Ruhrgebiet. Der Polizeibericht noch nicht geschrieben, dann ist der Täter schon frei? Wieso sich ein Oberkommissar klare Sanktionen und Messerverbote wünscht.

Tritte, Schläge, Messer: Jeden Tag werden in NRW 65 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalt, insgesamt zählt die jüngste Statistik 23.823 Betroffene. Auch die Zahl der Taten steigt: zuletzt auf 9829, eine Zunahme von knapp 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hier erzählen Polizeibeamtinnen und -beamte aus dem Ruhrgebiet, wie sie Gewalt im Einsatzalltag erleben – und was das mit ihnen macht.

Polizeioberkommissar (31), achtjährige Erfahrung auch in einer Hundertschaft:

„Jeder könnte so viele Geschichten erzählen. Ich erinnere mich an jenen falschen Polizisten, der morgens um halb zehn eine Tür eintrat; später stellte sich heraus, es ging um häusliche Gewalt. Der trug einen zu langen Mantel und eine Pilotenbrille, wie ein schlechter Detektiv. Das weiß ich noch so genau, weil ich ihn zu Boden brachte und fixierte – und dann fand ich ein Riesen-Küchenmesser in seiner Manteltasche. Sooo ein Messer! (zeigt mit den Händen etwa 30 Zentimeter)

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Oder du stehst vor einer Diskothek wegen einer Schlägerei. Da gibt es diese Solidarisierungseffekte: Wenn die Polizei kommt, sind wir der Buhmann. Du bist mit einer Person beschäftigt, 190 Kilo, Koks, Amphetamine – und gleichzeitig musst du dich nach allen Seiten umgucken.

Molotow-Cocktail im Hambacher Forst

Bei den Protesten im Hambacher Forst habe ich gesehen, wie jemand einen Molotow-Cocktail auf den Einsatzwagen genau vor uns geworfen hat. Das Auto war angesengt, aber mehr hat das sicher in den Köpfen der Kollegen gemacht. Rechts und links Wald, das ist ohnehin ein mulmiges Gefühl.

Überhaupt: Feuer, Pyrotechnik, Bengalos, das ist beschissen. Das kannst du nicht kontrollieren. Besonders im Stadion ist das schweinegefährlich. Ich bin selbst Fußballfan, aber ich hasse Pyros. Wie häufig haben wir es da mit Körperverletzung zu tun, weil die Dinger geworfen werden, meist feige von hinten. Die brennen sich sofort durch alles, dann die Lautstärke, und wenn man das einatmet, ist das gefährlich für die Lunge. Wenn sowas neben dir hochgeht, dann erschreckst du dich so unfassbar. Ich habe bei Fußballspielen schon so oft Gewalt erlebt; ich weiß wirklich nicht, was die da soll.

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Auch zu Silvester, da steht hinterher auch im Polizeibericht, dass es keine verletzten Kollegen gab. Das ist eine gute Nachricht, geht aber nur mit massivem Krafteinsatz. Und es macht die Bilder nicht viel besser. Da lagen Stadtteile in Schutt und Asche, wie jedes Jahr, wir haben 18 Einschläge an Streifenwagen gezählt. Ohne Helm können wir da nicht mehr aussteigen, das ist auch eine interne Anweisung: Ohne spezielle Ausrüstung fahren wir Silvester nicht raus.

„Eigentlich willst du nur gesund nach Hause zu deiner Familie“

Ich sorge gern für Sicherheit, das macht mir Spaß. Aber die Gefahr ist immer da. Du stehst da, und eigentlich willst du nur gesund nach Hause zu deiner Familie. Wegen eines Tritts oder eines blauen Flecks melden wir uns nicht als verletzt, das hatten wir doch alle schon. Die klassischen Schürfwunden und Kratzer nehmen wir in Kauf. Wenn wir das aufnehmen, dann nur als Beweismittel für ein anschließendes Verfahren.

Da wäre es nur schön, wenn Gesetze auch angewandt würden. Es müsste Mindestfreiheitsstrafen geben für Widerstand gegen die Polizei oder Beleidigung. Auch die Debatte um Messerverbote oder bestimmte Klingenlängen verstehe ich nicht. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum jemand ein Messer mit sich herumtragen sollte, nie! Geringe Strafen sind frustrierend für uns Polizisten, das macht etwas mit uns. Ich habe den schriftlichen Teil eines Einsatzes noch nicht fertig, da ist so einer schon wieder frei. Oder anders gesagt: Der liegt schon zu Hause auf der Couch, da habe ich noch nicht mal Feierabend!“