Ruhrgebiet. Junge Polizistin tötet im Dienst einen Angreifer. „Ein Scheißgefühl, dass man dem Tod so nahe stand.“ Warum sie am Jahrestag nie mehr arbeiten will.

Tritte, Schläge, Messer: Jeden Tag werden in NRW 65 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalt, insgesamt zählt die jüngste Statistik 23.823 Betroffene. Auch die Zahl der Taten steigt: zuletzt auf 9829, eine Zunahme von knapp 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hier erzählen Polizeibeamtinnen und -beamte aus dem Ruhrgebiet, wie sie Gewalt im Einsatzalltag erleben – und was das mit ihnen macht.

Polizeioberkommissarin (29), seit sieben Jahren im Dienst:

„Wir wurden gerufen wegen einer Ruhestörung, Nachbarn meldeten Knallgeräusche im Hausflur. Als wir ankamen, war der Mann schon draußen, erst hatte er die Hände noch hinter dem Rücken. Um die Tageszeit waren viele Menschen auf der Straße, viele Schulkinder, viel Verkehr. Ich habe Deckung gesucht hinter einem Betonpfeiler, aber das nutzte natürlich nicht viel. Ich hatte die Waffe schon gezogen. Dann hat er mit einem großen Revolver auf uns geschossen.

Ein Scheißgefühl, ich dachte, was passiert hier eigentlich? So ein Riesen-Mündungsfeuer hatte ich noch nie in Echt gesehen! War das gerade Realität? Das kann passieren, das wusste ich, aber nicht mir! Ich habe sofort zurückgeschossen und ihn tödlich getroffen.

„Ein Scheißgefühl, dass man dem Tod so nahe stand“

Er hat mich um ein paar Zentimeter verfehlt, der Schuss ist in die Hauswand hinter mir gegangen. Glück gehabt, mal wieder. Ein unendliches Glück, dass ich ihn direkt getroffen habe! Was wäre gewesen, wenn nicht? Hätte ich anders gestanden, oder er hätte getroffen... Aber ich habe ihn erschossen, sonst wäre ich nicht hier. Oder mein Kollege wäre nicht mehr da. Das war die größte Gefahr, die ich mir jemals vorstellen konnte. Ein Scheißgefühl, dass man dem Tod so nahe stand.

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Im Nachhinein bin ich dankbar für meine Ausbildung. Ich habe sofort gehandelt, das gelernte Schema abgearbeitet. Ich habe alles ganz detailliert wahrgenommen, kann mich an alles krass erinnern, auch an die Gerüche und Geräusche. Natürlich geht man nicht mit der Absicht in den Dienst. Aber ich habe geschossen, ich war dafür da. Er hat die Ursache gesetzt, nicht ich. Es war mein Job, und ich habe ihn gemacht.

Die Kollegen haben mir nach dem tödlichen Schuss sehr geholfen, ich befasse mich bewusst damit, was geschehen ist. Man packt natürlich etwas in seinen Rucksack und trägt es mit sich herum. Mit meiner Waffe habe ich aber ein gutes Gefühl und fühle mich sicher. Allerdings: An dem Datum werde ich nie mehr arbeiten, da habe ich dienstfrei.

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Ich gehe seitdem mit sehr viel mehr Respekt in Einsätze und bin sofort in Habachtstellung. Bin auch sehr empfindlich, wenn Kollegen aus meiner Sicht nicht genug Wert auf Eigensicherung legen. Ich nenne das meinen „Gefahrenradar“, der ist immer an. Ich hatte auch mal einen Einsatz wegen häuslicher Gewalt, da hat einer unter Drogen randaliert. Der 1,90-Meter-Mann hat uns mit erhobenen Fäusten bedroht, es gab ein Gerangel in der engen Küche. Vorsichtig, wie ich aus der Erfahrung geworden bin, sah ich dieses lange Messer in seiner Socke, nachdem er immer wieder langte. Ein Griff, und es hätte in meinem Hals gesteckt!

Sowas kann in jedem Einsatz passieren. Messer erleben wir so oft im Dienst, und erst nachher wird einem bewusst, welche Gefahr das war. Hoffentlich kann ich das nächste Mal genauso gut reagieren. Nur, wenn es jedes Mal so knapp ist, wie lange geht das noch gut? Man arbeitet ja eigentlich auf der guten Seite. Aber manchmal ist es doch irrsinnig!“