härtefällen und bei „besonderer Integrationsleistung“, heißt es darin, könne eine solche erteilt werden, auch wenn kein rechtlicher Anspruch darauf bestehe.
Asylantrag wurde 2020 abgelehnt
Vorausgegangen war eine irrwitzige Geschichte um die Abschiebung des jungen Guineers, der zusammen mit seinem älteren Bruder aus Afrika nach Europa geflüchtet war. Der Bruder ertrinkt auf der Überfahrt. Sekou, damals gerade 18, landet allein in Deutschland. Am 19. April 2018 stellt er einen Asylantrag, wird in einer Flüchtlingsunterkunft in Leverkusen untergebracht. 2020, als er seinen Sprach- und Integrationskurs bereits abgeschlossen hat, wird der Asylantrag abgelehnt. 2022 erteilen die Behörden Sekou, der inzwischen auch den Hauptschulabschluss gemacht hat, endlich die ersehnte Arbeitserlaubnis. Der Flüchtling beginnt eine Ausbildung zum Dachdecker im Betrieb des Langenfelder Meisters Abbas Süren – und macht sich dessen begeisterten Schilderungen zufolge wohl ziemlich gut.

Im August 2023 befinden die Behörden, dass sich Sekou zu wenig um seine Identitätsklärung bemühe. Sie verhängen ein Beschäftigungsverbot. Als der Guineer einen „titre de voyage“ vorlegt, eine Art Passersatz, darf er wieder arbeiten. Es folgt ein langes Hin und Her um seine Duldung, das in der Abschiebung des Flüchtlings am 27. August des vergangenen Jahres gipfelt. Bei einem Routinetermin im Leverkusener Ausländeramt wird der Guineer verhaftet, er müsse Deutschland verlassen, erklärt man ihm. Drei Tage später landet er in Guinea. Doch dort will man ihn auch nicht. Die Behörden verweigern die Einreise – „aus bisher ungeklärten Gründen“, erklärt die Stadt Leverkusen später, alle nötigen Unterlagen hätten vorgelegen. Am 1. September ist Sekou zurück in Deutschland.
Härtefallersuchen
Nach § 23a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) können Geduldete, die wie Sekou Sidibe „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, auch ohne rechtlichen Anspruch als Härtefälle oder bei besonderer Integrationsleistung eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten. Dazu muss die von der Landesregierung eingerichtete Härtefallkommission einen entsprechenden Antrag stellen. Die Entscheidung für ein solches „Härtefallersuchen“ setzt zudem voraus, „dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen“, heißt es im Gesetzestext.
Gesellenprüfung beginnt im Mai
Die Behörden erklären dem Flüchtling am Tag darauf, die misslungene Abschiebung ändere nichts, er bleibe „vollziehbar ausreisepflichtig“. Sie gewähren ihm aber eine „Aussetzung der Abschiebung“ für eine Woche. Und dann für eine weitere und noch eine. Arbeiten darf der Dachdeckerlehrling indes erst wieder, als ihm die Stadt Leverkusen am 23. September auf dringende Empfehlung der Härtefallkommission eine Duldung für drei Monate erteilt.
Dabei war das Sekou Sidibe immer das Wichtigste, dass er seine Ausbildung in Deutschland beenden darf. Schließlich steht er kurz vor der Gesellenprüfung, schon am 17. Mai beginnt für ihn das schriftliche Examen. „Und das hat es in sich“, sagt Sekous Chef Abbas Süren. „Das schaffen beileibe nicht alle im ersten Versuch, da muss man ordentlich büffeln.“ „Jetzt lernt es sich leichter“, meint Sekou nach dem Termin im Rathaus. Wenn er die Prüfungen besteht, ist ihm ein Arbeitsplatz sicher. Süren wird ihn übernehmen.