Ruhrgebiet. Nach einer schweren Rangelei lebt eine Polizistin (30) mit der Angst, sich mit Aids infiziert zu haben. Warum sie manchmal „wahnsinnig wütend“ ist.

Tritte, Schläge, Messer: Jeden Tag werden in NRW 65 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalt, insgesamt zählt die jüngste Statistik 23.823 Betroffene. Auch die Zahl der Taten steigt: zuletzt auf 9829, eine Zunahme von knapp 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hier erzählen Polizeibeamtinnen und -beamte aus dem Ruhrgebiet, wie sie Gewalt im Einsatzalltag erleben – und was das mit ihnen macht.

Polizeioberkommissarin (30), seit acht Jahren im Dienst:

„Ein heißer Sommertag im Wach- und Wechseldienst, wir waren beschäftigt mit einer Geschwindigkeitskontrolle. „Das machen wir mal eben“, dachten wir, als Bürger uns meldeten: Da war eine Pöbelei unter Obdachlosen, an einer Haltestelle ein paar Hundert Meter entfernt. Dass wir dort beleidigt wurden, gehört ja schon zum guten Ton. Aber dann flogen Bierflaschen auf Autos.

Wir haben die beiden festgehalten, mein Kollege den Mann, ich die Frau. Sie haben versucht, uns die Arme wegzuschlagen, sie haben getreten, es war eine heftige Rangelei. Faustschläge, Tritte, ich konnte mich um meinen Kollegen gar nicht kümmern, konnte nichts sehen und hören, dann hat die Frau mich an den Haaren zu Boden gerissen.

„Kirmeskampf, die ganze Kleidung voller Blut“

Es war wie ein Kirmeskampf, wir waren so eng beieinander, dass meine Eingriffstechniken nicht funktioniert haben. Die Frau hat gebissen, mir ihre Fingernägel in den Unterarm gerammt, später war die ganze Kleidung voller Blut. Irgendwann ist es mir gelungen, sie kurz zu fixieren, das hat mir Luft verschafft, um Verstärkung zu rufen. Dann hat sie weiter geschlagen und getreten.

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Wir heftig alles war, habe ich erst später auf dem Videomaterial der Bahn gesehen. Das waren vielleicht dreieinhalb Minuten, für mich hat es sich angefühlt wie eine halbe Stunde. Mein Kollege hatte sich bei der Auseinandersetzung einen Finger gebrochen. Ich selbst habe mich danach leer gefühlt, ich habe noch die Aussagen der Zeugen aufgenommen und mich geärgert, dass sie gesehen haben, wie meine Hände zittern.

„Diese Angst vor einer todbringenden Krankheit...“

Später habe ich erfahren, dass die Frau HIV hatte und Hepatitis C. Ein halbes Jahr lang musste ich regelmäßig untersucht werden. Jedes Mal dazusitzen und auf das Ergebnis zu warten... Das Gefühl kann ich gar nicht beschreiben: diese Angst vor einer todbringenden Krankheit, mit der ich mich vielleicht unverschuldet infiziert hatte. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn... Ich musste auch heftige Medikamente nehmen, als Blocker. Man setzt als Polizist seine eigene Gesundheit wissentlich und auch willentlich aufs Spiel. Das ist nun mal der Job, für den man sich entschieden hat. Und jeder sollte wissen: Das gehört dazu.

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Anfangs habe ich danach mehr auf Eigensicherung geachtet, aber das lässt nach. Wahrscheinlich menschlich, weil man so oft mit ähnlichen Sachen konfrontiert ist. Wenn wir zu einer Massenschlägerei fahren, zum Beispiel auch mit Eisenstangen, muss ich ehrlich sagen, dass ich schon eine gewisse Angst habe. Weil ich weiß, dass ich verletzt werden könnte. Bei Durchsuchungen finden wir auch viel, viel häufiger Messer. Aber es ist meine Aufgabe, mich dafür einzusetzen, dass das aufhört.

Am Ende ist es wahnsinnig frustrierend, wenn eine gewalttätige Person nur unzureichend bestraft davonkommt. Bei „Widerstand“ haben sie oft nicht viel zu befürchten. Polizeiberichte, in denen hinterher alles nicht so schlimm ist, machen mich wahnsinnig wütend. Ich habe von Richtern schon gehört, dass ich mit Verletzungen rechnen müsse: als Berufsrisiko. Und wenn mich nach einem Ladendiebstahl einer beleidigt, fällt das unter den Tisch, weil der Diebstahl vor Gericht schwerer wiegt. Da fragt man sich, ob man eigentlich an derselben Sache arbeitet.“